Ein Thriller lebt sehr davon, dass man glaubt, was der Autor einem da auftischt. Deshalb ist es manchmal leichter, wenn man einen Fall nur aufschreibt und ihn nicht auch noch bebildern und vertonen muss. Das lässt der Phantasie freien Lauf, weil sie nicht gestört wird durch optische oder akustische Unschärfen. Die nimmt der Mensch nämlich instinktiv auf, und sie stören die Bereitschaft, allem anderen zu glauben gelegentlich nachhaltig.

So wie beim RTL-Thriller „Das Joshua-Profil“. Den hat die UFA Fiction nach der Vorlage des gleichnamigen Bestsellers von Sebastian Fitzek inszenieren lassen. Ein Bestseller wohlgemerkt, und wenn man sich nur einmal in eine Buchhandlung verirrt und dort die überladenen Tische mit den Thrillern sieht, weiß man, dass dieses Genre gerade besonders gut läuft. Genau deshalb irritiert es so sehr, wenn gleich zu Beginn des Films der erfolglose Autor Max Rohde bei einer schlecht besuchten Lesung vom Organisator einen ziemlich blöden Rat bekommt. „Thriller verkaufen sich nicht so gut in Deutschland“, sagt der von Fitzek selbst (ha, ha, sehr originell) gespielte Buchhändler, der allerdings zu kurz im Bild ist, um möglicher Ironie eine Fallhöhe zu geben. Da denkt man als durchschnittlich gebildeter Zuschauer nur: Häh?

Man wird im Laufe der 109 Nettominuten noch öfter „Häh?“ denken. Muss man halt drüber weg über solche Ungenauigkeiten, die verhindern, dass sich ein Sog für die Geschichte entwickelt. Im vorliegenden Fall muss man zusätzlich noch so einiges an Bereitschaft mitbringen, sich auf ein paar hanebüchene Wendungen einzulassen, die geradewegs aus dem Grundkurs „wie schreibe ich einen Thriller“ stammen könnten.

Da wird etwa dieser Max Rohde von einem zugesteckten Handy zum Berliner Westhafen gelotst. Angeblich sei er in großer Gefahr, sagt ein Anrufer. Aber er als er dann zum Hafen kommt, sieht er nur einen Wagen in Flammen mit einem Mann drin.

Als er heimkehrt, findet er seine Pflegetochter in verwirrtem Zustand vor. Im Krankenhaus stellt sich heraus, dass sie K.O.-Tropfen bekommen hat. Als sich in Rohdes Schreibtisch ein Slip und seltsame Polaroids von seiner Tochter finden, tippt die herbeigerufene Polizei auf Kindesmissbrauch. Aus dem erfolglosen Buchautor ist plötzlich ein der Pädophilie Verdächtigter geworden. In der Folge überschlagen sich die Ereignisse. Das Jugendamt rückt an. Rohde und die Pflegetochter fliehen übers Dach, ihr Auto wird ferngesteuert in einen Unfall verwickelt, und im Krankenhaus wacht Rohde allein auf. Die Tochter ist verschwunden, und er gilt als der Entführer.

Man muss das alles schon sehr dringend glauben wollen, um über die erste ziemlich zähe halbe Stunde dabeizubleiben und zu erfahren, dass da irgendwelche geheimen Mächte in irgendwelchen blaugrauen Gewölben vor Bildschirmbatterien hocken und alle und insbesondere Rohde überwachen, weil sie ein Programm laufen haben, dass dem in die Bedrängnis geratenen Mann vorab genau jene Verbrechen unterstellt hat, derer er nun verdächtigt wird.

Das Joshua-Profil© MG RTL D / Boris Laewen

Es reihen sich im Laufe dieses zum Karfreitags-Abendmahl servierten Komplott-Kompotts die Unwahrscheinlichkeiten, die falschen Pausen und die Lässlichkeiten. Immer wieder muss Torben Liebrecht in der Rolle des Max Rohde mit weit aufgerissenen Augen in die Gegend starren. Kaum zu glauben, signalisiert das überdeutlich, und es ist in der Tat kaum zu glauben, wie leicht es sich Regisseur Jochen Alexander Freydank mit dem Ablauf gemacht hat. Da passt so einiges nicht zusammen, und halbwegs erträglich wird es erst nach 70 Nettominuten, wenn der Protagonist am Tiefpunkt der Entwicklung angekommen ist und deutlich wird, dass es weiter abwärts nicht gehen wird. Von nun an wird der Gejagte zum Jäger.

Das Motiv ist aus eintausend „Auf der Flucht“-Variationen so bekannt, dass man es beinahe schon vorab herunterbeten kann. Wenigstens kommt nach dem Wendepunkt ein bisschen Spannung auf, keimt ein wenig Hoffnung auf plausiblen Fortgang.

Aber dann lassen sie auch diese Zügel fahren und treiben die Handlung mit handelsüblicher Thrillerlogik vor sich her. Am Ende, so viel darf man verraten, ist alles wieder gut, aber auch alles wieder schlecht, weil Dinge aus Abgründen zu Tage getreten sind, von denen man allenfalls ahnte, dass sie überhaupt existieren.

Die schönsten Momente liefert in diesem halbgaren Überwachungseintopf noch Armin Rohde, der als halbseidener Anwalt auf Seiten des Gejagten für unverhoffte Lockerheit zwischendrin sorgt. Leider muss Rohde am Ende auch noch einen ziemlich bescheuerten Satz sagen, der den bescheuerten Satz des Lesungsorganisators vom Anfang noch einmal eine Spur dämlicher erscheinen lässt. „Eine Million verkaufte Exemplare, und RTL will einen Film draus machen“, sagt er begeistert. Da merkt man, dass der wahre Grusel erst noch droht.

RTL zeigt "Das Joshua-Profil" am Karfreitag um 20:15 Uhr.