Authentizität ist ein oft bemühter Begriff, wenn es um Reality-TV-Formate geht. Wie kann man mit echten Menschen wahrhaftige Geschichten erzählen, die für die Zuschauer spannend und unterhaltsam zugleich sind? Das ist keine triviale Frage, wie wohl so ziemlich alle Programmmacher wissen. Der WDR musste das erst kürzlich schmerzhaft erfahren, als man einräumen musste, bei einer vermeintlich "echten" Doku-Reihe mit eingekauften Komparsen gearbeitet zu haben. Bei Sat.1 ist am Sonntag ein Format in seine 10. Staffel gestartet, das vor Authentizität nur so strotzt: "The Biggest Loser".

Bei der Abspeckshow muss man nicht auf komparse.de zurückgreifen. An der Show nehmen nämlich nur Kandidaten teil, die wirklich etwas in ihrem Leben verändern wollen. Über mehrere Woche hinweg werden sie in einem andalusischen Trainingscamp von Ex-Kickbox-Weltmeisterin Christine Theiss (Camp-Chefin) und den beiden Coaches Ramin Abtin und Mareike Spaleck derart hart rangenommen, dass nicht selten völlig veränderte Personen, zumindest äußerlich, die Show verlassen. Hier ist alles echt: Es gibt keine Show, nur den Kampf der Kandidaten gegen ihre Kilos. Das ist manchmal etwas überzeichnet, aber die Waage lügt nicht. Die Trainingserfolge sind echt. 

"The Biggest Loser" hat alles für eine spannende Show: Sportlichen Wettkampf, Tipps rund ums Essen, teilweise herzzerreißende Geschichten der Kandidaten, die auf ihrem langen Leidensweg zum Idealgewicht begleitet werden. Für die "ehrliche" Atmosphäre sorgt außerdem das Bootcamp-Feeling in der Show: Die Kandidaten hocken tatsächlich über einen vergleichsweise langen Zeitraum zusammen und haben sich nur einem Ziel verschrieben: abnehmen. Und wenn man als Zuschauer dranbleibt, durchlebt man mit den Teilnehmern nicht nur Höhen und Tiefen, man kann auch wundervoll mit ansehen, wie sie sich im Laufe der Zeit verändern.

Auch Theiss und die beiden Coaches sind ein großer Gewinn für die Show. Sie sind manchmal sehr streng mit den Kandidaten, vor allem aber stacheln sie sie immer zu neuen Höchstleistungen an. Auch die sportlichen Wettkämpfe sind ein schöner Teil der Show, beschränkt man sich doch nicht nur darauf, die Kandidaten auf dem Crosstrainer zu zeigen. Da müssen sie dann schon einmal einen lebensgroßen Ball einen steilen Berg hinaufrollen und am Ende schnellstmöglich wieder runter laufen. Was zunächst nach einem netten Urlaubsspiel klingt, ist für Menschen mit Übergewicht eine Höchstleistung.

Sportliche Wettkämpfe wie bei "Survivor"

Wer schon einmal "Survivor" gesehen hat weiß: So weit weg ist das nicht von der erfolgreichen CBS-Show. "Biggest Loser" und "Survivor" ähneln sich hier in gewisser Weise - die Psychospielchen bei der Survival-Show sind natürlich ganz andere. In der "Biggest Loser"-Auftaktshow am Sonntag war das alles noch ein wenig zurückhaltender, hier musste man aber auch zunächst einmal 18 von insgesamt 50 Kandidaten aussieben. Aber auch im Olympiastadion in München mussten sie in einem Hindernisparcours Autoreifen ziehen, Wände hochklettern und unter Netzen hindurch krabbeln. "Das ist meine Chance, wieder normal leben zu können", sagte eine Kandidatin zu Anfang der Sendung. Das ist es, das "Biggest Loser" von anderen Shows unterscheidet. Hier kommen die Teilnehmer, um danach ein normales Leben zu führen - nicht um berühmt zu werden. Das macht die Show bodenständig. 

"Biggest Loser" ist die einzige Abspeckshow, die sich im deutschen Fernsehen langfristig etabliert hat. Mit "Rosins Fettkampf" war kabel eins zuletzt zwar auch recht gut unterwegs, diese zieht aber vor allem aufgrund des prominenten Teilnehmers. Auch in Sachen Authentizität ist das Format längst nicht auf einem Niveau mit "The Biggest Loser". Von der Sat.1-Show gab es 2014 mal eine Teen-Version, die mit zweistelligen Marktanteilen ebenfalls recht gut lief. Damals gab es zwar auch Kritik wegen der teils minderjährigen Kandidaten - das hat aber noch nie einen Sender davon abgehalten, eine erfolgreiche Show fortzusetzen.

"In solch einer Sendung werden Menschen vorgeführt", sagte Heinz Hilgers, Präsident vom Deutschen Kinderschutzbund, damals. Zugegeben, manche Detail-Kamerafahrt über die korpulenten Körper der Kandidaten muss nicht sein, vor allem wenn die Teilnehmer von minderjährig sind. Das Abnehmen, und damit auch die Veränderungen der Körper, sind allerdings Grundbestandteil der Sendung. Grundsätzlich ist "The Biggest Loser" weit entfernt von dem, was man gemeinhin unter dem "Vorführen von Kandidaten" versteht. "Schwer verliebt" & Co. lassen grüßen.

Von ProSieben über kabel eins zu Sat.1

Auch der Werdegang der Sendung selbst ist ungewöhnlich und interessant. Vor zehn Jahren startete die erste Staffel bei ProSieben, dort war man aber nicht glücklich über die vergleichsweise mageren Quoten. "Biggest Loser" wanderte zu kabel eins, wo es zwei Staffeln lang sehr gut lief. Seit 2012 ist die Show schließlich in Sat.1 zu sehen und auch dort experimentierte man fleißig. Weil es am Sonntagvorabend sehr gut lief, holte man die Staffeln sechs und sieben in die Primetime - und ging damit baden - zumindest aus damaliger Sicht. Heute wären Marktanteile von 8 oder 9 Prozent schon gar nicht mehr so schlecht, sonntags läuft es für "The Biggest Loser" in der Regel aber noch deutlich besser, also verfrachtete Sat.1 das Format wieder dorthin.

Seither ist nur noch das Finale der jeweiligen Staffeln in der Primetime zu sehen, das funktioniert auch sehr gut. 2018 sahen zweieinhalb Millionen Menschen zu, der Marktanteil in der Zielgruppe lag bei 15,6 Prozent. Das Format hat nach einer langen Findungsphase nun offenbar den richtigen Sender sowie den perfekten Sendeplatz gefunden. Aus ProSiebenSat.1-Sicht ist das Format auch deshalb wichtig, weil es von RedSeven Entertainment produziert wird. Die komplette Wertschöpfungskette bleibt damit also im eigenen Haus.

In den kommenden Wochen können die Zuschauer wieder 18 Kandidaten beim Abnehmen zusehen. Und halten sich RedSeven und Sat.1 an die Stärken, wird dabei aus Quotensicht auch nicht viel schiefgehen. "Wir erzählen wahre Geschichten mit 'echten' Menschen und jeder kann das Leiden, aber auch den Erfolg, hautnah miterleben", sagte Christine Theiss mal in einem Interview und hat damit die Stärken des Formats auf den Punkt gebracht.