Hand in Hand gingen vor wenigen Jahren die gelernten Sendeplätze und eine komplementäre Programmplanung innerhalb der damals noch Mediengruppe RTL Deutschland genannten Sendergruppe. Inzwischen wurde insbesondere im Sinne der Aktualität viel aufgebrochen und experimentiert. Aber auch andere Genres profitieren von neuen Freiheiten. Alles ist in Bewegung - was jedoch auch zu merkwürdigen Programmierungen führte, die auch angesichts der früher so extremen Disziplin bei RTL mehr auffallen als anderswo.

"Unter Freunden stirbt man nicht"

Die mit Iris Berben, Heiner Lauterbach, Walter Sittler, Adele Neuhauser und Michael Wittenborn sehr prominent besetzte Miniserie "Unter Freunden stirbt man nicht" wurde nach der Premiere bei TVNow (heute RTL+) im vergangenen Jahr auch ins FreeTV geholt - allerdings nicht zu RTL sondern Vox. Ob die Mehrheit des Publikums wirklich weiß, dass Vox zu RTL gehört und die Entscheidung für Vox damit auch als Skepsis des Hauses gedeutet werden kann, dass die Produktion für RTL nicht stark genug ist, ist Spekulation.

Iris Berben, Heiner Lauterbach, Walter Sittler, Adele Neuhauser und Michael Wittenborn sind aber zweifelsohne Namen, die dem etwas älteren RTL-Publikum bekannter sein dürften als dem Vox-Publikum. Leider glaubt man in Köln-Deutz noch immer, besondere fiktionale Stoffe würden zum Markenkern von Vox gehören, wenn die Wahrheit nach unzähligen Versuchen doch so aussieht: Außer "Club der roten Bänder" hat nichts in vergleichbarem Maße gezündet.

Also lief "Unter Freunden stirbt man nicht" völlig auf sich gestellt bei einem Sender, bei dem diese Schauspiel-Riege sicher nicht gesucht wird. Mit einem bekannten, sehr öffentlich-rechtlichen Cast wäre eine Programmierung bei RTL z.B. montags im Anschluss eines einstündigen "Wer wird Millionär?" spannend gewesen, weil Jauchs Quiz zweifelsohne auch zu den "öffentlich-rechtlicheren" Sendungen bei RTL gehört. Hier hätte der Audience Flow Anschub leisten können.

"Sing meinen Song" / "I can see your voice"

Einer der etablierten Vox-Erfolge ist das charmante Format "Sing meinen Song - das Tauschkonzert", das seit 2014 mit allen Staffeln am Dienstagabend lief. In der damaligen Mediengruppe RTL Deutschland war man bei Präsentationen für die Werbekunden und Presse stets besonders stolz auf die komplementäre Programmierung der beiden großen Sender RTL und Vox. In Zeiten schwindender Bedeutung von US-Fiction für lineare Sender ist das zugegeben schwieriger geworden, die Abende so sauber aufzuteilen wie früher wo unter der Woche Montag, Mittwoch und Freitag den RTL-Eigenproduktionen gehörte und Vox sich auf den Dienstag und Donnerstagabend fokussierte.

Im Frühjahr 2021 gab man sich dann aber gar keine Mühe mehr überhaupt komplementär zu programmieren: Während bei RTL ab dem 30. März die zweite Staffel von "I can see your voice" am Dienstagabend lief, startete am 20. April bei Vox die neue Staffel "Sing meinen Song - das Tauschkonzert". Drei Wochen lang liefen die beiden Sendungen parallel.

Zwei Musikshows gegeneinander, noch dazu mit gleichem Personal. Gastkünstler in den am 20. und 27. April ausgestrahlten Folgen waren Hartmut Engler und Jeannette Biedermann - die beide auch schon bei "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert" mitmachten. Ergebnis der doppelten Musikshow-Dröhnung: "Sing meinen Song" holte den schwächsten Staffelstart und "I can see your voice" die drei schlechtesten Reichweiten des Formats, das trotzdem unter neuem Namen fortgeführt wird. Offenbar gab es auch bei RTL die Erkenntnis, dass die am Ende mauen Quoten nicht am Format sondern möglicherweise der Programmierung lagen.

"7 Tage, 7 Köpfe"

Es sollte das Comedy-Comeback des Jahres werden, wurde sogar ganz ungewöhnlich zur Primetime im RTL-Programm angekündigt. Doch dann hat man "7 Tage, 7 Köpfe" zwar einmalig den Abschub durch das Dschungelcamp gegönnt, dann aber am Samstagabend verloren hinter einem schwachen "Deutschland sucht den Superstar" versenkt, obwohl man am Freitagabend mit "Let's dance" ein starkes Zugpferd hat, das ähnlich wie der Wochenrückblick ein eher älteres Publikum anspricht (ähnlich wie bei "Unter Freunden stirbt man nicht")

Zugegeben: Für eine Programmierung am Freitag um 23.15 Uhr hätte man "Let's dance" straffen und auf die kostengünstige Verlängerung mit Frauke Ludowig verzichten müssen - aber es wäre eine ganze "Let's dance"-Staffel lang ein starker Anschub gewesen um die "7 Tage, 7 Köpfe"-Neuauflage dauerhaft zu etablieren.

Dass die "heute show" als stärkstes Comedy-Format im deutschen Fernsehen in der Regel um kurz nach 23 Uhr endet und viele Zuschauende freisetzt, die sich beim spitzeren "ZDF Magazin Royale" nicht wiederfinden, hätte man auch für sich nutzen können. Inzwischen ist das Format zwar auf den Freitagabend umgezogen, wird aber mitten in der Nacht versendet.

"Balko"

Im Zuge der großen Retro-Welle hat RTL eine der früheren Kult-Krimiserien wiederbelebt: "Balko" ist zurück und sollte für RTL der Beginn einer neuen Fiktion-Strategie in Richtung Reihen mit abgeschlossenen Handlungen pro Abend sein. Eine grundsätzlich naheliegende Taktik, weil es horizontal erzählte Serien abseits der Dailysoaps im linearen Fernsehen immer schwerer haben, weil sie sich besser on demand konsumieren lassen. Die Idee also: Ein Abend, ein Fall. Lieber nur die Verabredung für einen Abend als gar keine.

Doch warum bloß kommt man auf die Idee, ein solches Comeback an einem Donnerstagabend zu programmieren, wo man nicht nur gegen ein starkes fiktionales Angebot sondern gleich zwei Filme im Ersten und beim ZDF läuft und absehbar untergehen wird. Die Stärke der etablierten Krimi-Reihen von ARD und ZDF ist bekannt. An diesem Abend interessieren die beiden Filme zusammen fast 12 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer für sich. Mit 1,13 Millionen ging "Balkon Teneriffa" dagegen völlig unter. Natürlich: Leichte Abende gibt es nicht, leichtere ohne 12 Millionen die sich für etablierte fiktionale Reihen entscheiden, allerdings schon.

Es sind vier Beispiele die zeigen: Der Fernsehmarkt ist wahrlich in Bewegung, wenn auch der größte Privatsender sich nicht mehr darauf verlassen, dass etwas schon gefunden wird, nur weil RTL es anbietet. Andere Sender haben ähnliche Probleme, sogar weniger Erfolg insgesamt. Gerade deshalb aber ist es so bemerkenswert wie unsicher Programmierungen selbst für den erfolgreichsten Privatsender geworden sind. Jahrelang wurde gescherzt: Egal was RTL nur intensiv genug betrailert, es wird dann zumindest gefunden.

Die Zeiten sind andere und deshalb erscheint es umso wichtiger die noch vorhandenen Gelegenheiten für einen Audience Flow auch zu nutzen. Eigentlich eine Binsenweisheit, die aber dann doch oft nicht genutzt wird. Klar, man muss auch an die Stärke eines Programms glauben. Nur auf den Audience Flow zu setzen, könnte wirken als traue man es dem Format sonst nicht zu, zu funktionieren.

Aber ein Neustart, der auf sich selbst gestellt ist, wurde früher mit massiver Werbekampagne begleitet. Heute, wo der Wettbewerb noch um ein vielfaches intensiver geworden ist und immer mehr Marktteilnehmer um das nicht wesentlich veränderte Zeitbudget der Zuschauenden kämpft, sind gerade diese mit Pauken und Trompeten versehenen Neustarts eine Seltenheit geworden.

Sich dann noch selbst Konkurrenz zu machen oder in fast hoffnungslose Konkurrenz zu treten, ist wahrlich unglücklich. Das Aufbrechen von fixen Strukturen, flexiblere Programmplanung und manche Experimente erfordern natürlich den Abschied von alten Sicherheiten - aber sollten trotzdem nicht zu unachtsamen Programmierungen führen, die es Sendungen dann noch unnötig schwer machen.