Wenn die Branche in der Vergangenheit zweimal im Jahr nach Cannes gereist ist, war das vor allem ein großes Klassentreffen. Man traf sich, ob geplant oder zufällig, tauschte sich aus und an der nächsten Ecke stand schon das nächste bekannte Gesicht. Diese Routine hat Corona vollständig zum Erliegen gebracht. Eine Reise nach Cannes, um dort mit Menschen aus aller Welt in kleinen oder großen Gruppen über TV-Formate zu sprechen? Heute undenkbar. Und dennoch hatte die Pandemie nur geringe Auswirkungen auf den Einkauf von Sendungen, berichtet einige Branchenteilnehmer - allen voran die Sender selbst. 

Thomas Lasarzik und Bernhard Sonnleitner © Seven.One Entertainment Group Thomas Lasarzik (links) und Bernhard Sonnleitner
"Viele Pitches und Gespräche haben sich schon in den letzten Jahren immer mehr auf die Wochen vor der Messe verlagert, wie etwa mit unserem European Pitch, der bereits im Vorfeld der MIPTV die meisten heißen Themen behandelt hat", sagt Bernhard Sonnleitner, Vice President International Scouting & Trends bei ProSiebenSat.1 im Gespräch mit DWDL.de. Corona habe diese Entwicklung noch einmal befeuert. Sonnleitners Kollege, Thomas Lasarzik, Executive Vice President Group Content Acquisitions & Sales, geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt: "Corona hat den globalen Einkauf als solchen nicht verändert." Lediglich die Wege hätten sich geändert. 

Und es ist ja auch klar: Der Einkauf (und Verkauf) neuer TV-Formate ist durch die Pandemie weltweit nicht plötzlich zum Stillstand gekommen. Aber statt auf Messen trifft man sich seit einem Jahr eben in Online-Meetings und schaut sich die Sendungen alleine vor dem Bildschirm an. Das alles habe im vergangenen Jahr durchaus gut funktioniert, sagt Lasarzik. Als größte Herausforderung bezeichnet es Sonnleitner, Formate zu finden, "die unseren Zuschauern auch im Lockdown Spaß machen". Und wohl auch solche, die man im Lockdown produzieren kann - Reise-Formate etwa sind derzeit nur sehr schwer oder eben gar nicht umzusetzen. 

Kai Sturm © MG RTL D / Marina Rosa Weigl Kai Sturm
Auch RTL-Unterhaltungschef Kai Sturm verweist gegenüber DWDL.de darauf, dass Formathändler und Verkäufer schon vor Corona damit angefangen haben, eigene Veranstaltungen online und abseits der Messen zu planen. "Insofern war Corona eigentlich nicht der Auslöser für die Veränderung, sondern ein Beschleuniger", so Sturm. An eine Rückkehr zur Zeit vor 2020 glaubt der RTL-Unterhaltungschef nicht: "Ich bin sicher, dass die Veranstaltungen in der alten Form nicht mehr wiederkommen", sagt Sturm. Präsenzveranstaltungen werde es auch künftig geben, diese würden aber viel konzentrierter und dezentraler stattfinden. "An interkontinentale Präsenzveranstaltungen glaube ich für die Zukunft nicht." Thomas Lasarzik von ProSiebenSat.1 geht nicht ganz so weit, erwartet aber eine Kombination aus der alten (anaolgen) und der neuen (digitalen) Welt, wenn es um große Veranstaltungen geht. 

"Dafür ist zu viel passiert"

Carlos Hertel © Bavaria Media Carlos Hertel
Und dann wären da ja auch noch die Produktionsfirmen, die Messen wie die MIPTV dazu nutzen, ihre Formate an Abnehmer im Ausland zu bringen - oder sich vielversprechende Formate sichern, um daraus eine deutsche Adaption zu machen. Die Bavaria Film hat mit der Bavaria Media ein Tochterunternehmen für die Bereiche Licensing und Distribution. Carlos Hertel, Director of International Sales bei Bavaria Media, sagt im Gespräch mit DWDL.de, es habe eine Veränderung von Angebot und Nachfrage stattgefunden. Auf der Angebotsseite habe es durch die Pandemie einige Einschränkungen gegeben. Und Nachgefragt seien worden vor allem eskapistische Stoffe. 

"An interkontinentale Präsenzveranstaltungen glaube ich für die Zukunft nicht."
RTL-Unterhaltungschef Kai Sturm

Neben dem Fehlen des persönlichen Austausches vor Ort, verweist Hertel aber auch auf die mittelfristigen Folgen, die die Pandemie mit sich bringen könnte. So "gab und gibt es weiterhin budgetbedingte Veränderungen der Nachfrage, die sich - vor allem auf dem linearen Markt – in Form von programmlichen Umstrukturierungen zeigen". Das heißt konkret: Die Nachfrage geht auch deshalb zurück, weil die Budgets sinken. Diesen Veränderungen gelte es schnell zu begegnen, so Hertel. Und auch der Bavaria-Media-Manager glaubt nicht an eine Rückkehr zu den Messen der Prä-Corona-Zeit. "Dafür ist zu viel passiert - auch Gutes übrigens", so Hertel. Dennoch müsse man abwarten, wie die Zunahme des digitalen Kommunizierens "effizient in alle Prozesse eingebunden werden kann und vor allem, wie sich eine zunehmen Virtualisierung auf die kreativen Prozesse – sowohl in der Produktion, als auch im Vertrieb – auswirkt".

Mehr Initiative der Produzenten gefordert

Oliver Fuchs und Ina Eck © Fabiola Oliver Fuchs und Ina Eck
Fabiola-Co-Geschäftsführerin Ina Eck sagt, durch Corona sei mehr Initiative von Produzentinnen und Produzenten gefordert. "Wir nutzen das bestehende Netzwerk intensiver und gehen proaktiver auf Distributoren zu", sagt sie gegenüber DWDL.de. Man stelle aber auch fest, dass viele Distributoren "den direkten Austausch schätzen und mehr auf uns im lokalen Markt angewiesen sind, um ihre Formate zu präsentieren". Das Meetings inzwischen fast ausschließlich digital stattfinden, sorgt aber auch für Herausforderungen. "Das macht etwas mit dem Pitch,  sowohl beim Formateinkauf, wie auch beim Verkauf", sagt Fabiolas Co-Geschäftsführer Oliver Fuchs, der auf die Veränderungen reagiert hat. "Wir haben zum Beispiel angefangen bereits im Vorfeld Materialien wie Sizzles oder Mood Decks als Vorbereitung für den Termin zu verschicken, so können sich alle Teilnehmer*innen vorbereiten und eine Präsentation scheitert nicht an der Technik."

Und auch bei der Fabiola GmbH geht man davon aus, dass die Welt der Fernsehmessen nach Corona nicht mehr so aussehen wird wie vor 2020. "Ich denke auch, dass die Messen sich inhaltlich dahingehend verändern werden, dass noch mehr Fokus auf Trend Keynotes, das soziale Miteinander, sprich Partys und Veranstaltungen, und auf außergewöhnliche Präsentationen und Speaker gelegt wird", sagt Oliver Fuchs. Ina Eck geht davon aus, dass die Kosten-Nutzen-Rechnungen für große Messen "noch genauer betrachtet" werden. Große Veranstaltungen könnten so vielleicht nur noch einmal im Jahr stattfinden. 

"In virtuellen Meetings bleiben Fragen unausgesprochen."
Ina Eck, Co-Geschäftsführerin Fabiola GmbH

Gillad Osterer © Leonine Studios Gillad Osterer
In Bezug auf die MIPTV hatte sich das ja schon vor Corona abgezeichnet. Die Frühjahrsmesse wurde immer weniger wichtig und viele Branchenteilnehmer sparten sich eine Teilnahme, sie konzentrierten sich lieber auf die Teilnahme an der größeren MIPCOM im Herbst. Inwiefern es Sinn macht, auch in Zukunft zwei Messen pro Jahr anzubieten, wird der Veranstalter Reed Midem beantworten müssen. "Wenn man ehrlich ist, hat man früher auch schon vor der Messe seine Hausaufgaben gemacht und versucht den einen oder anderen Deal vor dem Abflug nach Cannes ‘einzutüten’", sagt Gillad Osterer, Geschäftsführer von SEO Entertainment im Gespräch mit DWDL.de. Auf den Messen sei man dann eigentlich nur noch von kleineren Vertrieben oder Produktionsfirmen überrascht worden. Insofern sieht Osterer durch die Pandemie keine wesentlichen Veränderungen in den Bereichen Einkauf und Scouting. Positiv sei, dass die Vertriebe schneller geworden sind, so der SEO-Entertainment-Chef. "Das hat bestimmt was damit zu tun, dass die meisten im Homeoffice sitzen und nicht viel auf Reisen sind. Dadurch kommt es wahrscheinlich zu einem konzentrierterem Arbeiten."

Den persönlichen Kontakt vermissen alle

Trotz dieser Tatsache vermissen alle von DWDL.de befragten Branchenteilnehmer Cannes und die MIPTV. Dabei fällt immer der Ausdruck des "persönlichen Kontakts", der durch Corona gelitten habe. Dieser sei aber nicht zu unterschätzen, sagt Thomas Lasarzik von ProSiebenSat.1. Auch RTL-Unterhaltungschef Kai Sturm fehlt der kreative Austausch, der einfacher sei, wenn man sich persönlich gegenüber stehe. Fabiola-Co-Geschäftsführerin Ina Eck vermisst den "den direkten persönlichen Austausch, die spontanen Situationen und inspirierenden Gespräche, die sich ergeben, wenn eine Gruppe Kreativer aufeinandertrifft". Zwar habe sie das Gefühl, dass die Digital-Pitches bisweilen konzentrierter abgehalten werden. "Es bleibt natürlich auch was auf der Strecke, die Nuancen in der Reaktion des Gegenübers gehen verloren. Wo ich sonst schon mal in persönlichen Meetings Unsicherheiten erkennen oder zwischen Sätzen nachfragen kann, bleiben in virtuellen Meetings Fragen unausgesprochen."

Welche Rolle aber die MIPTV in Zukunft noch spielen wird, ist unklar. Es wird wohl zwangsläufig zu Veränderungen kommen müssen. "Keine hohen" Erwartungen hat SEO-Entertainment-Chef Gillad Osterer an die kommende Messe. "Für mich macht es zur Zeit keinen großen Unterschied ob es jetzt eine digitale MIPTV gibt oder nicht. Wir stehen eh im täglichen Austausch mit den Vertrieben", sagt er. Das klingt zunächst erst einmal ernüchternd für die Messe-Veranstalter. Doch Osterer schiebt gleich hinterher: "Der Reiz der MIPTV war für mich immer das vor Ort sein, fühlen was für neue Trends gerade da sind. Das kann ich zwar auch online lesen, der persönliche Austausch dazu war mir aber immer viel mehr wert."