Internationale Koproduktionen können sich mitunter zur langwierigen Angelegenheit entwickeln. Der Kölner Produzent Peter Nadermann, ausgewiesener Ermöglicher grenzüberschreitender Stoffe, weiß ein Lied davon zu singen. Dass er die Baztán-Trilogie der spanischen Schriftstellerin Dolores Redondo verfilmen wolle, verriet er dem Medienmagazin DWDL.de im Februar 2014. Sieben Jahre später läuft sein fertiger Dreiteiler – "Das Tal der toten Mädchen", "Das Tal der vergessenen Kinder" und "Das Tal der geheimen Gräber" – derzeit montags um 22:15 Uhr im ZDF.

Warum es so lange gedauert hat, bis die junge Kommissarin Amaia Salazar aus Pamplona, gespielt von Marta Etura, auf dem TV-Bildschirm ermitteln kann, hat verschiedene Gründe. Nadermann war einerseits sehr früh dran: Als er die Rechte an den drei Romanen erwarb, waren zwei davon noch gar nicht erschienen. Andererseits entstand die Koproduktion seiner Nadcon Film mit den spanischen Partnern Nostromo Pictures und Atresmedia Cine sowie dem ZDF und Arte gestaffelt: Der erste Film wurde bereits 2016 gedreht, lief 2017 in Spanien erfolgreich im Kino und 2019 als Einzelstück im ZDF. Die Spanier konnten Teil zwei 2019 im Kino und Teil drei voriges Jahr – pandemiebedingt – auf Netflix sehen.

Zwar sind die Filme der Baztán-Trilogie eine deutsch-spanische Koproduktion, aber deutsche Namen sucht man unter Cast und Crew nahezu vergeblich. Nadermann verfolgt einmal mehr sein qualitatives Erfolgsrezept, das schon "Kommissarin Lund" und "Die Brücke" groß machte: maximale Unterstützung für die kreative Vision lokaler Macher, minimale Einmischung durch deutsche Buch- oder Besetzungswünsche. Nadermanns Credo: "Eine internationale Koproduktion funktioniert prima, wenn man das inhaltliche Einverständnis aller Partner hat. Wenn man das nicht hat, kann sie die reinste Hölle werden."

Weil im Zuge des europäischen Serienbooms immer mehr Sender und Produzenten ähnlich dachten, bildete sich ein neues Qualitätssegment der Koproduktion heraus, das mit dem "Europudding" früherer Jahre nichts mehr zu tun hatte. Authentische Stoffe mit lokaler Identität standen fortan im Vordergrund und es gab keinen Zwang mehr, alles auf Englisch zu drehen. Die finanzielle Motivation zum Koproduzieren – zwei Länder können sich mehr Budget leisten als eines – trat in den Dienst der kreativen Sache. Doch in jüngster Vergangenheit lassen sich vermehrt auch wieder Beispiele einer überwunden geglaubten Industrielogik beobachten: Getrieben vom immer größeren Programmhunger von immer mehr Plattformen sowie dem Bestreben, im Angebotsdickicht mit bekannten Namen und spektakulären Schauwerten aufzufallen, wird die globale Vermarktungsmaschinerie angeworfen, die für möglichst viele Märkte gleichzeitig funktionieren soll.

Mirage - Gefährliche Lügen © ZDF/Eric Vernazobres / FTV / Storia television Zu schnöde: Koproduktion "Mirage"
Was dabei im schlechtesten Fall herauskommt, war ebenfalls im ZDF zu besichtigen: Als die Thriller-Serie "Mirage – Gefährliche Lügen", das erste Produkt der 'European Alliance' von ZDF, RAI und France Télévisions, voriges Jahr deutsche TV-Premiere feierte, diagnostizierte die DWDL.de-Kritik "zu viele Köche am Brei", wenig Atemberaubendes außer den Kulissen von Abu Dhabi und eine "viel zu schnöde" geschriebene Nebenrolle für den unvermeidlichen Hannes Jaenicke. Kein erfreuliches Resultat, wenn man bedenkt, dass sich hier drei Öffentlich-Rechtliche zusammengetan haben, um Netflix & Co. die Zähne zu zeigen. Mit der Alliance wollen sie erklärtermaßen das "kulturelle Selbstbewusstsein in der europäischen Serienproduktion als auch die eigene Position im Wettbewerb" stärken und die "bestehenden Prozesse bei internationalen Koproduktionen" beschleunigen.

Frank Spotnitz © Big Light/Max Colson "Glasklare Vision": Frank Spotnitz kennt das Koproduktions-Risiko
"Was die Alliance klug gelöst hat, ist, dass es für jedes Projekt einen Hauptauftraggeber gibt und wir uns kaum mit den anderen Sendern auseinandersetzen mussten", sagt Produzent und Showrunner Frank Spotnitz. "Was allerdings bleibt, ist der klar kommunizierte Druck, Schauspieler aus allen beteiligten Ländern casten zu müssen." Der Amerikaner in Paris, der als Creator und Showrunner von "The Man in the High Castle", "Ransom" oder "Medici: Masters of Florence" über reichlich Koproduktionserfahrung verfügt, hat der Alliance gerade die achtteilige Biopic-Serie "Leonardo" geliefert, die Ende März mit 28 Prozent Marktanteil auf RAI 1 anlief. "Hobbit"- und "Poldark"-Star Aidan Turner spielt vor italienischer Kulisse und in englischer Sprache den Renaissance-Ausnahmekünstler Leonardo da Vinci. Sony Pictures Television hält die Weltrechte und hat die Serie in Großbritannien an Amazon Prime Video verkauft. Passenderweise im Drehbuchautoren-Podcast "Euro Pudding" gab Spotnitz Mitte März zu Protokoll, künstlerische Integrität lasse sich leichter bei kleineren lokalen Produktionen gewährleisten als bei großen internationalen. Umso wichtiger sei es, "am Kern dessen festzuhalten, was du sagen willst, damit es mehr wird als nur ein Geschäftsmodell". Spotnitz weiter: "Was hilft, ist eine glasklare Vision. Ist sie nicht so klar, steigt das Risiko, dass du von den verschiedenen internationalen Interessen zerrissen wirst."

"Ist die Vision nicht so klar, steigt das Risiko, dass du von den verschiedenen internationalen Interessen zerrissen wirst"
Frank Spotnitz, Produzent und Showrunner

Es ist wohl nicht zuletzt dieses komplexe Spannungsverhältnis, das der europäischen Koproduktion eine wechselhafte Bilanz beschert. Nachdem die Anzahl der Koproduktionen bis 2018 laut European Audiovisual Observatory vier Jahre in Folge zunahm, nämlich auf 141 Projekte oder 14 Prozent aller europäischen Fiction-Produktionen, wurde zuletzt für 2019 ein deutlicher Rückgang auf 97 Projekte bzw. neun Prozent registriert. Zieht man Koproduktionen zwischen Nachbarländern mit derselben Sprache ab, waren sogar nur vier Prozent der europäischen Serien und TV-Filme echte Koproduktionen. Für 2020 liegt die entsprechende Statistik noch nicht vor, jedoch muss man wohl coronabedingt von einem weiteren Minus ausgehen. Zumindest für fiktionale Koproduktionen mit deutscher Beteiligung hat Ampere Analysis einen Einbruch festgestellt: Nachdem das Volumen im ersten Quartal 2020 noch um ein Prozent gewachsen war, lag es im zweiten Quartal fünf Prozent, im dritten Quartal drei Prozent unter dem Vorjahresniveau.

Zu denen, die auch künftig die Fahne hochhalten, zählt ohne Zweifel Peter Nadermann. In der aktuellen "MIP Drama"-Auswahl, die Programmeinkäufern erste Einblicke in neue Serienprojekte gewährt, ist er als deutscher Koproduzent der schwedischen Crime-Serie "Agatha Christie's Sven Hjerson" vertreten. Für den von ZDF Enterprises vertriebenen Achtteiler machen der schwedische Privatsender TV4 und das ZDF gemeinsame Sache. Ebenfalls dabei: der norwegisch-deutsche Rechtsterrorismus-Thriller "Furia" von Monster Scripted und X Filme. "Mit dem ZDF auf deutscher Seite, der Streaming-Plattform Viaplay in Skandinavien und Keshet International als Weltvertrieb ist wieder eine Partnerschaft zusammengekommen, die es in dieser Konstellation noch nicht gab", freute sich Koproduzent Michael Polle bei DWDL.de.