Es gibt vermutlich wenige Organisationen, in denen Selbst- und Fremdwahrnehmung so weit auseinanderklaffen wie bei der ARD. Die Intendantinnen und Intendanten haben sich in den zurückliegenden Tagen in Köln getroffen und einige Reformschritte beschlossen (DWDL.de berichtete), am Donnerstagnachmittag informierten unter anderem der Vorsitzende Kai Gniffke über den Prozess. Er sprach von einem Jahr, das nicht nur geprägt gewesen sei durch ein "hohes Reformtempo", sondern auch durch eine große "Reformtiefe". 

Kurze Zeit später musste der ARD-Vorsitzende dann aber einräumen, dass man in einem Reformschritt, der auch ein wichtiges Symbol an Öffentlichkeit und Politik gewesen wäre, nicht vorangekommen ist: Der Streichung eines Spartensenders. Vor mittlerweile einem Jahr hatte man angekündigt, über das Aus eines solchen Senders noch 2023 entscheiden zu wollen. Sprach man Gniffke in den zurückliegenden Wochen darauf an, wirkte der fast schon genervt und wiederholte mantraartig: Das Jahr ist noch nicht vorbei, wir machen das wie angekündigt noch 2023. 

Und nun? Pustekuchen. 

Gniffke vermied am Donnerstag einen genauen Zeithorizont, in dem eine Entscheidung fallen wird. Wohlwissend, dass ihm frühere Aussagen nun auf die Füße fallen. Aber es wird 2024 werden. Stattdessen versuchte er sich in einer Erklärung: Man wolle ein "stimmiges Gesamtbild schaffen", erklärte Gniffke, der noch laufende Verträge sowie die eigenen Gremien ins Feld führte. Diese müssten sich schließlich "sehr intensiv" damit befassen - offenbar war das nun fast 12 Monate lang unmöglich. Gniffke sagte aber auch, dass man bereits in wenigen Wochen noch die Empfehlungen des Zukunftsrats erwarte, außerdem gebe es im Januar eine Beratung der Rundfunkkommission der Länder. "Wir wollen jetzt nicht einzelne Bausteine verschieben und dann stellt sich heraus: Das wäre anders besser gewesen". 

Es hat schon eine gewisse Ironie, dass nun ausgerechnet der von den Bundesländern eingerichtete Zukunftsrat für die ARD-Argumentation herhalten muss, dass man sich mit Reformen noch ein bisschen mehr Zeit lässt. Überhaupt wird die ohnehin schon unzufriedene Medienpolitik wohl nicht sehr glücklich sein mit den nun erfolgten Ankündigungen der ARD. 

Was man dem Senderverbund zugute halten muss: Viele Reformschritte hat man nun recht konkret angekündigt, allen voran im Hörfunk. Hier wird es in vielen Bereichen nach Ostern 2024 zu weitreichenden Veränderungen kommen, die auch in den Häusern auf viel Kritik stoßen werden. Im Fernsehen will man neben den bereits angekündigten Kompetenzcentern, von denen die ersten im kommenden Jahr die Arbeit aufnehmen, eine gemeinsame Nachmittagsstrecke für einige Dritte testen sowie eine begrenzte Zahl gemeinsamer Talkshows auf Schiene bringen. Bei dem Talkshow-Projekt geht es aber nur um eine Handvoll Sendungen pro Jahr, durch die bestehende Formate moderat in ihrer Schlagzahl zurückgefahren werden. 

Das Problem ist: Weiten Teilen der Politik wird das nicht reichen. Denn: Die angekündigten Reformen werden sich nicht zusätzlich dämpfend auf den Rundfunkbeitrag auswirken. Kai Gniffke betonte am Donnerstag vor Journalistinnen und Journalisten, dass man aufgrund des Reformprozesses 250 Millionen Euro weniger Finanzbedarf bei der KEF angemeldet habe - allem Anschein nach wird das aber dennoch zu einer Erhöhung des Rundfunkbeitrags führen. Etliche Politikerinnen und Politiker haben bereits erklärt, damit nicht einverstanden zu sein - und sie forderten weitere Einsparungen. Und trotz der Frage, ob die Medienpolitik damit mal wieder wissentlich einen Verfassungsbruch begeht, lässt sich feststellen: Die ARD will sich aktuell nicht weiter in Richtung der Länder bewegen. SWR-Programmdirektor Clemens Bratzler fasste es am Donnerstag beim Pressegespräch am treffendsten zusammen und erklärte in Bezug auf die aktuellen Vorhaben: "Es ist kein Sparprozess, sondern ein Change-Prozess."

Von DWDL.de am Donnerstag auf die zahlreichen Äußerungen aus der Politik zum KEF-Verfahren und einer möglichen Erhöhung des Rundfunkbeitrags angesprochen, zeigte sich Kai Gniffke zugeknöpft. Gniffke betonte die Unabhängigkeit der KEF, der man nicht in die Arbeit reinreden sollte. "Die KEF ist der Garant für die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", so der ARD-Vorsitzende. BR-Intendantin Katja Wildermuth dagegen wurde es zuletzt zu bunt. Sie mahnte öffentlich die Verfassungstreue der Medienpolitikerinnen und Medienpolitiker an, die ganz augenscheinlich bewusst Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ignorieren wollen. Vom ARD-Vorsitzenden gab es dazu kein Statement. 

Und so dürften es spannende Wochen und Monate werden. Eins jedenfalls ist klar: Das Verhältnis zwischen weiten Teilen der Medienpolitik und den Öffentlich-Rechtlichen dürfte vorerst unterkühlt bleiben. 

Mehr zum Thema