Alfred Hitchcock war ein Mann, der Horror wahrlich nachvollziehbar verpacken konnte. Ob die Rede nun von “Vertigo” ist, oder doch von “Psycho”. Er hat es stets geschafft, sein Publikum mit simplen und raffinierten Inszenierungen in den Bann zu ziehen. Dafür brauchte der Meister des Suspense keine Zombies, Geister oder Angriffe durch Außerirdische. Er spielte lediglich mit Dingen, die uns selbst ganz nahe sind. Ob es der Nachbar von gegenüber ist, der scheinbar einen Mord begeht oder wildgewordene Vögel, die plötzlich auf die Menschen einstechen. Diesen Stil mochten wohl auch die dänischen Macher von “The Rain”. Die Postapokalypse der neuen Netflix-Serie folgt nämlich nicht dem Untoten-Muster von “The Walking Dead”, sondern bietet etwas viel gruseligeres: Wasser, das schlimmer ist als jeder Untoten-Biss.

Der Regen, der in “The Rain“ fällt, tötet bei direktem Kontakt. Während bei Zombie-Weh-Wehchens also noch fix das betroffene Körperteil entfernt werden könnte, ist hier absolute Vorsicht geboten. Warum das so ist und wie es überhaupt dazu kam, dass das Wasser, das vom Himmel kommt, nun mit einem Virus verseucht ist, weiß zunächst niemand. Auch nicht die zwei jungen Geschwister Simone (Alba August) und Rasmus (Lucas Lynggaard Tønnesen), die von ihrem Vater mitsamt ihrer Mutter schnell in einen Katastrophenbunker gebracht werden, bevor auch sie erwischt werden. Laut eigener Aussage ist er der Einzige, der diese Krise umkehren kann.

Deswegen macht er sich auch schnell wieder auf und davon, ohne seiner Familie wirklich erklärt zu haben, was hier eigentlich vor sich geht. Vom heilen Schulaufenthalt Simones, bis zur hektischen Flucht durch den Vater, bis hin zur Einlebung im Bunker vergehen nur wenige Spielminuten, weshalb die Verwirrung nicht nur auf Seiten der aus dem Leben gerissenen Kids liegen könnte, sondern auch zu Hause vor den Bildschirmen. Aber keine Angst: Das ist lediglich ein Sprint, den “The Rain” hinlegt, um direkt im postapokalyptischen Setting loszulegen.

Dass es keine Zombies gibt, bleibt nicht der einzige Gegensatz zum AMC-Welthit “The Walking Dead”. Auch die Sinnsuche der Serie geht einen anderen Weg. Während Rick Grimes und seine Truppe sich lediglich von Station zu Station durchschlagen, um zu überleben, möchte “The Rain” auch wissen, warum eigentlich. Warum gibt‘s da diesen Virus, der solch fatale Folgen hat? Und wie kann er gestoppt werden?

Während Fans von “The Walking Dead” auch nach nunmehr acht Staffel noch hoffen müssen, dass diese Fragen irgendwann einmal möglicherweise geklärt werden, greift “The Rain” diesen Gedanken recht früh auf. Aber auch hier geht es natürlich zunächst ums Überleben. Simone und Rasmus harren nämlich ganze sechs Jahre in dem Bunker aus, ehe sie sich wieder nach draußen trauen. Wo ihre Mutter geblieben ist, sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: Wie sie abhanden kommt, darf einer solch ambitionierten Serie nicht passieren. Besagte Szene wirkt fast, als ob die Macher das Handbuch für dämliche und unlogische Protagonistenentscheidungen zu Rate gezogen hätten.

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Momente wie diese gibt es leider einige. Manche sind weniger schlimm, als andere. Beispielsweise ist es zwar eine dumme Entscheidung des Grenzsoldaten, eine offensichtlich sterbende Mutter mit Baby passieren zu lassen. Dennoch ist auch nachvollziehbar, dass er ihr nicht eiskalt in den Kopf schießen kann. Wenn jedoch jemand in einer Welt, in der jede Berührung mit Wasser tödlich enden kann, beinahe barfüßig im Wald herumspaziert, ist das einfach nur dumm.

Das zeigt aber, wie sehr der Zuschauer bei “The Rain” mitdenken kann. Klingen Zombies im ersten Augenblick noch deutlich angsteinflößender, wird einem selbst doch schnell klar, wie verstörend der Gedanke ist, vor jedem Tropfen Wasser aufpassen zu müssen. Geschweige dessen, dass ein Mensch selbst zu knapp 70 Prozent aus Wasser besteht und er auch ab und an mal was trinken sollte. “The Rain” spielt außerdem in üppigen skandinavischen Wäldern, wo es eigentlich keinen Quadratzentimeter ohne Wasser gibt. Die Voraussetzungen könnten also nicht schlechter beziehungsweise spannender sein.

Würde Altmeister Hitchcock noch leben und hätte er ein Projekt wie “The Rain” in die Hände genommen, wäre es spannend gewesen, wie seine Cast-Zusammenstellung ausgesehen hätte. Fragwürdig, ob er eine solch junge Schauspielerriege ausgewählt hätte, wie hier geschehen. Die dänischen Showrunner, bestehend aus Jannik Tai Mosholt, Esben Toft Jacobsen und Christian Potalivo wollten aber zwischen all der Weltuntergangsstimmung einen Aspekt mit einbauen: Der jugendliche Geist und kindische Scherze, die auch in der echten Welt in Krisensituationen aufblitzen, wurde hier eingefangen und gibt “The Rain” eine menschliche Note, durch die sich der Zuschauer mit den Protagonisten verbunden fühlt.

Trotz manch fragwürdigen Moments zeigt die neue Netflix-Serie also nicht nur, wie schön es manchmal wäre, einen Regenschirm parat zu haben. Der Achtteiler bietet vielmehr eine Postapokalypse, die durch die charaktergetriebene Geschichte kein leidiges Wegrennen vor dem Problem ist. Ein “The Walking Dead” hätte sich Hitchcock wahrscheinlich nicht anschauen wollen. Bei “The Rain” wäre ich mir da nicht so sicher.

Die achtteilige erste Staffel von "The Rain" steht seit dem 4. Mai auf Netflix zur Verfügung