Eigentlich funktioniert der Producers Club des Medienmagazins DWDL.de nach klaren Spielregeln: Die übliche Pitch-Situation, in der TV-Produzenten ihre Projekte bei potenziellen Auftraggebern anpreisen, wird hier für einen Abend umgekehrt. Stattdessen stehen Sender- und Plattform-Chefs auf der Bühne, um den Produzenten ihre Strategien und Bedarfe zu pitchen. Als Eva Holtmann an einem sonnigen Juniabend im Jahr 2018 das Kölner Residenz-Kino betritt, um den Auftritt von ZDF-Fiction-Chef Frank Zervos zu verfolgen, ist sie dennoch fest entschlossen, den informellen Austausch nach der Präsentation zu nutzen, um dem Mainzer Hierarchen eine neue Serie schmackhaft zu machen. Die Produzentin von Bantry Bay hat einen zweieinhalbminütigen Trailer aus Australien im Gepäck, der mit lachenden Menschen auf einem Segelboot beginnt und mit einem durchtrennten Tau im Wasser endet.

Die Miniserie "Safe Harbour" ist drei Monate zuvor, im März 2018, bei SBS, dem öffentlich-rechtlichen australischen Fernsehen, gelaufen und hat auch deshalb für Furore gesorgt, weil sie das Thema der Seenotrettung von Flüchtlingen geschickt in die Handlung eines Psychothrillers kleidet. Holtmann ist von dem Format so fasziniert, dass sie ein deutsches Remake drehen will. Die Option von NBC Universal International Studios, von deren Tochter Matchbox Pictures das Original stammt, hat sie bereits in der Tasche. Seapoint Productions, die non-fiktionale Schwesterfirma von Bantry Bay, pflegt seit längerem eine Formatkooperation mit Universal. Davon soll nun auch die Fiction profitieren. Tatsächlich beißt das ZDF ungewöhnlich schnell an. Was die australischen Showrunner auf die Beine gestellt haben, ist einfach überzeugend und passt auch hierzulande hervorragend in den gesellschaftlichen Diskurs.

Eva Holtmann © Bantry Bay "Starke Prämisse": Eva Holtmann betritt für Bantry Bay neues internationales Terrain
"Belinda Chayko und ihre Kollegen haben uns eine wahnsinnig starke Prämisse geschenkt: Was würdest du tun, wenn du in eine solche Situation gerätst?", resümiert Eva Holtmann gute drei Jahre später im Gespräch mit DWDL.de. Zusammen mit den Drehbuchautoren Astrid Ströher und Marco Wiersch hat sie die Handlung von Brisbane nach Hamburg verlegt, die dramatische Vorgeschichte auf hoher See vom Indischen Ozean ins Mittelmeer, wo die Flüchtlinge nun aus Syrien statt Indonesien kommen. Was auch in der deutschen Adaption mit dem etwas sperrigen Titel "Liberame – Nach dem Sturm" bleibt, ist das Dilemma der Segelurlauber, ob sie ein in Seenot geratenes Flüchtlingsboot abschleppen sollen oder nicht.

Holtmann zufolge gingen der Bucharbeit intensive Recherchen über Fluchtwege und Seerecht voraus. Was die reale Lage so vertrackt macht, ist die juristische Grauzone: Zwar ist man verpflichtet, auf hoher See Hilfe zu leisten, indem man etwa die Küstenwache verständigt, jedoch macht man sich strafbar, wenn man Flüchtlinge in Europa an Land bringt. Aus diesem Konflikt erwächst in der Serie der Thrill: Die Segler schleppen ab, doch nach einer stürmischen Nacht ist das Schleppseil gerissen und das Flüchtlingsboot verschwunden. Jahre später werden sie in Hamburg von einer syrischen Familie konfrontiert, die auf dem Boot war und die Deutschen verdächtigt, das Seil absichtlich durchtrennt zu haben und so für den Tod von sieben Menschen verantwortlich zu sein.

Zunächst lief alles reibungslos für das Bantry-Bay-Team: Die jeweils erste und finale Drehbuchfassung wurden mit der australischen Headautorin Chayko abgestimmt; für den hochkarätigen Cast sagten von Friedrich Mücke und Johanna Wokalek bis zu renommierten Darstellern mit syrisch-arabischem Hintergrund sofort alle zu; ebenso Holtmanns Wunschbesetzung für die Regie, Adolfo Kolmerer, der selbst mit 19 aus Venezuela nach Deutschland geflüchtet war. Die Probleme tauchten mit Drehbeginn im Mai 2021 auf: "Im tiefsten Hamburger Lockdown zu drehen, war die erste logistische Herausforderung", so Holtmann. "Wir mussten etliche Schauspieler aus dem Ausland einfliegen, dabei gab es zu dem Zeitpunkt kaum Flüge und sehr scharfe Regeln."

 

"Wir haben uns für sechs Folgen entschieden, weil wir mehr Zeit haben wollten, um allen Figuren genug Raum zu geben"
Eva Holtmann, Bantry Bay Productions

 

Glück im Unglück: Nach 46 Drehtagen in Hamburg blieb reichlich Zeit für einen ersten Rohschnitt ohne Mittelmeer-Szenen, ehe im Oktober zwei Wochen Dreh im Wassertank-Studio auf Malta sowie ein paar Tage auf offener See folgten. "Da wir nicht genügend Mittel hatten, die Segelyacht von Hamburg nach Malta zu bringen, brauchten wir zwei, die genau gleich aussahen", so Holtmann. "Und es musste eine sein, die mit fünf Leuten an Bord in den Wassertank passte." Was für die Produzentin freilich noch schwerer wog als Logistik-Probleme, waren die eigenen Emotionen: "Es fühlte sich ebenso berührend wie absurd an, im Wassertank Szenen zu drehen, in denen Menschen ertrinken – wenn man weiß, dass im vor einem liegenden Mittelmeer jedes Jahr tausende Menschen auf ihrer Flucht ertrinken."

Vergleicht man die deutsche Adaption mit dem australischen Original, fallen sofort die Längenunterschiede auf: Statt vier Folgen à 50 Minuten nimmt sich das deutsche "Liberame" sechsmal 45 Minuten Zeit. Es wird weitaus mehr geredet und erklärt als im Original, wo vieles für sich steht, eher schnell und beiläufig erzählt wird. Die extrem starke Vorlage scheint durch aufgesetzt wirkende Dialoge und zusätzlich betonte Wendungen wie aus dem Soap-Lehrbuch etwas verwässert. Ob das für deutsche Sender, die ihr Publikum immer noch gern unterschätzen, wohl so sein muss? "Wir haben uns für sechs Folgen entschieden, weil wir mehr Zeit haben wollten, um allen Figuren genug Raum zu geben", antwortet Eva Holtmann. "Uns war es wichtig, dass die deutsche Familie und die Geflüchteten gleichwertig erzählt werden. Dass wir eben einen Blick aufmachen für die unterschiedlichen Situationen, in denen sich Geflüchtete befinden: Was ist nach dem großen Flüchtlingsstrom mit den Menschen in Deutschland passiert? Wie leben sie, wie ist ihr Geflüchtetenstatus, was sind ihre Themen? Wir haben versucht, diese Aspekte der Geflüchteten noch mehr mitzuerzählen."

Während das ZDF ausschließlich die Rechte für den deutschsprachigen Raum erworben hat, kümmert sich Universal International Studios nun auch um den Weltvertrieb von "Liberame". Bantry Bay betritt mit einer solchen internationalen Koproduktion neues Terrain. "Es hat großen Spaß gemacht, ein so komplexes, internationales Projekt zu produzieren. Das wollen wir künftig gern öfter tun", sagt Holtmann. Ihrem Hauptgesellschafter Beta Film dürfte das noch besser gefallen, wenn solche Projekte künftig innerhalb des eigenen Konzerns entstehen. Schließlich verfügt man über ein großes Netzwerk an internationalen Produktionsfirmen und Stoffen, dessen Wertschöpfung sich durch wechselseitige Adaptionen vertiefen ließe.

"Liberame – Nach dem Sturm" läuft am 5. und 7. September jeweils ab 20:15 Uhr im ZDF und ist bereits in der ZDF-Mediathek abrufbar.

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