Erinnern wir uns kurz zurück: Beim Deutschen Fernsehpreis ging die Auszeichnung in der Kategorie "Beste Unterhaltung Primetime" an "Let's dance" und damit an eine mittlerweile elf Jahre alte Adaption eines internationalen Formats - was nicht unverdient sein mag, aber nicht unbedingt für die Innovationskraft des Mediums spricht. Die Grimme-Jury setzt hier nun einen durchaus bemerkenswerten Kontrapunkt und zeichnet gleich zwei Show-Produktionen aus, die noch recht jung sind und außerdem aus eigener Entwicklung stammen.

Einer der drei Preise in der Kategorie Unterhaltung geht an: "Catch! Der große Sat.1 Fang-Freitag" von und mit Luke Mockridge (Brainpool TV / Lucky Pics für Sat.1). "Es finden sich die klassischen Show-Zutaten, die hier allerdings mit so viel Liebe zum Detail, handwerklicher Qualität und Spielfreude zusammenkommen, dass spürbar wird, dass hinter dieser Show Menschen stehen, die mit Überzeugung und Leidenschaft produzieren", schreibt die Jury, die in ihrer Begründung auch die herausragende Inszenierung lobt. "Durch die Fokussierung auf handwerkliche Qualität und die direkte Eingängigkeit des Spielprinzips zeigt sich klar der Wille, seine Zuschauenden möglichst gut zu unterhalten, von tieferer Sinnproduktion werden sie für die Dauer der Show erfreulicherweise entlastet." Oder anders gesagt: "Catch" ist "eine Show, die schlicht ihr Versprechen zu unterhalten einlöst, anstatt mit großem Getöse ihre eigene Essenz zu übertönen."

Und noch eine andere Show hat im vergangenen Jahr aus Sicht der Jury bewiesen, dass große Show aus Deutschland funktioniert (auch wenn das ZDF dafür nur einen späten Sendeplatz übrig hatte): Das von der "Neo-Magazin"-Rubrik zur großen Unterhaltung gewachsene "Lass dich überwachen! Die PRISM is a dancer Show". Die Show entlarve alle „innerlich resignierten Showchefs“, die glauben, dass man eine große Show nur noch als Promi-Quiz veranstalten könne, als „überbezahlte Blender“, schreibt die Jury. „Diese Show schwenkt das pädagogische Fähnchen, auf dem steht, dass man doch mit seinen Daten ein bisschen weniger freigiebig umgehen soll, nur am Rande. Im Mittelpunkt steht eine gelungene Mischung aus Überraschung, Ironie und auch rührenden Elementen." Besonders stellt die Jury die Arbeit der Redaktion in den Vordergrund. "Dort wirken ganz offensichtlich jene Kräfte, ohne deren akribische Recherche diese Show nicht möglich wäre."

Die btf, die "Lass dich überwachen" produziert, erhält zudem noch einen weiteren Grimme-Preis für "Kroymann". Die Sketch-Show mit Maren Kroymann wurde schon im vergangenen Jahr ausgezeichnet und setzte sich nun erneut durch. Die Jury lobte, dass die Sketche entgegen des Zeitgeistes auf die leisen Töne setze. "Am Ende eines Sketches schmunzelt man eher, als dass man sich auf die Schenkel klopft. Inmitten des Lärms von Social Media und Leitartikeln ist die Sendung deshalb im besten Sinne wohltuend."

In der Kategorie Fiktion spiegelte sich schon im vergangenen Jahr die wachsende Bedeutung der Serien im Vergleich zu den Einzelstücken in den Grimme-Auszeichnungen wieder - und auch diesmal gibt es wieder drei Preise für Serien, aber nur eine für einen Film. Und während sich im vergangenen Jahr Netflix über seinen ersten Grimme-Preis freuen konnte, darf man nun bei der Konkurrenz von Amazon jubeln: Die Grimme-Jury zeichnet nämlich "Beat" (Hellinger/Doll Filmprodution, Warner Bros., Pantaleon) mit einem Grimme-Preis aus. Die Jury spricht von einem "Anschlag auf alle Sinne" und lobt das "furiose Zusammenspiel von Drehbuch, Kamera und Regie. Einen Grimme-Preis gab’s überdies für "Bad Banks". Die von Letterbox und IRIS Productions fürs ZDF produzierte Serie zeige, "dass sich gutes Fernsehen aus Deutschland nicht immer mit deutscher Vergangenheit auseinandersetzen muss", lobte die Jury die Themenwahl und auch die Kompromisslosigkeit fand Anklang: "Das Autor*innenteam um Oliver Kienle erspart uns typisch öffentlich-rechtliche Erklär-Dialoge. Stattdessen folgt ein englischer Finanzbegriff dem anderen. Kaum ein Zuschauer dürfte sie verstehen, aber das spielt auch keine Rolle."

Und schließlich wird auch noch eine Serie ausgezeichnet, die bislang wohl eher ein Nischenpublikum gefunden hat: "Hackerville", produziert von UFA Fiction und mobra films für TNT Serie und HBO Europe - einer gelungenen rumänisch-deutschen Koproduktion. "Während große historische Fernsehproduktionen die deutsche Geschichte heute am Drehort Osteuropa nachstellen, ist Hackerville interessiert an der Gegenwart. Während im Fernsehen reihenweise deutsche Schauspieler als Einheimische verkleidet an tourismusträchtigen Orten ermitteln, mutet Hackerville dem Zuschauer die volle Dosis an Anderssein seines Schauplatzes zu - und zieht daraus eine Kraft, die sich im Soundtrack des rumänischen TripHop-Künstlers Silent Strike grandios verdichtet." Preiswürdig sei auch, dass ein Osteuropa jenseits der Klischees gezeigt werde - und zwar nicht mit Mitteln der Didaktik, sondern des Unterhaltungsfernsehens.

Das einzige Einzelstück, das in diesem Jahr einen Grimme-Preis in der Fiktion erhält ist der Film "Familie Lotzmann auf den Barrikaden" (Kordes & Kordes Film für ARD Degeto), den die Jury als „lustvoll-spielerische Inszenierung einer Familiengeschichte im Abwärtstaumel“ lobt, die sich „jenseits der formelhaften Schablonen des mittelstandsweltlichen Alltags“ bewege. In der Kategorie Fiktion gibt’s überdies noch einen Spezial-Preis für Erol Yesilkaya (Buch) und Sebastian Marka (Regie) für „den spielerischen und selbstironischen Umgang mit dem Format Tatort und die Einbettung in einen cineastischen Kontext“ beim „Tatort: Meta“. „Das perfide schlaue Drehbuch von Erol Yesilkaya und die virtuos verspielte Inszenierung von Sebastian Marka legen Kino-Fiktion und ‚Tatort‘-Realität derart einfallsreich übereinander, dass der Zuschauer bald nicht mehr weiß, auf welcher Wirklichkeitsebene er sich eigentlich gerade befindet“, begründet die Jury die Auszeichnung. "Tatort: Meta" (Wiedemann & Berg für RBB) sei Fernsehunterhaltung und Arthouse-Kino zugleich.

Im Wettbewerb Information & Kultur erhält David Spaeth einen Preis für "Betrug - Aufstieg und Fall eines Hochstaplers" (Eikon Media, Spaeth Film für den SWR). Die Jury spricht von einem "klugen Kommentar auf unsere Gesellschaft" und lobt zugleich auch den "hohen Unterhaltungswert" und die "cineastische Qualität". Jana Merkel und Michael Richter erhalten einen Preis für "Die Story im Ersten - Am Rechten Rand" (NDR/MDR). Sie haben recherchiert, wie tief führende AfD-Politiker in rechtsradikale Netzwerke eingebunden sind. Die Jury spricht von der "konzentriertesten, informativsten und differenziertesten Reportage über die AfD", die es bislang gab und lobt "politische Aufklärung auf höchstem Niveau".

Regina Schilling darf sich über einen Grimme-Preis für "Kulenkampffs Schuhe" (zero one film für SWR/HR) freuen. "Wie man scheinbar Bekanntes im Wiedersehen mit großem Erkenntnisgewinn neu sehen kann, das zeigt 'Kulenkampffs Schuhe' in seiner geschichtsbewussten, kritischen und hellsichtigen Bestandsaufnahme beispielhaft", heißt es in der Jury-Begründung. Einen Spezial-Preis gibt es für das Team von "Docupy" für den Dreiteiler "Die Story: Ungleichland - Reichtum, Chancen, Macht" und das dazugehörige Online-Konzept (btf für den WDR). "Ohne alarmistisch zu sein, schlägt das Projekt Alarm. Ohne Schaum vor dem Mund wächst das Unbehagen und weicht der Wut. Und selten sind im deutschen Fernsehen derartige Einblicke in die Hochfinanzwelt der Privatbanken und Family Offices gelungen. Das Poesiealbum der Globalisierung kann für einige monströse Einträge dankbar sein. Analyse und Aufklärung im besten Sinn", so die Jury.

Ein Grimme-Preis für die Besondere Journalistische Leistung geht an Isabel Schayani für ihre "Tagesthemen"-Kommentare, "Weltspiegel"-Moderationen und "WDRforyou"-Beiträge. "Dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird oft der Vorwurf gemacht, zu träge zu sein und in einem Elfenbeinturm zu sitzen. Schayani beweist, dass es auch anders geht", lobt die Jury etwa, dass sie in Chemnitz versuchte, in der aufgeheizten Stimmung nach dem Mord an einem 35-Jährigen versuchte, mit den Menschen vor Ort ins Gepräch zu kommen. "Isabel Schayani ist ungemein vielseitig, schreckt nicht vor schwierigen Themen zurück, berichtet fundiert und umfassend. Sie sucht den Dialog, lässt sich nicht provozieren. Sie formuliert präzise und verständlich, eröffnet ihren Zuschauer*innen die Möglichkeit, sich selbst ein Urteil zu bilden", so die Begründung der Jury. Der Publikumspreis der "Marler Gruppe", die in diesem Jahr das Kontingent der Kategorie Information & Kultur gesichtet und bewertet hat, geht an den Dokumentarfilm "Im Schatten der Netzwelt – The Cleaners" (gebrueder beetz filmproduktion/Grifa Filmes für WDR/NDR/RBB in Zusammenarbeit mit ARTE)

Im Wettbewerb Kinder & Jugend gibt's anders als im vergangenen Jahr diesmal auch wieder einen Preisträger aus dem Kinder-Bereich: Die Animationsserie "Animanimals", die Studio Film Bilder für den Kika produziert. Julia Ocker gelinge es, den pädagogischen Aspekt des Formats subtil zu vermitteln und ohne erhobenen Zeigefinger auszukommen. Gemeinsam mit der liebevollen, hochwertigen Animation und pointiertes Ton- und Musikdesign entstehe so "hochwertiges, innovatives und mutiges Kinderfernsehen, das sich von der breiten Masse absetzt".

Eine deutlich ältere Zielgruppe hat das "Bohemian Browser Ballet" (Steinberger Silberstein für SWR/funk). Bei den kurzen Videos dürfe sich keine Seite jemals sicher fühlen, "möge sie sich selbst auch noch so moralisch integer finden", schreibt die Jury. "Es ist unmöglich, die Beiträge des „Bohemian Browser Balletts“ anzuschauen und dabei in Egal-Haltung zu verharren. (...) Der Witz des Formats geht voll auf die Zwölf, trifft mehr als nur einen Nerv, fordert heraus und ist vor allem unfassbar komisch. Dialoge und Punchlines sind auf den Punkt geschrieben, mit Gespür für Timing inszeniert und von einem äußerst talentierten Ensemble gespielt." Die Macher werden von der Jury als "Tucholskys der Generation Z" geadelt. Ein Spezial-Preis geht überdies noch an Marco Giacopuzzi für "seine herausragende Autorenleistung, sein Gespür für Themen und Protagonisten und die sensible und berührende Umsetzung bei 'Schau in meine Welt'". Seinen Filmen gelinge der Spagat zwischen individuellem Porträt und deutlichen Denkanstößen. "Einfühlsam im Umgang mit den Protagonisten und kraftvoll in der Darstellung ihrer jeweiligen Botschaft, das ist die gelungene Verbindung der filmischen Dokumentationen von Marco Giacopuzzi."

"In diesem Jahr ließ sich kategorienübergreifend beobachten, wie aktuelle komplexe Diskurse um Cyberkriminalität, Rechtspopulismus oder soziale Ungerechtigkeit durch mitreißend inszenierte, umfassend recherchierte, aber auch humoristische Geschichten transportiert werden", fasst Grimme-Direktorin Frauke Gerlach das Grimme-Preisjahr 2019 zusammen. Die 55. Verleihung des Grimme-Preises findet am 5. April im Theater der Stadt Marl statt. Live ist die Verleihung ab 19:10 Uhr im Livestream auf 3sat.de zu sehen, ab 22:25 Uhr folgt eine zeitversetzte TV-Ausstrahlung. Moderiert wird die Verleihung in diesem Jahr von Dunja Hayali.

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