Foto: ScreenshotDer Hintergrund der "Bild"-Story mit der knalligen Schlagzeile ist schnell erklärt: Die Redaktion von ARD Aktuell, der Gemeinschaftseinrichtung aller ARD-Landesrundfunkanstalten, die sich seit fast genau 30 Jahren um die Produktion der Informationsprogramme wie z.B. "Tagesschau" und "Tagesthemen" kümmert, pflegt schon seit vielen Jahren eine stets aktualisierte Datenbank an Nachrufen zu bedeutenden Personen der Zeitgeschichte. Ob Staatsmann oder Schlagerstar: Wer von Bedeutung ist, bekommt von ARD Aktuell schon zu Lebzeiten einen Nachruf produziert, damit man schneller reagieren kann, wenn das oft Unerwartete eintritt.
 
ARD Aktuell erklärte Vorgehen schon im April ausführlichst

Als es im April dieses Jahres im Zusammenhang mit dem Tod des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten und sehr umstrittenen Politikers Hans Filbinger zur Ausstrahlung eines dieser Nachrufe kam, erklärte ARD Aktuell-Chefredakteur Dr. Kai Gniffke im "Tagesschau"-Blog den Sinn dieser eventuell zunächst makaber wirkenden Vorgehensweise. Sehr ausführlich schreibt Gniffke am 2. April 2007 online:

Foto: Screenshot"Denn tatsächlich bereiten wir uns auf den Todesfall bedeutender Persönlichkeiten bereits zu deren Lebzeiten vor. Einmal pro Jahr treffen sich bei uns die “XY-Beauftragten” aller Landesrundfunkanstalten der ARD. Die “XY-Liste” ist die Auflistung der Menschen, die im Falle ihres Ablebens einen Nachruf bekommen. Diese Nachrufe werden bereits zu Lebzeiten produziert und stets aktualisiert. Zuständig ist jeweils die ARD-Anstalt, in deren Sendegebiet der Wohnsitz der betreffenden Person liegt. Klingt alles ziemlich herzlos, ist aber längst professioneller Standard aller Sender, die Nachrichten anbieten. Im Fall der Fälle, kann man dann sofort reagieren und hat dann einen Nachruf zur Hand, der nicht hastig mit heißer Nadel gestrickt ist, sondern sorgfältig vorbereitet der verstorbenen Person gerecht zu werden versucht."
 
Kein Skandal? Kein Problem! Die Inszenierung des Nichts

In der "Bild" vom heutigen Freitag inszeniert "Bild"-Chefreporter Mark Pittelkau angesichts dieser offenen Worte des ARD Aktuell-Chefredakteurs ein Drama aus dem Nichts. So liest man "Ganz schön makaber, was die ARD da hinter verschlossenen Türen produziert" und fragt sich, was der "Bild" lieber gewesen wäre. Mit der Formulierung "verschlossenen Türen" wird Geheimniskrämerei suggeriert, die doch in Wahrheit nichts anderes ist als Pietät. Es wäre doch andersrum ebenso ein gefunderes Fressen für "Bild", würde ARD Aktuell die Nachrufe bei jeder Gelegenheit anpreisen. Es bedarf nicht vieler Kreativität sich vorzustellen, dass die "Bild" in ihrem alltäglichen Opportunismus dann dies wiederum als schamlos kritisieren würde.
 


Weiter heißt es im Bericht von Mark Pittelkau in der heutigen "Bild": "Doch für die ARD steht Heino offenbar schon mit einem Bein im Grab". Dem ist natürlich nicht so. Und erschreckend ist, dass es Pittelkau eigentlich besser wissen müsste, denn er zitiert einige Absätze später verkürzt, sehr frei und natürlich ohne Quellenangabe aus dem oben schon erwähnten Eintrag im "Tagesschau"-Blog vom April dieses Jahres und sollte somit die Beweggründe kennen. Peinlich übrigens wenn aus dem ARD Aktuell-Chefredakteur Dr. Kai Gniffke in der "Bild" heute der ARD-Chefredakteur „aktuell“ Dr. Kai Griffke wird. Gleich Position und Nachname falsch. Immerhin: Der Vorname stimmt.
 
Von wegen entsetzt: Heino bleibt gelassen
 
In "Bild" heißt es zu den Ausführungen Gniffkes: "Doch ganz offenbar hat die Nachruf-Produktion bei der ARD Methode". Als Gebührenzahler und Freund von sorgfältigem Journalismus gehe ich doch sehr stark davon aus, dass die Kollegen von ARD Aktuell mit Methode arbeiten - und weniger improvisieren wie es "Bild"-Chefreporter Mark Pittelkau tut. Der hat ein Zitat von Heino ergattert. Bedauerlicherweise nimmt Heino seinen vorproduzierten Nachruf aber mit Humor. Der Schlagerstar sagt: "Dass das so schnell geht, hätte ich auch nicht gedacht. Aber Totgesagte leben bekanntlich länger. Ansonsten bin ich im Giftschrank in allerbester Gesellschaft. Ganz offensichtlich kommen da ja nur Hochkaräter rein."

Foto: PhotocaseOb Heino dies selbst so gesagt hat oder sein Manager Jan Mewes den Satz für ihn formulierte: Er zeugt von Schlagfertigkeit und Größe, nur eben nicht von Entsetzen. Deshalb improvisiert Pittelkau und behauptet trotzdem "Heino war entsetzt". Doch auch beim zweiten Lesen von Heinos Stellungnahme lässt sich nicht mehr als ein sehr professionelles Statement herauslesen. Und auch eine Aussage von Heinos Manager klingt nüchtern sachlich: "Ein Mitarbeiter der ,Tagesschau‘ hat mich angerufen (...) Er teilte mir mir, dass Heino jetzt in den 'Giftschrank' käme. Dort lägen auch die Bundeskanzlerin und der Papst. Auf genaue Nachfrage erklärte er mir dann, dass man einen Nachruf auf Heino vorbereite."
 
Unglückliches Statement des NDR hilft "Bild"

Auch hier findet sich keine Vorlage für das vermeintliche Entsetzen über den vermeintlichen Skandal, den "Bild"-Chefreporter wohl genau deshalb über die eingangs erwähnten trickreichen Formulierungen zu konstruieren versucht. Den größten Gefallen tat ihm dabei NDR-Sprecher Ralph Coleman, der sich unglückerweise mit den Worten "Zu internen Planungen der 'Tagesschau' äußern wir uns grundsätzlich nicht" zitieren lässt. Ein Unternehmen, das eine Stellungnahme verweigert, hat zwar nicht grundsätzlich etwas zu verstecken. Aber es kommt Pittelkau natürlich sehr recht und hilft beim Tenor des "Bild"-Artikels - erst recht wenn harte Fakten oder eben ein tatsächliches Entsetzen von Heino fehlt. Hätte Coleman doch einfach auf den Eintrag im "Tagesschau"-Blog verwiesen.

Foto: ScreenshotVielleicht hätte sich "Bild"-Chefreporter Mark Pittelkau den Blogeintrag von ARD Aktuell-Chefredakteur Dr. Kai Gniffke dann noch einmal in Ruhe durchgelesen. Da sagte Gniffke am 2. April dieses Jahres nämlich auch noch: "Es ist schon ein sehr seltsames Gefühl, den 'Verstorbenen' zu würdigen, obwohl er sich doch bester Gesundheit erfreut und politisch noch kräfig mitmischt. Denn ob wir für jemanden einen Nachruf vorbereiten, hat nichts mit dem Alter zu tun, sondern bemisst sich ausschließlich nach der Frage, welche Bedeutung die betreffende Person hat." So schnell hätte geklärt sein können, wieso man bei der ARD an Heinos Nachruf arbeitete. Die Story wäre damit allerdings gestorben.
 
Lehrstück für Nachwuchsjournalisten?

Erschreckend bleibt dabei: Der Axel Springer Verlag als Herausgeber der "Bild" betreibt eine Journalistenschule. Da sorgt man sich als Journalist um den Ruf der akademischen Ausbildung als solche, wenn sich gleichzeitig das Flagschiff des Springer-Verlags immer wieder solche journalistischen Totalausfälle leistet. Oder wird ein Artikel wie dieser über Heinos vermeintliches Entsetzen über einen vermeintlichen Skandal dort auch offen als Negativbeispiel besprochen? Man kann nur hoffen, dass dem so ist, damit die Redaktion des gefühlt größten Fehlerproduzenten der deutschen Medienlandschaft vielleicht einmal mit frischen und ambitionierteren Köpfen versehen werden kann, die etwas mehr Verantwortungsbewusstsein und Können an den Tag legen.