Zwei Rücktritte innerhalb von 72 Stunden – das hat es in der ARD vermutlich noch nie gegeben. Doch der scheibchenweise Rückzug von Patricia Schlesinger passt ins Bild, das die bisherige RBB-Intendantin und ARD-Vorsitzende in den zurückliegenden Wochen abgegeben hat. Als die gegen sie erhobenen Vorwürfe eine stattliche Zahl erreichten, versprach Schlesinger Transparenz, versuchte es aber zugleich immer wieder mit Ablenkungsmanövern.

Die Berichterstattung gegen sie habe "Kampagnencharakter", beklagte Schlesinger kürzlich im "Tagesspiegel" und zeigte sich kämpferisch: "Das werden wir durchstehen müssen." Inzwischen weiß man: Patricia Schlesinger hat es doch nicht durchgestanden – und das war zu erwarten. Nicht, weil es die Springer-Presse, allen voran "Business Insider", war, die mit ihren Recherchen den Fall ins Rollen brachte. Sondern weil sich durch die zahlreichen Puzzlestücke, die im Laufe der zurückliegenden Wochen an die Öffentlichkeit drangen, auch ganz neutral betrachtet das Bild einer Intendantin ergaben, die erstaunlich wenig Gespür dafür hat, was sich richtig oder falsch anfühlt.

Da ging es plötzlich um Abendessen mit angeblich wichtigen Menschen in ihrer Privatwohnung, einen mit Massagesitzen ausgestatteten Dienstwagen und zwei Chauffeure, die sie auch für private Fahrten nutzte. Zuletzt drang ein umfangreicher Umbau der Chefetage nach außen, der angeblich über 600.000 Euro gekostet haben soll. Man kann sich gut vorstellen, dass solche Details bei der Belegschaft nicht sonderlich gut angekommen sind – erst recht, wenn Schlesinger noch ein Jahr zuvor in einem "Spiegel"-Interview zu Protokoll gibt: "Sparen ist unser Alltag."

Wolf, Schlesinger, von Kirchbach © RBB/Oliver Ziebe Der bisherige Verwaltungsratsvorsitzende Wolf-Dieter Wolf, die zurückgetretene RBB-Intendantin Patricia Schlesinger und die Rundfunkratsvorsitzende Friederike von Kirchbach bei Schlesingers Wiederwahl 2020.

Doch ganz unabhängig davon, wie nun der Menüplan ihrer Dinner aussah und mit wie vielen Pferdestärken ihr rollendes Büro ausgestattet war, so bleiben die Verstrickungen rund um Beraterverträge über das Digitale Medienhaus das eigentlich Skandalöse. Dass ihr Ehemann, der frühere "Spiegel"-Journalist Gerhard Spörl, noch dazu an einen gut dotierten Vertrag bei der Messe Berlin kam, deren Aufsichtsrat der bisherige RBB-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf ist, hat mehr als nur ein Geschmäckle und ist, wie man seit diesem Montag weiß, auch Gegenstand erster Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.

Da wurden Grenzen überschritten, die mindestens moralisch fragwürdig sind. Schon alleine deshalb wäre ein Verbleib Schlesingers beim RBB nur schwer zu rechtfertigen gewesen. Dazu kommt der Imageverlust für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt: Wohl kein ARD-Vorsitz hat dem Senderverbund dermaßen geschadet wie der RBB in nur sieben Monaten. Die RBB-Affäre ist auch deshalb ein fataler Rückschlag für das öffentlich-rechtliche System, weil sie Vorurteile bedient und all jene, die ARD und ZDF am liebsten heute als morgen abschaffen würden, in ihrem Glauben bestätigt. Immerhin: Dass der RBB, etwa im eigenen "Medienmagazin", kritisch über die zweifelhaften Vorgänge im eigenen Haus berichtete, zeigt, dass der Journalismus in der Anstalt funktioniert.

Schlesinger selbst hat übrigens angekündigt, sich vorerst nicht weiter äußern zu wollen - wie das zu ihrem Transparanz-Versprechen passt, bleibt indes offen. Allerdings wird sich nicht nur die zurückgetretene Intendantin kritischen Fragen stellen müssen. Auch die Aufsichtsgremien müssen sich fragen, ob sie ihren Aufgaben vollumfänglich nachgekommen sind. Zu gerne rühmt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit, so gut kontrolliert zu werden wie kein anderes Medium. Im vorliegenden Fall scheint die Kontrolle aber - vorsichtig formuliert - ausbaufähig zu sein. 

Nun ist es an der ARD und ihren Gremien, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Dass Patricia Schlesinger innerhalb des Senderverbunds öffentlich keinerlei Fürsprecher hatte, zeigt, dass der Ernst der Lage in anderen ARD-Anstalten schon früh erkannt wurde. Schlesingers kürzlich geäußertes Angebot, man möge noch einmal über die stattliche Erhöhung ihres Gehalts um 16 Prozent auf jährlich 303.000 Euro reden, war nichts mehr als eine weitere Nebelkerze und ein letzter Versuch, zumindest im RBB noch einmal Rückhalt zu gewinnen.

"Ich arbeite seit Jahrzehnten im öffentlich-rechtlichen System, dessen zutiefst überzeugte Anhängerin ich bin. Ich werde diesem System weiterhin mit aller Kraft zur Verfügung stehen", sagte Patricia Schlesinger vor wenigen Tagen dem "Tagesspiegel". Es ist gut, dass sie es nicht mehr tut.

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