Erst musste der Streamingdienst CNN+ dran glauben, jetzt steht auch die Marke HBO Max vor dem Aus: Warner Bros. Discovery sortiert sein Portfolio unter der neuen Führung von David Zaslav in einem atemberaubenden Tempo und ohne Rücksicht auf Verluste. "Dass der kürzlich erfolgte Zusammenschluss der US-Konzerne Discovery und WarnerMedia reibungslos vonstatten gegangen sei, wäre selbst für Hollywood-Verhältnisse eine schamlose Beschönigung", urteilte DWDL-Chefreporter Torsten Zarges schon in seiner Analyse vor drei Monaten.

In den vergangenen Wochen machten dann noch der Produktionsstopp für HBO Max-Originals in Europa bereits Schlagzeilen, am Mittwoch sorgte die Entscheidung einen fast fertigen und 90 Millionen Dollar teuren "Bat Girl"-Film für HBO Max schlicht nicht zu veröffentlichen, für Aufsehen. Gleiches gilt für den Animationsfilm "Scoob: Holiday Haunt". Beim Warum sind sich US-Branchendienste nicht ganz einig. Wahrscheinlichstes Szenario: Noch bis Mitte August hat der frisch fusionierte Konzern Gelegenheit Projekte abzuschreiben, ohne dass Verluste in den Büchern des neuen Konzerns auftauchen. 

Einig waren sich jedoch alle Beobachter, dass die Fragenzeichen hinter HBO Max angesichts mehr und mehr gecancelter Projekte immer größer werden. Ebenfalls am Mittwoch wurde schließlich auch bekannt, dass Warner Bros. Discovery gleich sechs Filmen, die in den vergangenen zwei Jahren als "Max Originals" gelauncht wurden, ohne Ankündigung vom Service verschwunden sind. In Summe lässt das inzwischen wenig Zweifel daran, dass eine Veränderung bevorsteht.

Im März diesen Jahres erklärte Gunnar Wiedenfels, CFO von Warner Bros. Discovery, bereits vor Journalistinnen und Journalisten, dass die beiden Streamingdienste Discovery+ und HBO Max perspektivisch verschmelzen sollen. Das brauche aber entsprechende Vorbereitungszeit. Wenige Monate später scheinen die Vorbereitungen immer konkreter zu werden - und eine Verschmelzung könnte anders zu verlaufen als im Frühjahr noch gedacht: Goodbye HBO Max, hello Discovery+ und nicht anders herum.

Discovery besiegt HBO im Markenduell

Mehrere US-Branchendienste sind sich da schon recht sicher zu wissen, was am Donnerstagabend angekündigt werde. Es wäre eine Kehrtwende, wenn man bedenkt, dass seit der Ankündigung von HBO Max 2019 die allgemeine Erwartungshaltung herrschte, diese aus dem Pay-TV so qualitativ positiv besetzte und international bekannte Marke würde nach dem US-Start 2020 sicherlich rasch international expandieren wie Netflix, Prime Video oder Disney+.

Unter der "neuen" Obermarke würden sich die Inhalte diverser Marken aus dem Hause Warner Bros. Discovery finden, weiterhin auch HBO-Content. Die weitere Produktion von expliziten HBO Max Originals allein für den Streamingdienst wäre dann aber gestoppt oder extrem reduziert. Bestehende Max Originals müssten bei HBO Unterschlupf finden. Spannend wird sein, ob Discovery+ als Heimat für fiktionale Stoffe zu etablieren ist. In Deutschland hat das erst kürzlich gestartete Discovery+ schließlich einen Fokus auf Factual und Sport. 

Beim Kurswechsel von Warner Bros. Discovery trifft Synergie-Wunsch und eine nachvollziehbare Portfolio-Bereinigung der neuen Führung nach der Firmenfusion einerseits auf eine gerade spürbare Renaissance der Kino-Verwertung andererseits. Zum Zeitpunkt des Starts von HBO Max während der ersten Phase der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 erschienen lange gelernte Verwertungsfenster überholt und Streaming als die Lösung aller Probleme für Hollywood-Studios, die sonst auf ihren Filmen sitzen gebleiben wären. Doch lukrative Blockbuster des Kinojahres 2022 wie "Top Gun Maverick", "Doctor Strange in the Multiverse of Madness" oder "Jurassic World Dominion" mit jeweils mehr als oder um die eine Milliarde Dollar Einspielergebnis, haben in Hollywood ein Umdenken angeregt - zurück zu einer klassischeren Verwertungskette. 

David Zaslav © Discovery David Zaslav
Nicht zuletzt der aus Deutschland kommende Warner Bros.-Discovery-Finanzchef Gunnar Wiedenfels - lange bei ProSiebenSat.1 tätig und seit 2017 dann bei Discovery in New York an Bord - steht an der Seite von WBD-CEO (und ehemals Discovery-Chef) David Zaslav für eine eher nüchterne Betrachtung des lange von zu ambitionierten Wachstumsfantasien getriebenen Streaminggeschäfts. "Gnadenloser Sparkommissar" nannten ihn US-Branchenmedien schon. Für einen solchen sind zwei international verfügbare Streamingmarken eine zu viel. 

Neuer Pragmatismus in Distributionsstrategie

Mit einer künftigen Streamingstrategie unter der Marke Discovery+ schafft man sich die Freiheit, Inhalte von HBO je nach Markt und Programm weiterhin extern auszuwerten. Denn während unter der Marke HBO Max bei der Kundschaft die nachvollziehbare Erwartungshaltung herrscht, alles von HBO zu bekommen, ermöglicht Discovery+ als Dachmarke eine flexiblere Verwertungsstrategie je nach Markt - auch in diesem Punkt ist die Strategie von Warner Bros. Discovery übrigens durchaus von Erfahrungen in Deutschland geprägt.

Hierzulande konnte Warner Bros. mit dem Verkauf von Filmen und Serien stets gut Geld verdienen. Das garantiert unmittelbar Geld und minimiert das wirtschaftliche Risiko im Vergleich zur Auswertung über den eigenen Streamingdienst. Das gilt bei Verfechtern eines vertikal integrierten Konzerns zwar als romantisches Nonplusultra, muss aber nicht das lukrativste sein. Warner Bros. Discovery als Vorreiter eines neuen Pragmatismus in der Distributionsstrategie, die etwas weniger berauscht ist von Weltmarktführer-Fantasien anderer Wettbewerber.

Bei RTL Deutschland wird man mit Besorgnis auf den zu erwartenden Strategiewechsel von Warner Bros. Discovery schauen: Erst im Februar dieses Jahres war man in Köln sehr stolz darauf, sich auf Jahre hinweg die Rechte an kommenden HBO-Max-Serien für den eigenen Streamingdienst RTL+ gesichert zu haben. Das Problem liegt im Detail: Klassische HBO-Serien sind weiterhin bei Sky zuhause. RTL+ hat nur Zugriff auf explizite HBO-Max-Produktionen - und ob es die noch weiterhin geben wird, ist unklar. Erste Antworten erhofft man sich also auch bei RTL Deutschland am Donnerstagabend nach Börsenschluss in den USA, wenn Warner Bros. Discovery sich mutmaßlich zur künftigen Streamingstrategie äußern wird.

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