Dass die Nerven im Haus der selbst verordneten Fröhlichkeit dieser Tage blank liegen, lässt sich an etlichen Stellen ablesen. Im Autorenstreik der amerikanischen Writers Guild tat Disney sich mit einem besonders harschen Brief an gegenwärtig für den Konzern tätige Showrunner hervor. Man wolle "ausdrücklich daran erinnern", dass Showrunner während des Streiks nicht von ihren produzentischen Pflichten entbunden seien. Das Studio beabsichtige, die "Produktion während des WGA-Streiks aufrechtzuerhalten" und sei dazu auch "gesetzlich berechtigt". Der Clash ist vorprogrammiert, weil prominente Showrunner wie Noah Hawley, Damon Lindelof, Shawn Ryan oder die Duffer-Brüder jeglichem Studiogelände aus Solidarität mit den Steikenden fernbleiben. Wenn Disney sie verklage, ließ sich einer von ihnen anonym im US-Branchendienst "The Ankler" zitieren, könne man "garantieren, dass diese Showrunner nie wieder für Disney arbeiten werden".

Während die Disney-Tochter Marvel Studios mit dem geplanten Kino-Reboot von "Blade" ein erstes Streikopfer zu beklagen hat, dessen Vorproduktion abgebrochen werden musste, stehen die Zeichen auch an der Dauerbaustelle Florida auf Eskalation. Konzernchef Bob Iger hat den republikanischen Gouverneur Ron DeSantis wegen einer "gezielten Vergeltungskampagne" gegen Disney verklagt. Die Vorgeschichte ist schon über ein Jahr alt: Etliche der 75.000 in Florida beschäftigten Disney-Mitarbeiter hatten gegen DeSantis' "Don't say gay"-Gesetz protestiert; dessen Regierung hatte Disney daraufhin einen besonderen Steuerstatus für dessen Freizeitpark entzogen. Immerhin lässt sich für Disney auf der Habenseite festhalten, dass der neue, alte CEO Iger in dieser Angelegenheit klarere Kante zeigt als sein Nachfolger und Vorgänger Bob Chapek, der im November wegen seines eher ungelenken Führungsstils gehen musste.

Bob Iger © Disney Klare Kante: Langzeit-CEO Bob Iger ist zurück aus dem Ruhestand
Im ruckeligen Zukunftsgeschäft Streaming, das Iger einst eingeleitet hatte und dessen Kosten unter Chapek explodiert waren, hat der zurückgekehrte Hoffnungsträger das Steuer derweil noch nicht herumreißen können. Fürs jüngste Quartal musste er diese Woche berichten, dass die weltweite Abonnentenzahl von Disney+ um vier Millionen gesunken ist – auf knapp 158 Millionen. Der Rückstand auf Netflix (233 Millionen) hat sich also wieder vergrößert. Manch anderer wäre sicher froh, eine so klar positionierte Plattform wie Disney+ zu haben, aber die klare Positionierung heißt eben auch, dass der Erfolg mit den großen Franchises der Marken Marvel und "Star Wars" steht und fällt. Nach Jahren des Overkills macht sich in Teilen des Publikums unverkennbar eine gewisse Franchise-Müdigkeit breit. Die im März gestartete dritte Staffel von "The Mandalorian" etwa verzeichnete deutlich geringeres Interesse als die ersten beiden – laut Daten von Parrot Analytics durchschnittlich nur noch 50 Prozent der Nachfrage, die der Auftakt 2019 genoss. Schon zuvor hatten die Abrufzahlen von "Boba Fett" weit unter denen der zweiten "Mandalorian"-Staffel gelegen, und "Andor" hatte zwar gute Kritiken eingefahren, aber die wenigsten Abrufe aller bisherigen "Star Wars"-Live-Action-Serien auf Disney+. Sollte "The Mandalorian" nach der bereits bestellten vierten Staffel zu Ende gehen, stünde der Streamer an seiner wichtigsten Stelle ziemlich blank da.

Für Iger jedoch scheint die Kostenfrage derzeit Vorrang zu haben. 5,5 Milliarden Dollar sollen erklärtermaßen eingespart werden. Im Zuge des konzernweiten Abbaus von rund 7.000 Stellen wurde besonders bei den Teams und Führungskräften von Disney+ geholzt. Von den Verantwortlichen für den Launch vor dreieinhalb Jahren ist so gut wie keiner mehr an Bord. In den kommenden Monaten will Disney eine noch nicht näher quantifizierte Anzahl von Inhalten von seinen Streaming-Plattformen entfernen, die dann anderweitig verwertet werden könnten, und im nächsten Quartal mutmaßlich 1,5 bis 1,8 Milliarden Dollar an Content-Investment abschreiben. "Im Einklang mit dieser strategischen Verlagerung", so Disney-CFO Christine McCarthy, werde man in Zukunft, spätestens ab 2024, ein "geringeres Volumen an Inhalten" produzieren. Das soll auch für nicht-englischsprachige Serien aus den lokalen Märkten gelten.

Um neue Abonnenten außerhalb der bisherigen Zielgruppen anzusprechen und die Nutzerbindung zu erhöhen, soll es im US-Markt gegen Jahresende erstmals möglich werden, die beiden Streaming-Dienste Disney+ und Hulu innerhalb einer einzigen App zu bündeln. Ein übergreifendes Abo ließ sich zwar auch bisher schon abschließen, doch noch sind die Plattformen technisch voneinander getrennt – anders als in den meisten internationalen Märkten außerhalb der USA, wo das für Hulu typische General-Entertainment-Angebot im "Star"-Segment von Disney+ ausgeliefert wird. Ebenfalls im Lauf des Jahres will Iger den Preis des regulären, werbefreien Disney+-Abos weiter nach oben schrauben, um die Profitabilität ein bisschen schneller zu erreichen.

Die engere Einbindung von Hulu spricht dafür, dass Disney vorhat, seinen Mitgesellschafter Comcast aus der Plattform herauszukaufen. Der Kabelkonzern, dessen Tochter NBC Universal den Streaming-Dienst Peacock betreibt, ist noch zu 33 Prozent an Hulu beteiligt und hat ab Januar 2024 eine Verkaufsoption für seine Anteile. Der vereinbarte Mindestwert dieser Anteile liegt bei 9,2 Milliarden Dollar. Mit konkreten Aussagen hält Iger sich noch zurück. Nur so viel: Das Streaming-Geschäft sei momentan "sehr, sehr heikel, und bevor wir große Entscheidungen über die Höhe unserer Investitionen in diesem Bereich treffen, wollen wir verstehen, wohin es gehen könnte". Zwischenzeitlich hatten manche Analysten gemutmaßt, dass Comcast seinerseits an einer Komplettübernahme von Hulu interessiert sein könnte, um es mit dem weitaus schwächeren Peacock zu fusionieren. Doch dieses Szenario ist mit Disneys jüngstem Schritt deutlich unwahrscheinlicher geworden.

Bei allen operativen Herausforderungen, die Iger schnellstmöglich bewältigen muss, bleibt ihm als weitere Großaufgabe auch noch die Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Nachdem er seinen geplanten Eintritt in den Ruhestand schon in früheren Jahren mehrfach verschoben und dann mit Chapek auf den falschen Mann gesetzt hatte, sollte beim nächsten Mal besser nichts schiefgehen. Igers gegenwärtiger Vertrag läuft bis Ende 2024. Disneys Aufsichtsrat hat die Nachfolgersuche zur Top-Priorität erklärt und ein "Succession Planning Committee" gebildet, dem neben anderen General-Motors-Chefin Mary Barra und Ex-Nike-CEO Mark Parker angehören. Wenn Iger ein halbwegs geordnetes Haus übergeben will, muss er sich ranhalten.

US-Studios im Umbruch – bisher erschienen