Glaubwürdigkeit ist im Nachrichtengeschäft das höchste Gut. Der amerikanische News-Anchor Brian Williams kann davon in diesen Tagen vermutlich ein Lied singen. Weil er eine Geschichte über seine Zeit als Repoter im Irak mit Details aufhübschte, die gar nicht der Wahrheit entsprachen, hat sich Williams gerade eine Fernseh-Auszeit verordnet - mit ungewissem Ausgang. Galt der 55-Jährige bislang als einer der beliebtesten, vor allem aber glaubwürdigsten Nachrichtenmoderatoren im amerikanischen Fernsehen, sieht er sich aktuell vor allem Spott und Häme in den sozialen Netzwerken ausgesetzt.

Hinzu kommt, dass sein Arbeitgeber NBC inzwischen angekündigt hat, weitere Einsätze seines Stars, der mit einem geschätzten Jahresgehalt von zehn Millionen US-Dollar zu den Topverdienern des Senders zählt, prüfen zu wollen. "Nach meiner Rückkehr werde ich meine Bemühungen fortsetzen, das Vertrauen derjenigen zu rechtfertigen, die uns Vertrauen entgegenbringen", schrieb Williams in einer Stellungnahme, die auf der NBC-Homepage erschienen ist. Kein leichter Weg, der dem Journalisten bevorsteht. Es ist eine hochbrisante Geschichte, die auf eindrucksvolle Weise belegt, wie schnell es mit der Glaubwürdigkeit dahin sein kann.

Nun lässt sich der Fall Williams freilich nicht vergleichen mit den Diskussion um die deutsche "Tagesschau", doch auch das Nachrichten-Flaggschiff der ARD stand in den vergangenen Wochen immer wieder in der Kritik. Der ARD-Programmbeirat wollte kürzlich im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt gar eine tendenziöse Berichterstattung ausgemacht haben (DWDL.de berichtete). Die Debatte ging nun so weit, dass sich etwa 50 Nachrichtenredakteure der "Tagesschau" vor wenigen Tagen zum Thema Glaubwürdigkeit von Nachrichten im Allgemeinen und der "Tagesschau" im Besonderen austauschten. "Das Thema brennt uns unter den Nägeln", gab ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke am Wochenende in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zu Protokoll und antwortete damit dem Medienjournalisten Stefan Niggemeier, der sich eine Woche zuvor über die "20-Uhr-Wirklichkeit" ausließ.

Die Nachrichten seien ein Ritual mit den immer gleichen Bildern, kritisierte Niggemeier. Hintergründe, Zusammenhänge und Widersprüche dürfe man von der Hauptausgabe der "Tagesschau" nicht erwarten. Tatsächlich kommt die Sendung, die noch immer Abend für Abend mehr als neun Millionen Zuschauer erreicht, mitunter wie ein Relikt aus alten Zeiten daher. Daran änderten auch das neue Studio und die Synchronstimme von Angelina Jolie, die inzwischen Jan Hofer oder Susanne Daubner ansagt, nicht wirklich viel. Wer etwas über die Zusammenhänge wissen will, wird nicht selten aufs Internet oder die "Tagesthemen" verwiesen. Doch kann das tatsächlich der Anspruch sein, den die Macher von Deutschlands renommiertester Nachrichtensendung im Jahr 2014 haben? Wohl kaum.

Der Blick zur BBC zeigt, wie es gehen könnte: Dort wird in einer halben Stunde umfassend, aber auch tiefgründig aus aller Welt berichtet. Mit Reportern, die mehr zu sagen haben, als nur ein paar Floskeln. Und mit Experten im Studio, die sich Mühe geben, die Auswirkungen von Entscheidungen verständlich einzuschätzen. Nun ist natürlich nicht davon auszugehen, dass die "Tagesschau" schon bald wie die Hauptnachrichten der britschen Kollegen daherkommen wird, doch "Tagesschau"-Boss Gniffke kündigte in der "FAS" nun immerhin schon einen Wandel der Sendung an. So wolle man bei der Themenfindung "härter sieben", versprach er in seiner Antwort auf Niggemeiers Rundumschlag. "Es könnte darauf hinauslaufen, dass wir die Zahl der Themen reduzieren, um die verbleibenden ausführlicher aufzubereiten", so der "Tagesschau"-Boss, für den diese Erkenntnis allerdings nicht neu ist. Schon 2011 formulierte er ein solches Vorhaben.

Was bleibt, ist jedoch das vermutlich größte Problem der "Tagesschau": Die Zeit. Mit ihrem starren 15-Minuten-Konzept stößt die Sendung inzwischen nämlich an ihre Grenzen. Genauer gesagt an jene Grenze, die sie fast dem gesamten deutschen Fernsehen mit ihrem Start vor mehr als 60 Jahren setzte. Die "Tagesschau" ist nämlich nichts weniger als der Taktgeber, nach dem sich zahlreiche Sender richten. Dass die Primetime allerorten um 20:15 Uhr beginnt, liegt einzig und alleine an der "Tagesschau". Bloß: In mehr als sechs Jahrzehnten haben sich das Nachrichtengeschäft, aber auch die Erwartungen der Zuschauer derart massiv verändert, dass die Sendung, würde man sie heute starten, vermutlich mehr Sendezeit zugesprochen bekäme, um dem Wunsch nach Einordnung ebenso gerecht werden zu können wie dem Versprechen, den Tag möglichst vollständig abzubilden.

Tatsächlich ist es nämlich eine große Stärke der "Tagesschau" gegenüber all ihren Konkurrenten, dass sie sich nicht ausschließlich den zwei oder drei großen Themen eines Tages zuwendet, sondern auch so mancher politischen Debatte, die anderswo keinen Platz fände. Diese müsste sich auch die "Tagesschau" sparen, will sie an anderer Stelle mehr Raum für Analysen bereitstellen. Ob das klassische Sprecher-Prinzip dann nicht vollends überholt sein wird, steht dabei auf einem anderen Blatt. Besonders deutlich werden die Grenzen der "Tagesschau" immer dann, wenn sich die ARD dann doch mal mehr Zeit nimmt, wenn also der "Brennpunkt" für eine vermeintliche Vertiefung sorgen soll. Während sich die "Tagesschau" stets betont seriös gibt, bietet die anschließende Sondersendung häufig den größtmöglichen Kontrast. Anstelle den Zuschauern eine verlängerte "Tagesschau" mit tiefgründigen Einschätzungen zu den Krisen dieser Welt anzubieten, werden nicht selten Chefredakteure auf Sendung geschickt, deren vorderstes Ziel es zu sein scheint, die Lieben daheim mit ihrem Gesicht zur besten Sendezeit beglücken zu wollen.

Erfreulicherweise hielt sich die ARD in diesem Winter bislang allerdings zumindest mit "Brennpunkten" zu plötzlich eintretenden Schneefällen zurück. Das ist ein Anfang, löst jedoch das Grundproblem der "Tagesschau", die Welt in einer Viertelstunde nur schwer erklären zu können, nicht. Sie wird sich öffnen müssen, um den Zuschauern mehr Hintergründe als bisher zu bieten - und sich gleichzeitig weniger angreifbar für all die "Lügenpresse"-Schreier zu machen. Es geht letztlich um nichts weniger als den Erhalt der Glaubwürdigkeit. Dass das nicht ohne Einschnitte an anderen Stellen gehen wird, ist tragisch, aber vermutlich kaum zu ändern. Der Primetime-Beginn ist gesetzt. Und das Wetter um 20:13 Uhr sowieso.