Reed Hastings ist eigens nach Berlin gereist, um das neue Netflix-Büro für Deutschland, Österreich und die Schweiz zu eröffnen. Und der Gründer und Co-CEO des Streamingdienstes hatte auch noch reichlich Geld im Gepäck: 500 Millionen Euro will Netflix von 2021 bis 2023 in deutschsprachige Titel investieren. Von einem "enormen Wachstumspotenzial" war die Rede - und von knapp elf Millionen zahlenden Mitgliedern in der DACH-Region, die unterstreichen, welche Bedeutung Netflix inzwischen auf dem hiesigen Markt hat.

"Made in DACH - watched by the world" war dann auch das Motto dieses Vormittags und die Botschaft des Trailers, der Hastings' Auftritt in der Hauptstadt einleitete, nachdem er gerade aus Istanbul kam und noch am gleichen Abend weiterfliegen wird. Für Hastings ist die Eröffnung eines Standorts in Berlin eine logische Entwicklung. "Deutschsprachige Inhalte werden auf der ganzen Welt gesehen, weshalb Deutschland, Österreich und die Schweiz für uns eine der wichtigsten Regionen weltweit ist", sagte er mit Verweis auf über 40 Eigenproduktionen, die zwischen 2018 und 2020 hier entstanden sind. In den nächsten drei Jahren soll diese Zahl durch die millionenschwere Investition verdoppelt werden - insgesamt peilt Netflix 80 lokale Serien, Filme und Shows an.

Moderne Technik in Babelsberg

Eine besondere Rolle soll dem in Babelsberg neu errichteten Atelier für virtuelle Produktionen, auch "Volume" genannt, zukommen. Mit Blick auf die Produktion der Mysteryserie "1899", die derzeit in Babelsberg entsteht, betonte Hastings, dass die weltweit fortschrittlichste Produktionstechnik das Produzieren hier so attraktiv macht. Als "History Guy" freue er sich auf das neue Werk der "Dark"-Macher Jantje Friese und Baran bo Odar besonders, aber - natürlich - liebe er alle seine Kinder gleichermaßen: "Wir entscheiden ja nicht danach, was ich mag."

Mit der neuen Technik ergibt sich für Friese "ein komplett neuer Spielkasten" beim fiktionalen Erzählen. Inhaltlich verriet sie auf einem der von Hadnet Tesfai moderierten begleitenden Panels, die Netflix zur Eröffnung des neuen Berliner Standorts am Mittwoch ausrichtete, dagegen nicht allzu viel über "1899". Es gehe wie schon bei "Dark" wieder darum, das Publikum rätseln zu lassen: Ein Schiff bricht auf von Europa nach Amerika - "und es passieren Dinge". Derzeit wird noch gedreht. Im November sollen die Dreharbeiten durch sein. Die neue Technik verspricht dann immerhin weniger Aufwand in der Postproduktion, freut sich Friese.

Die Technologie im "Volume" ermöglicht es, virtuelle Sets und Locations so hinter den Schauspielerinnen und Schauspielern zu projizieren, dass sie sich inmitten der Originalschauplätze wähnen. "Das Kooperationsmodell ermöglicht allen Filmschaffenden im DACH-Raum, diese neue Technologie auch in Zukunft nutzen zu können", erklärte Eva van Leeuwen, Managerin Germany Language Series bei Netflix.

80 Mitarbeitende am neuen Standort

Das Berliner Dependance ist indes neben den Standorten in Amsterdam, London, Madrid und Paris bereits das fünfte Netflix-Büro in Europa. Aktuell arbeiten hier 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - und es werden noch mehr, wie jüngst prominente Neuzugänge wie Katja Hofem, die ab November als President Series DACH anfangen wird, zeigt. Bereits ab dem 18. Oktober stößt die ehemalige RTL-Studios-Chefin Inga Leschek als Director Unscripted & Docs ins Team. Und schon in wenigen Tagen tritt Joe Pawlas seinen Job als Vice President Marketing DACH bei Netflix an. Er war in der Vergangenheit für Antenne Deutschland und Warner Bros. Entertainment tätig.

"Wir sind Teil des kreativen Ökosystems", sagte Eva van Leeuwen mit Bezug auf die personellen Neuzugänge und inzwischen etablierten Verbindungen zu Produktionsfirmen und Kreativen. Es gehe um enge Beziehungen und unmittelbaren Austausch. Dafür sei das neu bezogene Headquarter für den deutschsprachigen Raum so wichtig. In den ersten Jahren sah sich Netflix der Kritik von konkurrierenden deutschen Marktteilnehmern ausgesetzt, von anderen aufgebaute Talente abzugreifen, ohne vor Ort präsent zu sein und selbst Aufbauhilfe zu leisten. Inzwischen aber will Netflix den direkten Draht zu Filmhochschulen suchen, um insbesondere das Thema Diversität voranzubringen.

Für Anna Winger, die sich gerade mit einem Exklusiv-Deal an Netflix gebunden hat, bedeutet die Produktion aus Berlin heraus viel: Sie betonte die unvergleichliche Diversität der Stadt und ihrer Kreativen. Das habe sich bei der Produktion von "Unorthodox" gezeigt. Entsprechend vorteilhaft sei die neue Präsenz von Netflix in der Hauptstadt. Nachholbedarf sieht sie in der Förderung und Ermutigung neuer Autorinnen und Autoren, um keine gute Story aufgrund überwindbarer Hürden zu verlieren. Das zu verhindern, dürfte freilich auch im Interesse von Netflix und Reed Hastings sein.

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