Erinnern Sie sich noch an "Babyboom"? Mehr als fünf Jahre liegt es zurück, dass sich RTL an eine Adaption der gefeierten britischen Doku-Reihe "One Born Every Minute" wagte. Mit zahlreichen fest installierten Kameras wollte der Sender damals zeigen, wie der Alltag auf einer Entbindungsstation aussieht. Es sollte nicht lange dauern, bis die Berliner Politik das Projekt unter dem Schlagwort "Big Brother im Kreißsaal" derart zerredete, dass RTL entnervt den Stecker zog, noch ehe es richtig losgehen konnte.

Die neue Dokusoap "Unsere Schule", die am Montagabend bei Vox ihre Premiere feierte, lässt diese Erinnerungen wieder wach werden, denn auch wenn es sich diesmal um ein ganz anderes Setting handelt, so ist die Herangehensweise der Produzenten doch identisch: 30 festinstallierte Kameras und mehrere Kamerateams sollen eine möglichst unverstellte Inneneinsicht an einer Ganztagschule gewähren. Und wieder ist das Vorbild ein britisches.

Gerade weil die Schule ein ziemlich sensibler Raum ist, hätte vieles schiefgehen können bei dem Projekt. Glücklicherweise haben Vox und die Produktionsfirma Imago TV bei der Umsetzung viel Fingerspitzengefühl bewiesen. Herausgekommen ist ein liebesvolles, oft stilles und in seinen besten Momenten packendes Stück Fernsehen, das einen positiven Blick auf den Schulalltag lenkt, ohne jedoch Probleme und Herausforderungen zu verharmlosen. Es reiht sich ein in den Reigen, den kürzlich schon "Die Klinik" bei kabel eins begonnen hatte (lesen Sie hier die TV-Kritik)

Wohltuend unaufgeregt werden die Geschichten von Lehrern, Schülern und Eltern erzählt. So wie jene des Fünftklässlers Anthony, der in Aschersleben nun schon seinen vierten Neuanfang wagt und erstaunlich offen über die Vergangenheit spricht, in der er mehr als einmal Mobbing am eigenen Leib erfahren hat. Die 15-jährige Lisa wiederum kämpft mit den Problemen des Erwachsenwerdens und fällt nicht nur durch gute Noten, sondern auch durch ein rebellisches Verhalten auf. Den Grund dafür erfahren die Lehrer erst, als sie sich näher mit ihr befassen.

Unsere Schule© MG RTL D / Andreas Friese

"Unsere Schule" geht in diesen beiden Fällen in die Tiefe, ohne Sensationslust an den Tag zu legen. Vielleicht ist genau das der Grund, weshalb sich nicht nur Lisa und Anthony vor der Kamera öffnen, sondern auch eine Lehrerin, die unter Tränen darüber spricht, weshalb ihr Traum vom Lehrerberuf vor wenigen Jahren beinahe geplatzt wäre.

Und dann ist da auch noch Katrin Jelitte, die Direktorin, die allerdings nicht als solche bezeichnet werden möchte. Der Begriff sei "zu brutal", sagt sie. Wer sie in der ersten Folge sieht, erkennt schnell, was sie damit meint. Jelitte ist mehr Moderatorin und Kümmerin als strenge Schulleiterin. "Manche Leute glauben ja, dass Schule generell immer an allem Schuld ist in der Gesellschaft", sagt sie in einem Vox-Interview und äußert die leise Hoffnung, dass die Sendung einen Beitrag dazu leisten kann zu erkennen, was in Schulen wirklich geleistet wird.

Schon nach einer Stunde lässt sich sagen: Das ist tatsächlich gelungen. Und mit "Big Brother" hat all das rein gar nichts zu tun.

Vox zeigt sechs Folgen des neuen Formats "Unsere Schule" jeweils montags um 20:15 Uhr.