"Moin" statt "Servus", Küste statt Berge, grauer Herbst statt Hochsommer. Ab Donnerstag erwartet Zuschauerinnen und Zuschauer von Sat.1 ein Kontrast-Programm, denn die neue und aus vorerst 80 Folgen bestehende Daily "Das Küstenrevier" unterscheidet sich nicht nur vom Genre, sondern auch von der Tonalität klar vom zuletzt Erfolge einfahrenden Format "Die Landarztpraxis". Das von Pyjama Pictures umgesetzte Programm unterstreicht: An der Küste geht es herber zu.

In der Tat sind die Unterschiede beider Programme größer als vielleicht angenommen. So ist "Das Küstenrevier" deutlich mehr Krimiserie als "Die Landarztpraxis" eine Medical war. Filmpool hatte die kleinen und großen Nöte von Patientinnen und Patienten nur sehr dosiert in die fortlaufende Handlung verwoben – Pyjama Pictures erzählt die jeweilige und von Episode zu Episode wechselnde Kriminalgeschichte mindestens gleichberechtigt zur fortlaufenden Handlung. Als Ermittler haben sich Produzent und Sender Sat.1 mit Till Demtrøder einen Krimiveteran an Bord geholt. Über 220 Folgen lang und bis 2010 ermittelte er im ARD-Großstadtrevier.

Dass mit ihm ein Mann im Fokus der ansonsten überschaubaren Anzahl der direkten Hauptrollen steht, darf durchaus als Wagnis verstanden werden. Es zeigt, dass sich das Format klar abheben will von den klassischen Seifenopern und eher in Richtung eines täglichen Krimis mit stärkerem roten Faden tendiert. Ob das Publikum, das seit Oktober 2023 in Sat.1 am Vorabend klassischere Soap-Ware gewöhnt ist, da mitgeht, ist nicht selbstredend. Fragen Sie mal die UFA, die nach dem starken Lisa-Plenske-"Verliebt in Berlin" den Versuch unternahm, die zweite Staffel der Telenovela mit Tim Sander als Lead zu besetzen…

Das Küstenrevier © Sat.1 Hanna und Benni wollen nach vorne schauen (auch mit blauem Auge): Doch die Vergangenheit ruht nicht.

Demtrøder mimt nun Kommissar Harry Stein, der sich in Folge eins nicht nur mit dem Fall eines schwer verletzt aufgefundenen Fischers herumschlagen muss, sondern auch seine Tochter Hanna zurück im beschaulichen, aber doch arg grauen Örtchen zurück empfängt. Die von Vanessa Eckart (einst als Vertretungskommissarin in den "Rosenheim-Cops" zu sehen) dargestellte Mutter eines Teenagers namens Benni wird nun im Revier ihres Vaters arbeiten. Dass sie ihre Zelte in Rostock aus gewichtigem (und vermutlich gewalttätigem) Grund abgebrochen hat, ist schnell klar, auch wenn ihr Sohn mit einem eilig ausgesprochenem "Es war ein Unfall" noch eine harmlose Begründung für sein deutlich sichtbares blaues Auge sucht.

Und: Dass die Rostocker Vergangenheit die Steins auch im beschaulichen Örtchen mit dem wenig einfallsreichen Namen "Küstritz" noch einholen wird, ist spätestens dann klar, als Hanna ihrem Sohn später "Es ist vorbei" zuhaucht. Nein, für allzu unvorhersehbare Geschichten scheint in der neuen Sat.1-Daily kein Platz. Das ist ebenso schade wie manch unsauberer Schnitt direkt in der Pilotfolge und ein etwas wirrer, weil wild zusammengewürfelter Start der Story direkt in den Anfangsminuten. Grundsätzlich darf durchaus in Frage gestellt werden, ob es dauerhaft eine gute Idee ist, das Sat.1-Publikum am Vorabend von Süd nach Nord, von Familien-Soap zum rauen Vorabendkrimi und von warmer Tonalität in die kühlere Atmosphäre zu schicken.

Für sich komplett allein stehend, macht "Das Küstenrevier" auf dem Reißbrett an einigen Stellen schon Sinn. Es sieht wertiger aus als die über viele Jahre gut angenommenen "K11"-Folgen, was nicht zuletzt an den zahlreichen Drohnenflügen über der Küstenregion liegt. Crime & Nature, was seit Jahren nicht nur im Ersten und dem Zweiten funktioniert und im vergangenen Jahr sogar als "Dünen-Krimi" bei RTL erstaunlich gut angenommen wurde, kann auch im Sat.1-Vorabend nicht total falsch sein. Hinzu kommt ein sehr durchdacht zusammengestellter Cast, der aus Schauspielerinnen und Schauspielern besteht, die einerseits aus erfolgreichen Krimis der Öffentlich-Rechtlichen bekannt sind, aber eben auch Gesichter bereit hält, die eine jüngere Zielgruppe kennt: Etwa Nils Schulz, früher "GZSZ"-Hauptcastmitglied und im "Küstenrevier" als Polizist Ole zu sehen. Im Kontext zur sonstigen Programmausrichtung von Sat.1 mit "Lebensretter hautnah" um 18 Uhr und noch früher "Tier-" und "Urlaubs-Docs" und in Nachfolge der "Landarztpraxis" entstehen aber Fragezeichen.

Auch Sat.1 will nach dem Erfolg "Die Landarztpraxis" nun nach vorne schauen und hofft auf rund vier erfolgreiche Monate mit der neuen Daily. Anders als im "Küstenrevier" lässt sich das künftige Geschehen in diesem Punkt aber schwer vorhersagen. Zumindest aber denkbar, dass auch Sat.1 erkennen muss, dass die Vergangenheit - etwa die Sehnsucht nach dem deutlich wärmeren Format aus dem bayerischen Wiesenkirchen - dem Publikum länger nachhängt, als es den Verantwortlichen lieb ist. Sie dürften sich wünschen, dass das Kleinstadtrevier in puncto Popularität eher dem "Großstadtrevier" nacheifert. 

"Das Küstenrevier": Ab Donnerstag, 11. Januar 2024 um 19 Uhr in Sat.1 - und auf Abruf bei Joyn.