Das Coronavirus hat auch den österreichischen Medienmarkt hart getroffen: Etliche Zeitungshäuser mussten Kurzarbeit anmelden, Fernsehsender unterbrachen Unterhaltungsshows und viele Produzenten wissen bis heute nicht, wie es mit der Produktion von Filmen und Serien künftig weiter geht - oder wer für mögliche Ausfallkosten aufkommt. Als mit Abstand größtes Medienunternehmen der Republik und größter Auftraggeber von Produktionsfirmen mitten drin in der Krise steht der ORF. 

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz reagierte im März mit strengen Maßnahmen auf das Coronavirus und ließ einige Mitarbeiter etwas mehr als einen Monat lang im Isolations-Schichtbetrieb arbeiten, um den Sendebetrieb sicherzustellen. So etwas hat kein anderer Sender im deutschsprachigen Raum gemacht, die betroffenen Mitarbeiter, die sich allesamt freiwillig meldeten, lebten und arbeiteten mehrere Wochen 24 Stunden am Tag an verschiedenen Standorten des Senders. Gleichzeitig droht dem Unternehmen ein dickes Einnahmen-Minus. Sowohl die Gebühren werden in Folge der Krise wohl sinken, als auch die Werbeeinnahmen (DWDL.de berichtete). 

Nun hat sich Wrabetz erneut mit Worten an die Öffentlichkeit gewandt, die man so zuvor von keinem anderen Senderchef gehört hat - auch nicht in Deutschland. "In Wirklichkeit haben wir bis Jahresende Programm", sagte der ORF-Chef kürzlich gegenüber der Tageszeitung "Standard". Gemeint sind damit fiktionale Inhalte, deren Produktion seit Wochen pausiert. Bieten kann man den Zuschauern Anfang des kommenden Jahres noch die fünfte Staffel "Vorstadtweiber", die bereits 2019 produziert wurde. Danach könne man nur noch auf Wiederholungen zurückgreifen, so Wrabetz. "Das ist nicht der Sinn unseres Auftrags", sagt er. 

"In Wirklichkeit haben wir bis Jahresende Programm."
ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz

Jahrelang hatte der ORF Serien auf Halde produziert, was teilweise dazu führte, dass einige Staffeln erst Jahre nach der Entstehung gesendet wurden. In bestimmten Fällen lagen sogar mehrere Staffeln auf einmal im Archiv, bevor sie ausgestrahlt wurden. Dieses Kuriosum hat man mittlerweile behoben. Dass man nun ausgerechnet mehr Lagerbestände benötigt, hätte man nicht wissen können. Nun warnt ORF-Chef Wrabetz: "Das ist eine ernste Situation auch für uns." Fraglich ist auch, inwiefern der ORF sein "Tatort"-Engagement in diesem Jahr erfüllen kann. Doch auch bei der ARD weiß man derzeit bekanntlich nicht, wie viele neue Filme der Krimi-Reihe 2020 zu Ende produziert werden können.

Produzenten warten auf grünes Licht der Politik

Die österreichischen Filmschaffenden hatten zuletzt intensiv an einem Hygiene- und Sicherheitskonzept gearbeitet, um die Dreharbeiten möglichst schnell wieder aufnehmen zu können. Noch gibt es aber keine Entscheidung des Gesundheitsministeriums, ob dieses Konzept ausreicht oder ob Nachbesserungen erforderlich sind. Und während in Deutschland die ersten Produktionen wieder hochgefahren werden, weiß in Österreich eine gesamte Branche nicht, wie es in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten weitergeht. 

Fabian Eder, Vorsitzender des Dachverbands der Filmschaffenden, forderte zuletzt im "Standard", die Dreharbeiten im Juni wieder aufnehmen zu dürfen. Andernfalls drohen Insolvenzen. Eder kritisiert, dass die Regierung die Firmen zum "russischen Roulette" zwinge. Drehe man weiter und habe einen Corona-Fall, drohe die Pleite. Bleibt es bei den flächendeckenden Drehpausen ebenso. Eder fordert eine Ausfallhaftung für Filmproduktionen vom Staat - klassische Versicherungen, wie von Bavaria-Chef Christian Franckenstein gefordert, bieten das derzeit verständlicherweise nicht an. Zu groß ist ihnen das Risiko.

"Wir rennen jetzt um unser wirtschaftliches Leben und für dieses Überleben ist eine staatliche Ausfallshaftung, die sich auf Corona bezieht, essentiell."
MR-Film-Geschäftsführer Oliver Auspitz

Eder kritisiert aber auch den ORF scharf. Bereits Mitte März erklärte der Regisseur, die zuständigen Abteilungen im ORF hätten "vollkommen versagt". Damals hatten ARD und ZDF angekündigt, sich an Mehrkosten, die im Zuge von Dreh-Unterbrechungen entstehen, zu beteiligen. Mit dem ORF konnten sich die österreichischen Filmschaffenden damals nicht auf eine solche Lösung einigen. Inzwischen ist man hier weiter: Wrabetz hat inzwischen signalisiert, durchaus auch Mehrkosten die im Zuge von Corona-Maßnahmen anfallen mitzutragen. Aber: Sollten Projekte komplett gecancelt werden, sieht der ORF-Chef die Verantwortung beim Staat. "Es muss eine öffentliche Lösung geben."

Oliver Auspitz, Geschäftsführer der MR Film Gruppe, zeigt Verständnis für die Haltung des ORF. "Es leuchtet ein, dass der ORF sich nicht an einem millionenschweren Haftungsfonds beteiligen kann. Dass er uns auch nicht einräumen kann, dass am Set alles läuft wie vor Corona, ist auch klar", sagte Auspitz zuletzt im Interview mit dem "Kurier". Dennoch erwarte man vom größten Medienunternehmen des Landes ein "lautes und starkes Bekenntnis zum österreichischen Programm und Programmschaffen und eine ebensolche Forderung an die Politik, das zu ermöglichen". Sonst gehe bei heimischen Produzenten "der Bildschirm aus", warnt Auspitz. 

Kulturstaatsministerin tritt ab - Verzögerungen

Zu den ganzen Problemen kommt nun noch hinzu, dass in Österreich mit Ulrike Lunacek am vergangenen Freitag die zuständige Kunst- und Kulturstaatsministerin zurückgetreten ist. Zuvor gab es aus der Branche viel Kritik an ihrem Krisenmanagement. Auspitz will Lunaceks Abgang aber nicht als Sieg verstanden wissen. "Wer glaubt, dass damit die Kuh vom Eis ist, der soll es lieber gleich ganz bleiben lassen", sagt er. Das Problem: Die Produzenten und andere Kulturschaffende müssen sich nun mit Lunaceks Nachfolgerin abstimmen. "Wenn man emotionsfrei darauf blickt, dann wirft uns das um wenigstens vier, fünf Wochen zurück. Das ist Zeit, die wir nicht mehr haben." Der Chef der MR Film Gruppe ("Vienna Blood", "Vorstadtweiber", "Barbara Karlich Show") will sich nun direkt an Bundeskanzler Sebastian Kurz wenden. "Wir rennen jetzt um unser wirtschaftliches Leben und für dieses Überleben ist eine staatliche Ausfallshaftung, die sich auf Corona bezieht, essentiell." Anders als in anderen Branchen gehe es laut Auspitz nicht um Hunderte Millionen Euro, sondern um einen "niedrigeren zweistelligen Millionen-Betrag". 

Für den ORF als ganzes aber auch für Generaldirektor Alexander Wrabetz selbst wird 2021 ein einschneidendes Jahr. So muss man nicht nur die erwarteten Verlusten aus 2020 kompensieren, der ORF wird neben den regulär stattfindenden alpinen und nordischen Skiweltmeisterschaften auch die Olympische Sommerspiele sowie Fußball-EM übertragen. Das verspricht zwar gute Quoten, aber eben auch hohe Kosten. Und auch in der Fiction sowie der Unterhaltung werden die Kosten wegen einzuhaltender Corona-Maßnahmen eher steigen als sinken. Bei sinkenden Einnahmen steht der ORF vor herausfordernden Zeiten.

Und dann steht 2021 auch noch die Wahl des ORF-Generaldirektors an. Schon heute ist Wrabetz der längst dienende ORF-Chef ohne Unterbrechung, er ist seit 2007 Chef von Österreichs größten Medienunternehmen. Gerd Bacher kam zu Lebzeiten in mehreren Amtszeiten auf fast 20 Jahre als ORF-Chef. Ob Wrabetz Ambitionen hat, zu Bacher aufzuschließen, ist nicht klar. Noch ist nicht bekannt, ob der aktuelle Generaldirektor bei der kommenden Wahl kandidiert. Derzeit dürfte Wrabetz auch andere Probleme haben. Aber eins ist auch klar: Bringt er den ORF gut durch die Krise, steigen seine Chancen auf eine Wiederwahl.