Stellen Sie sich einen Mann mit unnatürlich anziehendem Charme und Borderline-Wahnsinn vor, wie ihn beispielsweise schon Hannibal Lecter hatte. Diesen versehen Sie zusätzlich mit Francis Underwoods Intellekt und strategischen Talenten, ebenso wie mit Wolverines Kampffähigkeiten. Obendrauf streuseln Sie nun noch eine gehörige Portion Traumata und Familienprobleme - und voìla, fertig ist James Keziah Delaney, die von Tom Hardy verkörperte Hauptfigur in "Taboo". "Ich wollte, dass er wie ein klassischer Held ist, ein Mann der Tat, der jedoch auch eine tiefe Verdorbenheit in sich trägt", meinte Hardy einst selbst in einem Interview. "Jemand, der die tolle Eigenschaft hat, 'Fuck off' zu sagen." Er beließ es nicht bei Worten und lieferte einen Protagonisten ab, der die Originalität für eine potenziell ganz große Serie in sich trägt.

"Taboo" selbst zu beschreiben wird schon schwieriger. Dafür ist die von Tom Hardy und seinem Vater Chips Hardy inszenierte Dramaserie, die Anfang vergangenen Jahres erstmals bei BBC One zu sehen war, einfach zu mystisch und komplex. Wir befinden uns im Jahr 1814 im dreckigen London, zu einer Zeit, in der der Krieg zwischen den Briten und Amerikanern noch immer zu keinem Ende gekommen ist. Inszeniert wurde diese Welt mit einer cinematographischen Liebe zum Detail, die in seiner Düsternis an Regisseure wie Ridley Scott erinnert. Dafür verantwortlich zeichnet sich, überraschend passend, die Produktionsfirma Scott Free Productions, die den Scott-Brüdern gehört und maßgeblich an "Taboo" beteiligt war. Kinoflair darf vom Zuschauer also erwartet werden. Er wird geliefert. 

Zu eben erwähntem Krieg gehören aber nicht nur die Amerikaner und Briten per se, sondern auch die East India Company, einer der größten und mächtigsten Konzerne unserer Geschichte. Diese hat den wertvollen Fjord Nootka Sound in den USA im Auge, der geografisch so gelegen ist, dass der Besitzer unfassbare Handelsmöglichkeiten bekommt. Damit steht eben dieser im Fokus der großen drei Parteien, die für den Kriegsausgang auch diese Stück Erde eingeplant haben. Vorhang also auf für James Keziah Delaney.

Die Einführung von Tom Hardys Figur hätte kolossaler nicht geschehen können. Wie der Graf von Monte Cristo, der ebenfalls für tot gehalten wurde und plötzlich wieder die Bühne betrat, erscheint Delaney auf der Beerdigung seines Vaters. Niemand kann fassen, dass der Mann, der vor zehn Jahren nach Afrika gegangen ist, entgegen aller Gerüchte doch noch am Leben ist. Selbst seine Halbschwester ist sich sicher, einen Geist zu sehen. Doch hier ist er nun, bereit, sein Erbe anzutreten, das sein Vater ihm hinterlassen hat: Nootka Sound. Entgegen der vernünftig klingenden Entscheidung, seine Erbschaft an eine der Kriegsparteien weiterzuverkaufen, behält er sie und gründet eine eigene Handelsgesellschaft, um sich am Krieg zu beteiligen.

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Es klingt nicht nur wie ein gewaltiges Stück Geschichte, das die Hardy-Familie in Kombination mit dem Autoren Steven Knight ("Peaky Blinders") erzählen möchte. "Taboo" wirkt auch so. Auf der einen Seite lässt sich das Drama gemäß seines Titel ordentlich Zeit, um dem Zuschauer überhaupt zu erklären, was vor sich geht und in welche Richtung es gehen soll. Auf der anderen Seite aber quillen die Informationen zu gewissen Zeitpunkten aus allen Ecken, sodass zwischendurch kein Kaffee geholt werden sollte. Wie in "Game of Thrones"-Manier werden dann Charaktere en masse in den Raum geschmissen, die aufgrund des dunklen Looks und der meist reudigen Kleidung erst einmal schwer auseinander zu halten sind.

Was in anderen Serien aber Kopfschmerzen entfachen könnte, ist hier lediglich halb so schlimm. Im Fokus steht nämlich immer der Mann, bei dem von Anfang an klar war, dass er für den Fall oder Glanz von "Taboo" verantwortlich ist: Tom "selbst 'Lawless' ist wegen ihm sehenswert" Hardy. Dank seiner nicht abbrechenden charismatischen Bildschirmpräsenz und dem tollen Drehbuch von Steven Knight, der übrigens einer der Entwickler von "Who want's to be a Millionaire?" ist, macht es pure Freude, Delaney dabei zu beobachten, wie er droht, tötet, stiehlt, halluziniert und seine Schachfiguren auf makaberste Art und Weise aufstellt. Er lässt eine Serienfigur auflodern, die mit Faszination und Geheimnissen um sich schmeisst - mit beinahe zu vielen. Stellenweise fühlt sich "Taboo" noch nicht ganz so an, wie es bei "Lost" immer der Fall war: Mehr Fragen als Antworten wurden aufgeworfen, doch ist man nie in ein zu absurdes Verhältnis geraten. "Taboo" ist zu Anfang ein unfassbares Mysterium: Kam Delaney wirklich von den Toten zurück? Kann er tatsächlich mit Toten sprechen? Was hat es mit seinem Mutter-Komplex auf sich? Mit seinem Schwester-Komplex? Und wieso zur Hölle kann Tom Hardy selbst mit einem Hut, der sein halbes Gesicht verdeckt, so unfassbar schauspielern?

Man muss sich also darauf einstellen, dass "Taboo" kein seichtes Samstagnachmittag-Programm ist. Die Hardys und Knight haben sich tiefe Gedanken darüber gemacht, wie eine noch nie erzählte Geschichte eindrucksvoll auszusehen hat, die vor allem mit einem Protagonisten aufwarten kann, der in dieser Stärke erst selten erreicht wurde. 

"Taboo" läuft ab sofort samstags um 22:35 Uhr in Doppelfolgen bei RTL II. Zudem steht die Dramaserie bei Amazon zum Abruf bereit.