Auf den Empfängen und Branchendinners der Berlinale kursiert in diesen Tagen eine Scherzfrage, die an sich gar nicht lustig ist: Was haben Alexander Thies und Thomas Ebeling gemeinsam? Die Antwort: eine unbedachte Äußerung, die massiven Schaden anrichtet. Die eigentliche Pointe liegt darin, dass der Vorsitzende der Produzentenallianz es nicht mögen dürfte, mit dem scheidenden Privatfernsehmanager verglichen zu werden, nachdem er gerade den großen Abgesang aufs deutsche Privatfernsehen angestimmt hat (DWDL.de berichtete).

Bei etlichen Mitgliedern seines Verbands hat Thies sich keine Freunde gemacht, indem er auf der Bühne des Deutschen Produzententags die baldige Verdrängung von RTL, ProSiebenSat.1 & Co. durch die Streaming-Anbieter prophezeite. Nach UFA-CEO Nico Hofmann, der die Äußerungen im DWDL.de-Interview als indiskutabel, arrogant und verleumderisch zurückgewiesen hatte, rücken nun immer mehr Produzenten von ihrem Spitzenvertreter ab.

"Ich schätze Alexander Thies sehr, aber da ist wohl ein Gaul mit ihm durchgegangen", so Allianzmitglied Hermann Joha, der mit seiner Firma action concept vor allem fürs Privatfernsehen produziert. "Was er sagt, stimmt einfach nicht. Die nackten Zahlen sprechen dagegen. Allein RTL hat gerade eine Reihe neuer Serien gestartet, die grob überschlagen jeweils vier bis fünf Millionen Euro pro Staffel kosten dürften. Außerdem sollte der Vorsitzende der Produzentenallianz eigentlich wissen, dass Serien für Streaming-Plattformen und Serien für private Free-TV-Sender zwei verschiedene Welten sind – viel zu unterschiedlich, um einander verdrängen zu können."

Hofmann habe Recht, Thies Unrecht, befindet auch Michael Souvignier, Chef von Zeitsprung Pictures. Privatfernsehen werde es noch lange geben, nicht zuletzt aufgrund seiner immer noch stattlichen Reichweiten. Einen Verdrängungsmechanismus, so Souvignier, werde es zunächst einmal innerhalb der Streaming-Welt unter den verschiedenen Plattformen geben. "In keinster Weise überlegt oder tiefergehend betrachtet" findet ITV-Studios-Chefin Christiane Ruff das Thies-Statement. "Sollte es sich um ein Statement der Produzentenallianz handeln – da war ich an der Meinungsbildung nicht beteiligt und teile diese in keiner Hinsicht", betont Talpa-Germany-Chef Karsten Roeder. "Wohl vom eigenen Geschmack beeindruckt, hat Herr Thies hier eine 360-Grad-Abwertung abgeliefert. Damit respektiert er uns, unsere Auftraggeber und deren Publikum nicht."

Genau hier liegt für viele Mitgliedsunternehmen der Knackpunkt: Spricht ein Verbandsvorsitzender vermeintlich für die ganze Zunft eine solche Negativprognose aus, könnte dies potenziell geschäftsschädigend wirken. "Ich sehe die Aussage von Alexander Thies als Einzelmeinung und somit natürlich nicht repräsentativ für die Produzentenlandschaft", unterstreicht denn auch Sony-Pictures-Chefin Astrid Quentell. "Lineare Sender, sowohl öffentlich-rechtlich als auch privat, sind nach wie vor die wichtigsten Auftraggeber, mit denen wir auch weiterhin innovative und tolle Programme verwirklichen werden. Die Streaming-Dienste ergänzen das Spektrum und bieten eben zusätzliche Möglichkeiten."

Polyphon-Chefin Beatrice Kramm, die selbst auf dem Produzententag gesprochen hatte, stößt ins gleiche Horn: "Wir sind sehr froh, dass es die privaten Sender gibt. RTL investiert in großem Umfang in deutsches Programm. Wir reden dabei nicht nur von deutscher Fiction, sondern auch von Docutainment, Shows und praktisch allen anderen Programmfarben. Aber auch ProSiebenSat.1 verstärkt zunehmend seine Anstrengungen." Für deutsche Produzenten seien die privaten Sender wichtige und verlässliche Geschäftspartner, die den Markt stärkten und erweiterten.

Für den Sektionsvorstand Entertainment der Produzentenallianz werden Thies' Äußerungen am Montag zum Thema einer eigenen Konferenz. Axel Kühn, Geschäftsführer von Tresor TV und stellvertretender Sektionsvorsitzender, hat Thies nach eigenem Bekunden "immer als diplomatisch und beeindruckend eloquent kennengelernt. Dass ausgerechnet er sich in derart unglückliche Aussagen verrennt, hat mich sehr überrascht. Ich kann es mir eigentlich nur mit 'jugendlichem Übermut' erklären. Die Zeiten von 'Guter Sender, schlechter Sender' haben wir doch schon seit einer gefühlten Ewigkeit hinter uns gelassen, weshalb mir diese Diskussion als unzeitgemäß, unnötig und in Teilen auch schädlich erscheint. In Zeiten sich ändernder Sehgewohnheiten ist eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Sendern und Produzenten im Ringen um die Gunst des Zuschauers gefragt. Und mein Eindruck ist, dass die Sender das genauso sehen – ganz egal, ob privat oder öffentlich-rechtlich."

"Meine Meinung und Erfahrung mit den privaten Sender-Kollegen spiegelt diese Aussage von Alexander Thies in keiner Weise wider", urteilt Edda Kraft, Geschäftsführerin von Saxonia Entertainment. "Viele Mitglieder werden sich den klaren Äußerungen von Nico Hofmann anschließen – vielleicht nicht ganz so emotional und öffentlich. Konsequenzen in der Zusammenarbeit wird es – außer vielleicht für Alexander Thies – keine haben." Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit werde nicht durch die Aussage eines Einzelnen gestört, so Kraft.

Studio-Hamburg-CEO Johannes Züll legt sein Augenmerk darauf, dass Thies die Äußerungen als "seine Privatmeinung" gekennzeichnet habe. "Die privaten, werbefinanzierten Sender sind natürlich Treiber von Wachstum und Innovation in der deutschen Produktionslandschaft", so Züll. "Dies gilt seit langem vor allem für die seriellen Formate am Vorabend, Entertainment und Dokutainment, gilt aber nun auch für die Fiktion in der Primetime. Die Mediengruppe RTL hat als erste private Gruppe wiedererkannt, wie wichtig deutsche Fiktion im Hauptabend für einen Sender ist, ProSiebenSat.1 zieht gerade nach." Der Produktionslandschaft in Deutschland werde es langfristig nur gut gehen, solange es ihren Kunden gut gehe. Züll weiter: "Daher müssen wir ein Interesse daran haben, dass sie alle auch eine non-lineare Zukunft haben. Diese zu gestalten, muss Aufgabe einer breiten Diskussion, mutiger Ansätze der Marktteilnehmer und veränderter Ansichten in der Medienpolitik sein."

Sehr differenziert fällt die Reaktion von Christian Franckenstein, CEO der Bavaria Film, aus. "Inhaltlich kann diese Aussage natürlich in keiner Weise stehen bleiben. Sie ist schlichtweg unzutreffend", sagt Franckenstein – verteidigt Thies jedoch zugleich für die Umstände, die möglicherweise dazu führten. An jenem Morgen sei der Vorsitzende "aus privaten Gründen einem enormen Stress ausgesetzt gewesen", weiß Franckenstein. "Er hat trotzdem seine Pflicht als Vorsitzender unseres Verbandes vollständig erfüllt. Dabei hat er fast den ganzen Vormittag als 'Alleinunterhalter' bestritten. Ehrlich gesagt, an der Stelle kritisiere ich unser eigenes Format – das war insgesamt keine gute Dramaturgie." Er könne sich vorstellen, dass Thies bei deutlicher Überziehung des geplanten Ablaufs im Talk an der Stelle der zitierten Aussage einfach die Konzentration gefehlt habe.

Franckenstein, seit Gründung der Produzentenallianz Mitglied im Vorstand, verweist darauf, dass man unter der Führung von Thies und Geschäftsführer Christoph Palmer "gerade mit den öffentlich-rechtlichen Sendern gute und finanziell nachweislich wirkende Verbesserungen für die Produzenten" erreicht habe. Bei den Privatsendern stelle sich die gesetzliche Grundlage völlig anders dar. "Während die öffentlich-rechtlichen Sender aufgrund rundfunkstaatsvertraglicher Regelungen angehalten sind, mit den Produzenten zu angemessenen Regelungen zu kommen, gibt es für die Privatsender keine derartigen Vorgaben", so Franckenstein. "Sowohl die Mediengruppe RTL als auch ProSiebenSat.1 ziehen es bisher vor, mit Produzenten auf individueller projektbezogener Basis zu arbeiten. Dies ist ein anderer Weg, aber dieser Weg muss im Ergebnis für die Produzenten deswegen kein schlechter sein." Er selbst habe früher als MME-Moviement-CEO "stets faire und sehr ausgewogene Bedingungen" verhandeln können. Als Bavaria-CEO freue er sich heute zwar über neue Kunden wie etwa Sky und Sonar bei "Das Boot" oder die Telekom und Amazon Prime Frankreich bei "Germanized". Das ändere aber nichts an der "enormen Bedeutung der Privatsender für den deutschen Produktionsmarkt". Deren aktuelle Volumina, so Franckenstein, "steigen und haben absolut eine ganz andere Flughöhe als die der neu eintretenden Wettbewerber".

Franckensteins Fazit für die Produktionswirtschaft ist ein ziemlich positives: "Das Zusammenwirken zwischen hoher, stabiler, mit Abstand führender absoluter Programmbeauftragung der öffentlich-rechtlichen Sender, derzeit wieder steigender Produktionsbeauftragung der Privatsender sowie den zunehmenden Eigenproduktionen neuer Marktteilnehmer bringt unseren heimatlichen produzentischen Markt gerade richtig in Bewegung. Wir sind insgesamt gut beraten, mit dieser Situation verantwortungsbewusst umzugehen, keine Arroganz entstehen zu lassen, mit unseren Forderungen berechenbar zu bleiben und stets für alle Beteiligten ein verlässlicher Partner zu sein."

DWDL.de traf auch ein paar Mitglieder der Produzentenallianz an, die sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht näher äußern wollten. Darunter Constantin-Film-Vorstand Oliver Berben, der es für angebracht hält, "solche Diskussionen erst mal innerhalb der Allianz zu führen und nicht in der Öffentlichkeit. Alles andere schadet der Gemeinschaft der Produzenten." Ebenso gibt es ein paar Stimmen, die Thies' Verdrängungsthese mehr oder weniger zustimmen. "Klar ist, dass RTL und ProSiebenSat.1 es nicht leicht haben, zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den Streaming- bzw. den Pay-TV-Sendern in Zukunft nicht zerrieben zu werden", findet Odeon-Film-Vorstand Mischa Hofmann. "Es ist sehr schwer, innovativ zu sein, wenn man nicht horizontal erzählen kann. Das hat Alexander Thies etwas aggressiv formuliert. Dass gerade RTL alles versucht, muss man anerkennen."

"Ich teile die Einschätzung von Alexander Thies, dass das erfreuliche Engagement der neuen Player besonders den Privaten zusetzt, die nach einer Phase der Vernachlässigung auf der Suche nach ihrem Fiction-Profil sind", sagt Dreamtool-Entertainment-Chef Stefan Raiser. Fährt dann freilich fort: "Komplett falsch liegt Thies, wenn er meint, die Privaten würden nicht in Qualität investieren und begnügten sich mit Resteverwertung. Ich selbst erlebe Sat.1 zurzeit so fokussiert und leidenschaftlich wie noch nie, seit ich in diesem Geschäft bin. Bei unserem Dreiteiler 'Circus Krone' mit 'Ku'damm'-Regisseur Sven Bohse sprechen wir über ein zweistelliges Millionenbudget. Das Projekt wurde originär für Sat.1 entwickelt und dort kannte man von Beginn an nur eine Maxime: Qualität." Dennoch plädiert Raiser für Gelassenheit: "Ein Vorsitzender darf, nein, muss steile Thesen setzen und Diskussionen in Gang bringen. Unterwürfige Phrasendrescher gibt es in dieser Branche schon genug."

Und was sagt Alexander Thies selbst zu der massiven Diskussion, die er mit seinen Äußerungen angezettelt hat? Bislang noch nichts – aber nach DWDL.de-Informationen will er spätestens am Montag eine schriftliche Stellungnahme an seine Mitglieder und die Branchenöffentlichkeit versenden.

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