Das auch hier angekündigte „TV-Comeback“ jenes Mannes, der einst als der „schöne Fernsehrichter“ Berühmtheit erlangte über den Sat.1-Nachmittag hinaus, dauerte zusammengerechnet exakt drei Minuten und acht Sekunden, und gruselig war es noch dazu. Denn statt in einem Gerichtssaal, wo Alexander Hold bis 2013 im werktäglichen Akkord über Insulin-Mörderinnen, Lottokönig-Folterer und Tennistrainer-Totschlägerinnen Urteile fällte, ist er seit Februar jeden Mittwochabend beim Spartensender TLC auf einem, Hui Buh, Friedhof in Wiesbaden zu sehen. Dort ist es immer gespenstische Nacht, Grabsteine leuchten im Mondschein, Nebel zieht in Schwaden vorbei, aber Alexander Hold, dieser Teufelskerl mit juristischem Staatsexamen, kämpft sich kühn durch seine Moderationen in „Grave Secrets – Tote Zeugen lügen nicht“.

Es handelt sich dabei um eins dieser True-Crime-Formate Made in USA, mit denen die Discovery-Tochter TLC ihr Spätabendprogramm belebt. Also szenisch nachgestellter Schrecken realer Kriminalfälle. Für den lokalen Touch sorgen dazwischen geschnittene deutsche Promis als „Host“. Besonders gern genommen bei TLC: „Tatort“-Kommissarinnen wie Ulrike Folkerts („Dein schlimmster Albtraum“) und Andrea Sawatzki („Deadly Sin“). Auch Veronica Ferres machte schon mit („Married with Secrets“). Mit Alexander Hold ist nun ein echter Richter aus Kempten im Allgäu dabei. Zur „Grave Secrets“-Premiere hatte er es mit dem gewaltsamen Tod einer dreifachen Mutter in Grand Rapids, im US-Bundesstaat Michigan zu tun. Ein Diktiergerät spult ihren angeblich letzten Willen im amerikanischen O-Ton ab, worauf aus Holds bairisch-schwäbischem Mund die Frage dräut: Führt Sandra Dysts so lebendig klingende Stimme auch zur Lösung des Falles? Uiuiui, echt spannend.

Nach 47 Minuten ist man in dieser Mordsache aus dem Jahr 1999 (Spoileralarm: der Ehemann war’s!) schlauer, aber auch ein bisschen ratlos: Was kann ein deutscher Jurist zu Ermittlungen in einem Uraltfall aus den USA beitragen außer sein fernsehbekanntes Gesicht? Ziemt sich so was überhaupt für jemanden, der vor vier Jahren an Frank-Walter Steinmeiers statt Schloss Bellevue beziehen wollte und im Herbst 2018 als Abgeordneter der Freien Wähler im Bayerischen Landtag landete? Ist dem Politiker Alexander Hold womöglich das Kleinklein im parlamentarischen Geschäft zu fad geworden, sodass er den Thrill zwischen Gräbern sucht?

Alexander Hold © Discovery
Auf die Minute genau um halb neun in der Früh ploppt sein Gesicht auf dem Bildschirm auf, um all diese Fragen zu besprechen. Bis zu seinem Einsatz in der 74. Plenarsitzung ist es noch ein paar Stunden hin. Eine „Corona-Fragestunde“ ist im Landtag anberaumt. Und Vizepräsident Hold – er ist der dritte von insgesamt sechs im Präsidium von Ilse Aigner (CSU) – stellt gleich mal als erstes klar, dass er mit seiner bisherigen Bilanz in der Politik zufrieden ist. Klar, als er noch im Stadtrat in Kempten saß, wo er übrigens mit zwei Buben und der zweiten Ehefrau noch immer tief verwurzelt ist, sei es einfacher gewesen als in der Landespolitik, dicke Bretter zu bohren. Was aber zum Beispiel Mittwochabend in Berlin beim jüngsten Corona-Gipfel mit der Kanzlerin beschlossen wurde, tja, das entspreche ziemlich deutlich dem, was seine in Bayern mitregierenden Freien Wähler schon seit Wochen propagiert hätten: „Wir nennen es ,Bayernplan‘“, erklärt Hold, „der Ministerpräsident war zunächst dagegen und nennt es nun ,Öffnungsmatrix‘.“

Lässt man mal das parteipolitische Geplänkel beiseite: Markus Söder und Alexander Hold haben was gemeinsam. Beide lieben es, im Fernsehen zu sein. Aber nicht alle lieben es, wenn sie im Fernsehen sind. Söder zum Beispiel, damals noch Heimatminister in Bayern, bekam mächtig Ärger, als er sich in der BR-Soap „Dahoam is dahoam“ selbst spielte. Diskussionen entbrannten, wie lang und ob überhaupt ein Politiker in einer fiktiven Handlung auftreten dürfe. Und auch bei Hold dauerte es nicht lang nach der ersten Friedhofepisode, bis der politische Gegner via Lokalpresse schäumte: Mit dem „hochangesehenen Amt“ des Vizepräsidenten im Landtag sei so ein „recht skurriler und reißerischer“ Auftritt „nicht ganz einfach vereinbar“.

Zumindest das mit der Vereinbarkeit sieht im Prinzip auch der Gescholtene so. Sind regelmäßige Drehtermine zeitlich unter einen Hut zu bekommen mit meinem professionellen politischen Einsatz? „Natürlich nicht!“, antwortet Alexander Hold auf seine eigene rhetorische Frage, „meine Tage und Wochen sind mehr als voll.“ Aber bei „Grave Secrets“ hätten die Umstände gepasst: Erstens sei er nun mal ein neugieriger Mensch, der sich darüber gefreut habe, dass nach diversen „Tatort“-Kommissaren nun auch ein Richter für ein True-Crime-Format angefragt wurde. Seine beruflichen Erfahrungen als Strafrechtler würden zudem in Sachen Glaubwürdigkeit der Moderationen natürlich helfen, und sei es nur in der einen oder anderen Anmerkung zu Unterschieden der Rechtssysteme in Deutschland und den USA. Zweitens sei letztes Jahr an große Urlaubsreisen coronabedingt nicht zu denken gewesen. Und so war es möglich, diese 20 Folgen in einer August-Woche nachts auf dem Friedhof zu drehen. „Quasi als Ferienjob“, sagt Hold.

Scho‘ a bissle gruslig, wo manche Leut‘ ihren Urlaub verbringen, oder? Dass andere Leute wiederum, speziell die in seiner Allgäuer Heimat, sein jüngstes TV-Projekt mit Fragezeichen sehen, „weil so etwas schnell auf ein schlechtes Niveau sinken kann“, quittiert Hold mit einem Achselzucken: „Sie können im Fernsehen machen, was Sie wollen. Sie werden immer jemanden finden, der Ihre Sendung gar nicht gesehen hat, sie aber grundsätzlich schlecht findet.“ Das begleite ihn schon sein ganzes Fernsehleben. „Und wenn Sie dann auch noch beim Privatfernsehen arbeiten, wird das per se kritisch gesehen.“ Fast schon trotzig schiebt er den Satz hinterher: „Macht Judith Rakers genau das gleiche wie ich, nur in der ARD, kommt niemand auf die Idee, das könnte niveaulos sein.“

Ein Niveauproblem? Das gab es in Alexander Holds TV-Vita schon einmal. Was hat man in den Nullerjahren über diese inszenierten Justiz-Schlachten im nachmittäglichen Privatfernsehen gestritten: Echte Richter, Anwälte und Staatsanwälte verhandelten vor einer Gerichtskulisse erfundene Fälle. Die Zeugen und Angeklagten, allesamt von Laien dargestellt, heulten, keiften und lärmten herum. Barbara Salesch hatte sich 1999 als erste deutsche Richterin auf dieses Terrain gewagt. Alexander Hold, damals Richter am Amtsgericht Kempten, folgte ihr zwei Jahre später auf demselben Sender mit jugendlich-sportlichem Elan (für den achtsekündigen Vorspann zu „Richter Alexander Hold“, wo er mit Aktentasche leichtfüßig die Treppe hochhechtet, drehten sie im Berliner Kammergericht eine ganze Nacht lang!). Beider Shows hoben ab zu einem Dauer-Höhenflug, der nach dem TV-Aus erstaunlicherweise anhielt, sowohl in linearen Wiederholungsschleifen als auch inzwischen auf Youtube mit jeweils eigenem Kanal. Wen das nicht erstaunt: Alexander Hold.

"In der Politik mehr als ausgelastet"

Bei allen Übertreibungen und Überspitzungen, die so ein Format haben müsse, glaubt er, dass seine Gerichtsshow „Richter Alexander Hold“ eine „innere Stärke“ hat, die manche zunächst nicht erkannt oder geringgeschätzt hätten: „Sie beschränkt sich nicht auf die Aufklärung eines Falls, wie es im Krimi üblich ist, sondern sie ordnet eine Straftat ein: Was ist die richtige Reaktion des Rechtsstaates? Was ist eine gerechte Strafe?“ In einer Gerichtsverhandlung ließen sich diese Fragen „aus verschiedenen Perspektiven beleuchten“. So bekämen die Zuschauer die Möglichkeit, „ihr Wertesystem zu justieren und abzugleichen“. Gut, diesen pädagogischen Impetus hat man jetzt so nicht mehr unbedingt in Erinnerung. Schließlich liefen in der Hochphase zeitweise sechs verschiedene Gerichtssendungen im Fernsehen, die die Spirale immer weiter nach oben drehten und unrealistisch bis zur Schmerzgrenze wurden. Er habe da aber nicht mitgemacht, betont Hold, auch Sat.1 und die Produktion (Constantin Entertainment) hätten schnell erkannt, „dass das auf Dauer nicht der richtige Weg war“.

Als größten beruflichen Coup seines Lebens bezeichnet der Fernsehrichter a.D., dass er sich in den allerersten Vertrag für „Richter Alexander Hold“ die richterliche Unabhängigkeit habe reinschreiben lassen. Immer, wenn Bitten an ihn herangetragen wurden, kannst du dein Urteil kürzer fassen oder kannst du den Zeugen dies und das fragen, pochte er auf seinen Vertrag: Nein, ich mache das hier in der Sendung genauso, wie ich es bei der Justiz machen würde. Ich stelle Fragen, die relevant sind, und keine, die eine Sensationsgier befriedigen. Ob im Fernsehen oder in der Politik, was er sage, müsse seine Handschrift tragen, „sonst könnte ich nicht authentisch sein“. Das habe in dem mehr oder weniger geskripteten Improvisationstheater „Richter Alexander Hold“ manchmal dazu geführt, dass er am Ende völlig andere Urteile fällte, als die Redaktion sich das im Voraus vorgestellt habe.

Alexander Hold © Discovery
Immer wieder sei er in den vergangenen Jahren angefragt worden für ähnliche Formate. Dass eine Renaissance von Gerichtsshows im Fernsehen bevorsteht, davon ist Alexander Hold überzeugt, aber nicht mehr mit ihm. Und dann weist er auf sein vorgerücktes Alter hin, nächste Woche werde er ja schon 59 und ach, die vielen grauen Haare. . . Apropos, wo sind sie hin? Bis vorige Woche, das fällt ja in diesen Zeiten sofort auf, wucherte das Grau noch auf seinem Kopf. Jetzt hat Hold die Haare wieder schön. Am 2. März um acht in der Früh, erklärt der glückliche Frühbucher, saß er im Salon. Aber zurück zum Thema Recht und Ordnung im Fernsehen: Alter kann doch kein Argument sein, schließlich ist Anwalt Ingo Lenßen ein Jahr älter und neuerdings wieder mit eigener Sat.1-Sendung präsent? Der Unterschied zwischen Ingo Lenßen und ihm sei: „Ingo hat die Zeit dafür, ich bin in der Politik mehr als ausgelastet.“

Grundsätzlich, das will Stefan Raabs fünfmaliger „Wok-WM“-Teilnehmer Alexander Hold an dieser Stelle festgehalten wissen, schließe er Jobs im TV auch heute nicht aus. Bei Parlamentariern sei es ja „geradezu wünschenswert, dass sie mit beiden Beinen in ihrem bisherigen Leben stehen bleiben und nicht völlig in einer Politikblase verschwinden“. Wer nach einer Plenarwoche samstags in der eigenen Metzgerei hinterm Tresen steht, müsse sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, sich vom Volk entfernt zu haben. Der entscheidende Punkt: Eine Tätigkeit neben der Politik dürfe nicht zu Interessenkonflikten führen und müsse zeitlich vereinbar sein mit dem Engagement fürs Allgemeinwohl. Fünf Drehtage in den Parlamentsferien hält Hold für „völlig unverdächtig“.

Ob er, der ja seit 2019 im Rundfunkrat des BR Mitglied ist, denn irgendwelche Fernsehkarrieren kategorisch ausschließe, will man noch von ihm wissen. „Ein regelmäßiges Engagement ist sicher schlecht vereinbar“, sagt Hold, „im Übrigen kommt es darauf an, wofür man sich hergibt.“ Für Klamauk sei er damals wie heute nicht zu haben: „Ich bin Jurist, nicht Schauspieler. Alles, was damit in Zusammenhang steht, kann man mit mir jederzeit anstellen.“ So wie Norbert Blüm selig in Quizshows mitzuraten, das kann sich Hold sehr gut vorstellen. „So können Menschen sehen, dass wir Politiker nicht alle nur Aktenfresser und Redenhalter sind.“ Und ein Politiker bei „Schlag den Star“ – warum denn nicht? „Solange er fit ist.“ Für ihn – wie gesagt, das Alter! – stelle sich diese Frage leider nicht mehr. Da halte er „rein sportlich“ nicht mehr mit. „Daran ist die Politik nicht unschuldig.“