Mit seinem Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wollte Jan Böhmermann die Grenzen der Satire aufzeigen - und genau das könnte ihm gelingen, sollte sich die Bundesregierung in den nächsten Tagen dazu entscheiden, der Einleitung eines Strafverfahrens zuzustimmen. Die Diskussion darüber, wo Satire aufhört und die Beleidigung anfängt, wird längst öffentlich geführt: Anne Will widmete sich dem Thema am Sonntagabend eine Stunde lang und in Mathias Döpfner scheint Jan Böhmermann gar einen neuen Freund gefunden zu haben.

Böhmermann selbst hält sich aus der Diskussion inzwischen heraus. Im "Neo Magazin Royale" fiel der Name des Präsidenten am vergangenen Donnerstag kein einziges Mal und seine Radioshow "Sanft & Sorgfältig" sagte er am Wochenende ebenso ab wie seinen Auftritt beim Grimme-Preis, den er in Marl gleich doppelt hätte entgegennehmen können. Stattdessen reden also andere. Über Böhmermann, Satire und die Kanzlerin - erschreckenderweise aber nicht mehr über Erdogans Politik, die man ja tatsächlich kritisch sehen kann und muss.

Im Folgenden haben wir einige aktuelle Äußerungen zur Causa Böhmermann zusammengetragen:

ZDF-Intendant Thomas Bellut gegenüber der dpa: "Ich stehe natürlich zu den Satire-Sendungen, zu den Moderatoren und zu Herrn Böhmermann auch. Ich plädiere dafür, dass ein kleiner Teil dieser längeren Satire-Sendung nicht so hoch gehoben wird. Am Ende bleibt eine Sendung, über die man so oder so urteilen kann." Und weiter: Es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, dem nachzugehen. Ich habe volles Vertrauen in den Rechtsstaat."

Oliver Welke, "heute-show"-Moderator, in der "Bild"-Zeitung: "Eigentlich habe ich gedacht, dass wir die völlige Satire-Freiheit schon vor ein paar Jahrzehnten erreicht haben. Zu einem Fall Böhmermann ist es erst geworden, als sich die Kanzlerin dazu zitieren ließ. Ein großer Fehler, der ihr hoffentlich leidtut." Viele Menschen würden sich zu Recht mit Böhmermann solidarisieren. Welke: "Man kann nicht zuerst nichts sagen zum Einbestellen des deutschen Botschafters in Ankara nach dem Fall „extra3“. Und sich dann quasi als oberste deutsche Fernsehkritikerin zu Böhmermann äußern - das geht gar nicht! Es wirft ein schlimmes Licht auf die Prioritäten von Frau Merkel und überspitzt gesagt über ihr Verhältnis zu den Grundrechten."

"B.Z."-Chefredakteur Peter Huth: "So verquer es klingen mag: Ein Prozess gegen Böhmermann und eine Verurteilung wären für ihn der größte Sieg. Nur so wäre bewiesen, dass es einen Bereich gibt, der jenseits von Satire liegt: die 'Schmähkritik'. Das war - wir erinnern uns - ursprünglich Böhmermanns Ziel gewesen. Der mannhafteste und konsequenteste Weg wäre also, wenn Böhmermann die Dinge laufen lässt und den Prozess als erweiterte Bühne nutzt. Am Ende wäre er der Gewinner. Auch moralisch - er hätte mit allem recht gehabt, sich persönlich einer Strafverfolgung ausgesetzt und das eigene Wohl dem Gut der Aufklärung geopfert."

Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner in einem Brief an Böhmermann: "Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen. Vielleicht lernen wir uns auf diese Weise vor Gericht kennen. Mit Präsident Erdogan als Fachgutachter für die Grenzen satirischer Geschmacklosigkeit."

Ansgar Heveling (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag, sagte der "Rheinischen Post": "Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, dass der unabhängigen Justiz die Möglichkeit gegeben wird zu überprüfen, ob die Äußerungen von Herrn Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten als Schmähkritik den Tatbestand der Beleidigung eines Staatsoberhauptes erfüllen. Eine solche Überprüfung wäre ein Signal dafür, dass wir solche Streitfragen unserer unabhängigen Justiz überlassen. Unsere Rechtsprechung gilt dabei seit jeher als sehr meinungs- und kunstfreiheitsfreundlich. Ich gehe davon aus, dass es nicht zu einer Verurteilung kommen wird."

Grünen-Chef Cem Özdemir in der "Rheinischen Post": "Die Bundesregierung hat sich im Fall Böhmermann in eine peinliche Lage manövriert. Doch das bietet auch die Chance, jetzt Haltung zu beweisen und Richtung Türkei zu demonstrieren, was uns Presse- und Meinungsfreiheit wert sind."

Komiker Oliver Kalkofe auf Facebook: "Man muss die Aktion von Böhmermann nicht mögen. Man darf sie sogar beschissen oder komplett misslungen finden. Man darf sie aber auch begrüßen und als cleveren Satire-Coup feiern. Völlig wurscht. Man darf Böhmermann mögen, nicht mögen, lieben, hassen, er darf einem sogar egal sein. Man darf das Gedicht lustig, furchtbar, ganz witzig, ekelhaft oder was auch immer finden. Ehrlich gesagt: man soll das Gedicht sogar ekelhaft und beleidigend finden - das war ja immer genau so geplant! Aber: man darf Böhmermann deshalb nicht zur Staatsaffäre machen. Man darf ihn nicht anklagen oder als Politiker die Möglichkeit eröffnen, dass es überhaupt zu einem Prozess gegen ihn kommt - denn dies wäre kein Prozess um eine mögliche Beleidigung/ Schmähkritik oder eine Person, sondern vor Gericht stände das Recht auf Satire und Meinungsfreiheit an sich - die nämlich dann jederzeit verboten werden könnte, wenn der Adressat eines Scherzes den Witz nicht versteht."

Wolfram Weimer auf n-tv.de: "Jan Böhmermann gelingt, was weder Roland Koch noch Friedrich Merz, weder Gregor Gysi noch Jürgen Trittin, weder Peer Steinbrück noch Sigmar Gabriel je geglückt ist, obwohl sie genau das wollten: Angela Merkel einmal in ernste Schwierigkeiten zu bringen. Ausgerechnet ein Gedicht entlarvt die Kanzlerin mit ihrer misslungenen Migrationspolitik und untergräbt ihre Integrität schwer. Merkel hätte zu den Schmäh-Reimen des Kölner TV-Narren einfach schweigen können, so wie sie sich in ihrer Karriere häufig bloß kühl nach oben geschwiegen hat. Doch Böhmermanns böse Satire lüftet auf derart schamlose Weise den Schleier von einer zweifelhaften Politik, dass aus miserablen Reimen plötzlich eine Staatskrise wird."

Stefan Kuzmany auf "Spiegel Online": "Wessen Karrierehöhepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung darin besteht, den türkischen Staatspräsidenten einen Ziegenficker genannt und damit eine Staatsaffäre ausgelöst zu haben, der ist nicht zu beneiden."

Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis auf Twitter: "Erst hat Europa mit dem EU-Türkei-Deal seine Seele verloren, jetzt seinen Humor. Hände weg von Böhmermann."

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