Wie die Zukunft unabhängiger Film- und Fernsehproduzenten aussehen könnte, lässt sich dieser Tage gut in Island studieren. Hilmar Sigurdsson und Kjartan Thor Thordarson führen in dem kleinen nordischen Inselstaat mit einigem Erfolg ihre Produktionsfirma Sagafilm. Die besteht seit 42 Jahren, beschäftigt rund 30 feste Mitarbeiter und hat sich zunächst als Service-Producer für internationale Blockbuster wie "Tomb Raider", "Interstellar", "Star Trek: Into Darkness" oder mehrere James-Bond-Filme hervorgetan. In jüngster Vergangenheit fiel Sagafilm vermehrt durch eigene Werke auf, darunter die weltweit vertriebene Krimiserie "Stella Blómkvist" oder die ökologisch angehauchte Politthriller-Serie "Thin Ice".

Obwohl die Geschäfte gut laufen und Sagafilm nicht einmal Produktionen wegen Corona abbrechen musste, haben Sigurdsson und Thordarson gerade 25 Prozent ihrer Firma an Beta Nordic Studios, eine Tochter der Münchner Produktions- und Vertriebsgruppe Beta Film, verkauft. "Island ist ein kleiner Markt, insofern sind wir immer vom internationalen Erfolg unserer Projekte abhängig", so Thordarson. "Es macht daher Sinn, uns mit Beta zusammenzuschließen, um unser internationales IP-Business auszubauen. Hier im Norden ergeben sich etliche Chancen im Zuge der fortschreitenden Konsolidierung, aber wir sind stolz darauf, unabhängig zu bleiben. Beta ist eine große Gruppe, aber immer noch unabhängig."

Man muss nicht bis nach Island gehen, um ein Gefühl für die Wirkung der rasanten Marktkonsolidierung auf Indie-Produzenten zu bekommen. Ein Blick nach Köln reicht aus. Dort ist Stefan Oelze, einer der Gründer der Produktionsfirmen Seapoint und Bantry Bay, gerade dabei, eine Art Mini-Studio für unabhängige Kollegen aufzubauen (DWDL.de berichtete). Zu diesem Zweck formt er aus der bislang unauffälligen Holding Rosebank AG einen Dienstleister, der auch andere Produzenten in wirtschaftlichen, organisatorischen und juristischen Belangen unterstützen soll. Beteiligungen an jenen Produzenten sind ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Hinter Rosebank steht als Mehrheitseigner mit knapp 60 Prozent der Anteile wiederum – die Beta Film.

Stella Blómkvist © Sagafilm Krimi-Hit aus Island: Stella Blómkvist
Stellt man sich den europäischen Produktionsmarkt als Spinnennetz vor, so weben globale Studios und Sendergruppen mit Abstand den größten Teil – in dem sich kleinere Player zusehends verheddern oder gefressen werden. Ein immer dichter werdendes Nebennetz, in dem es nicht ums Auffressen, sondern ums gemeinsame Beutemachen geht, spinnt freilich jenes Traditionsunternehmen aus Oberhaching bei München, das alle paar Monate eine Akquisition zu verkünden hat. "Die mentale und auch wirtschaftliche Herausforderung heißt: Können wir internationale Produzenten werden, ohne unsere lokale Identität aufzugeben?", formulierte Beta-Film-Mastermind Jan Mojto seine Leitlinie voriges Jahr auf dem französischen Series-Mania-Festival und erklärte damit zugleich seine europaweit wachsenden Beteiligungen an Produktionsfirmen zur Zukunftsstrategie.

Seit dieser Äußerung hat Mojtos Netzwerk noch kräftig zugelegt. Im Herbst 2019 ging Beta Film ein Joint Venture mit dem spanischen Produzenten Javier Pérez de Silva ein – die Beta Entertainment Spain mit Sitz in Madrid. Jedes Jahr sollen dort mindestens zwei neue Serien produziert und zwei weitere entwickelt werden, hinzu kommen zahlreiche nonfiktionale Formate. Mit dem Portfolio hat man neben Spanien selbst vor allem den riesigen lateinamerikanischen Markt im Auge. Fast zeitgleich übernahm Beta Film die unternehmerische Mehrheit an der finnischen Produktionsfirma Fisher King, auf deren Konto Serien wie "Bordertown" oder "Nymphs" gehen. Zusammen mit dem 2016 gegründeten Joint Venture Dramacorp in Schweden entstanden so die Beta Nordic Studios, zu denen jetzt auch die isländische Sagafilm gehört.

Produktionstöchter der Beta Film (Auswahl)

 Firma Sitz Anteil
Ariane Krampe Filmproduktion GmbH Grünwald 74,9 %
Cross Productions Srl Rom 80,0 % 
Das Netz GmbH Oberhaching  50,0 % 
Dramacorp AB  Stockholm  51,0 % 
   ↳ Dramacorp Pampas Studios AB  Stockholm 25,5 % 
Dreamtool Entertainment GmbH  München  67,0 % 
Good Friends Filmproduktions GmbH  Berlin  85,0 % 
Intaglio Films GmbH Berlin 51,0 %
Isolani Pictures SAS  Paris 51,0 % 
La Fenice Srl Rom 46,0 %
Lineup Industries BV Amsterdam 48,9 %
MR-Film Kurt Mrkwicka GmbH  Wien  50,8 % 
   ↳ Talk TV Produktionsgesellschaft mbH  Wien  50,8 % 
   ↳ Teamwork Service TV GmbH  Wien  50,8 % 
Neuesuper GmbH München 33,0 %
Radio Doria Film GmbH Berlin 50,0 %
Rainmark Films Ltd London 100 %
   ↳ Frankenstein Films Ltd London 100 %
   ↳ Frankenstein Films Two Ltd London 100 %
Rosebank AG Köln 57,5 %
   ↳ Seapoint Productions GmbH & Co. KG Köln 57,5 %
   ↳ Bantry Bay Productions GmbH Köln 57,5 %
Rowboat Film- & Fernsehproduktion GmbH Köln 55,0 %
Sommerhaus Filmproduktion GmbH Berlin 51,0 %
Sperl Film + Fernsehproduktion GmbH Oberhaching 51,0 %
WunderWerk GmbH Unterföhring 42,0 %
X-Filme Holding GmbH Berlin 24,9 %
Zeitsprung Pictures GmbH Köln 60,5 %

Quelle: Bundesanzeiger, Beta Film / Bilanz und Konzernlagebericht fürs Geschäftsjahr 2018

Auch wenn Mojto seine Beteiligungen im In- und Ausland bislang eher im Geiste eines lockeren Verbunds führt, wächst die Kollektion alles andere als zufällig. Mit jedem abgeschlossenen Deal und mit jedem verkauften Programm kann man dem Netzwerk förmlich dabei zusehen, wie es sich von innen heraus kräftigt. Die grundlegende Synergie zwischen Produktion und Programmvertrieb liegt darin, dass in Zeiten stark steigenden Bedarfs immer mehr kreative Lieferanten die Vertriebspipeline füllen. Zwar vertreibt Beta auch etliche Programme externer Produzenten und die eigenen Töchter werden in der Regel nicht dazu gezwungen, den Konzernvertrieb zu nutzen. Doch natürlich ist absehbar und betriebswirtschaftlich logisch, dass der frühzeitige Zugriff auf neue Projekte zu mehr internen Verwertungsketten führt.

Tell Me Who I Am © Beta Film Betas Herbst-Highlight aus Spanien: Tell Me Who I Am
Dieser Effekt wird durch eine zunehmende regionale Clusterbildung wie im spanischsprachigen Markt oder in Skandinavien noch verstärkt. "Als in Deutschland ansässiges Produktionsunternehmen ist es sehr wichtig für uns, diesen skandinavischen Fußabdruck zu haben", lässt sich Beta-Nordic-Chef Justus Riesenkampff vom US-Fachblatt "Variety" zitieren. "Wir haben gesehen, dass die nordischen Märkte einige der bestverkauften nicht-englischsprachigen Drama-Serien der Welt hervorbringen – neben spanischen Serien." So verwundert es nicht, dass bei Beta derzeit Serienprojekte wie "Cannes Confidential" oder "Tell Me Who I Am" im Fokus stehen. Als 'Blue Sky'-Krimiserie mit abgeschlossenen Episodenfällen angekündigt, soll das von Dramacorp produzierte "Cannes Confidential" Anfang 2021 an der Côte d'Azur gedreht werden. Als Auftraggeber hat Beta die US-Streaming-Plattform Acorn TV gewonnen. Für das historische Familiendrama "Tell Me Who I Am", das im Herbst auf den Bildschirm kommen soll, brachte man gar den spanischen Streamer Movistar+ mit HBO Latin America und dem US-Network Telemundo zusammen.

Wem gehört Beta Film? Wie hoch ist der Gewinn?

  • Wer "Jan Mojto" googelt, bekommt als Ergänzung "Tochter" und "Vermögen" vorgeschlagen. Irgendwie passend, denn streng genommen ist der 72-Jährige angestellter Manager seiner Firmengruppe. Ihm selbst gehört nur noch weniger als ein halbes Prozent der Anteile. Seine Töchter Catharina, 43, und Maria Carolina, 41, teilen sich die Mehrheit von 85 Prozent der Beta Film. Geschäftsführer Moritz von Kruedener hält 5 Prozent, weitere Manager wie Oliver Bachert, Christian Gockel, Justus Riesenkampff und Dirk Schürhoff halten Kleinanteile.

  • Mojto, langjähriger Programmchef der Kirch-Gruppe, hatte die Beta Fim 2004 aus der Insolvenzmasse seines Ex-Arbeitgebers übernommen und zu neuer Blüte geführt. 2018 erwirtschaftete der Konzern 14 Millionen Euro Vorsteuergewinn bei 206 Millionen Euro Umsatz. Über 70 Prozent des Umsatzes kommen aus dem Produktionsgeschäft, nur noch knapp 24 Prozent aus dem Programmvertrieb.

Wesentlicher Architekt hinter der Produktionsstrategie von Beta Film ist Moritz von Kruedener, der im Unternehmen als Mojtos Kronprinz gilt. Den Titel "Managing Director" trug der frühere Kirch- und Sony-Pictures-Manager schon seit Jahren – offiziell im Handelsregister eingetragen ist er seit Mitte April als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer neben Mojto. An ihn berichtet seit Juli Koby Gal-Raday in der neu geschaffenen Position des Chief Content Officer (DWDL.de berichtete). Es steht zu vermuten, dass es nicht nur Teil seiner Mission ist, das Beteiligungsnetzwerk weiter zu vergrößern, sondern auch enger als bisher zu koordinieren. Zu den genaueren Plänen wie auch zum weiteren Ausbau wollten sich Mojto und von Kruedener auf DWDL.de-Anfrage nicht äußern – mit Verweis auf die coronabedingte Planungsunsicherheit.

Doch schon jetzt scheint klar, dass Beta Film in Post-Pandemie-Zeiten erst recht zu den aktiven Gestaltern der Konsolidierung zählen wird, weil der wirtschaftliche Druck auf unabhängige Produzenten – und damit ihr Bedarf an Unterschlupf – stark zunimmt. Fragt man Produzenten, die bereits Teil des Beta-Imperiums sind oder in entsprechenden Verhandlungen standen, bekommt man fast durchweg zu hören, der Konzern sei ein freundlicher Übernehmer. Die Zahlen deuten darauf hin, dass Beta im Hinblick auf Synergien mit dem Vertriebsgeschäft durchaus bereit ist, operative Verluste seiner Beteiligungen über einen gewissen Zeitraum zu tolerieren. So weisen knapp die Hälfte der Beteiligungsunternehmen im Produktionssektor für das jeweils jüngste einsehbare Geschäftsjahr einen Fehlbetrag aus, darunter die Ariane Krampe Filmproduktion, Good Friends, Sperl Film + Fernsehproduktion oder die X-Filme Holding, während Neuesuper oder Rosebank den Sprung in die Gewinnzone schafften.

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