Taucht Jenke von Wilmsdorff, dieser Reporterhaudegen mit Hang zum Extrem, im Fernsehen auf, kann man in der Regel davon ausgehen, dass ihn Jan Kreutz begleitet hat. So war es zuletzt am Dienstag in „Jenke Crime“ auf Pro Sieben“, als sich der TV-Journalist in das Gespräch mit einem verurteilten Mörder vertiefte, was sein „Lieblingskameramann“ festgehalten hat. Nach Kreutz’scher Rechnung feiern die beiden im kommenden Jahr „Silberhochzeit“.

Durch knöchelhohe Scheiße ist das „Paar“ in all den Jahren gewatet; ihnen flogen Pistolenkugeln um die Ohren, sie wären fast auf dem Mittelmeer abgesoffen, wagten sich in atomar verstrahltes Gebiet, wurden von Al Quaida gesucht und gewannen fast einen International Emmy – so was schweißt zusammen. So was lohnt, erzählt zu werden.

Und das haben die beiden ein Jahr lang ausgiebig öffentlich getan. Jeden Mittwoch füllten sie den ProSieben-Podcast „Jenke. Extreme Momente“ mit Abenteuerstoff und Zärtlichkeiten. „Meine Sahneschnecke“ säuselte der eine, „meine kleine Angetraute“ der andere. Ist Liebe nicht schön? Seit Mitte August, seit Episode 67, „pausiert“ das Format zum Hören und Sehen. Angeblich, weil der „Kevin“, ihr Redaktionsleiter mit Nachnamen Hennings, sich von den fantastischen Reiseberichten zu einer eigenen Weltreise verleiten ließ.

Gut so! Denn so hat Jan Kreutz Zeit für uns.

Jan Kreutz © Benjamin Donath
Ihn in einer ruhigen Minute zu erwischen, ist gar nicht so einfach. Der Kerl hat „Hummeln im Arsch“. So hat er es selbst im Podcast gesagt. Sogar ein Lockdown bremst ihn nicht aus. Als alle anderen brav zuhause bleiben mussten/sollten, jettete er mit Meisterkoch Tim Raue im Magenta-Auftrag umher. Er verbringt eben mehr Zeit auf Achse als daheim.

Dabei ist er, wie man bei ihm in der Gegend sagt und heraushört, ein bodenständiger Öcher Jung (gesprochen: Öscher). Also in Aachen geboren, in einem Vorort mit Frau und zwei Kindern lebend. An diesem Morgen hatte der Familienvater die seltene Gelegenheit, höchstpersönlich dafür zu sorgen, dass der Nachwuchs pünktlich zur Schule das Bett verlässt. Erst am Vorabend war er von einem Dreh mit Mario Barth in Berlin zurückgekehrt. Davor trieb er sich mit Tim Mälzer in Stavanger herum für eine neue Folge von „Kitchen Impossible“, zu dessen Stammcrew er zählt, und davor mit Vater und Sohn Pocher in England und Schottland. Die Route der folgenden Tage steht längst fest: erst Barcelona, dann Buenos Aires wieder mit Mälzer, dann wieder nach Katar, um für das Tourism Board weitere Werbeclips für die WM-Spielpausen zu drehen.

Sorry, Jenke, der Jan geht (beruflich) gerne fremd. Soll in den besten Ehen vorkommen.

„Mir war immer klar: Ich möchte mein Geld mit Reisen verdienen“, sagt er. Ergo: egal wie und egal mit wem. Bevor er als Reportagekameramann und Spezialist für Food & Travel die Welt bereiste, schlug er allerdings einen anderen, aber nicht weniger abenteuerlichen Weg ein.

Nach dem So-so-la-la-Abi ließ er sich zunächst zum Fluggerätemechaniker ausbilden, weil er Pilot werden wollte. Er landete dann aber nicht in der Luft, sondern auf einem Schiff. Für eine französische Reederei fuhr Jan Kreutz ein paar Jahre zur See, genauer in die Südsee. Da kommen Bilder auf! In jedem Hafen eine...

Aber nein, das Klischee wird von ihm sofort zertrümmert: „Die Liegezeiten in der heutigen Handelsmarine sind nicht mehr so lang, dass man Zeit hätte, eine, ich sag‘ mal, Liebesbeziehung mit einer Südseeschönheit aufzubauen.“ Wenn, dann müsste man sich so was erkaufen, aber da sei er „nicht so der Freund von“. Sobald er Landgang hatte, schnappte er sich lieber den Fotoapparat. Noch ohne den Hintergedanken, das Hobby zum Beruf zu machen.

Soziales Auffangbecken Fernsehen

In Genua heuerte er irgendwann ab, kehrte nach Aachen zurück und landete per Zufall „im sozialen Auffangbecken Fernsehen“. Obwohl er über gar keine journalistische Vorerfahrung verfügte, weckte er das Interesse von Roland Gross, Gründer und Geschäftsführer der 24 25 TV & Medienproduktion in Köln. Die Firma ist spezialisiert auf Dienstleistungen vom Ein-Mann-Kamerateam bis zur kompletten Produktion. Kreutz‘ Matrosenerfahrung stach heraus. So einer ist teamfähig, so einer reist gern, schloss Gross. Aus einem Praktikum wurde eine Festanstellung. Bis heute hält Jan Kreutz der 24 25 die Treue. Weil er dort mit dem neusten Material auf dem Markt arbeiten kann. Wegen dem „echt super Team“. Und überhaupt wegen der Freiheit, hauptsächlich Projekte machen zu dürfen, die ihm Spaß machen.

Und dazu gehört vor allem: Reisefernsehen, am liebsten mit Jenke von Wilmsdorff.

Ende der 1990er lernten sich die beiden kennen. Jenke, wie er hier der Einfachheit halber weiter heißen soll, war damals noch als Schauspieler unterwegs und wurde als Lockvogel für Versteckte-Kamera-Formate gebucht. Bei Birgit Schrowanges „Life! Total verrückt“ auf RTL funkte es zwischen ihm und dem jungen Kameraassistenten oder wie der Jan sagt: „Wir haben uns sehr schnell sehr gut verstanden, weil wir merkten, dass wir gleich ticken, was Humor betrifft.“ Als Jenke dann zum RTL-Magazin „Extra“ ins journalistische Fach wechselte, blieben sie einfach zusammen.

Es war die Phase, in der Jenke anfing, alles Mögliche an sich auszutesten, sei es Berufe wie Rikscha-Fahrer in Kalkutta, das Leben als alleinerziehende Mutter oder schlicht Drogen. Für Jan galt: mitgehangen, mitgefangen – allerdings nicht bei allen Selbstexperimenten. Wenn sich der Reporter LSD reinpfiff oder vier Wochen lang Alkohol soff, hielt sich sein Kameramann klugerweise zurück. Sonst könnte man die Aufnahmen vergessen. Da muss Jenke alleine durch. Es heißt ja auch „Jenke Experiment“ und nicht „Jan Experiment“.

Mit der Experimentierlust wuchs auch der Redebedarf. Sprich: Jenke bezog Jan regelmäßig in seine Gedanken- und Gefühlswelt mit ein. Die Zwiegespräche im On wurden bald zu ihrem Markenzeichen – und ihre Reportagen, die ein eigenes Format bekamen, immer wilder.

Was Jan Kreutz „Dachschadenaufträge“ nennt, war teilweise grenzwertig bis lebensgefährlich. In Neufundland zum Beispiel entkamen sie den zu allem bereiten Robbenjägern nur, weil eine kanadische Spezialeinheit sie rechtzeitig ausflog. Wie haarig manche Situation war, habe er immer erst hinterher reflektiert: „Im Moment des Drehens war mir das gar nicht bewusst oder ich habe es ausgeblendet. Man ist auf Adrenalin.“

Davon hatte er eine ordentliche Portion intus, als er mit Jenke an der tunesisch-libyschen Grenze über die Flüchtlingsströme berichten sollte. Der Arabische Frühling war gerade angebrochen, Gaddafi noch nicht gestürzt. Sie tranken so viel Chai mit X und mit Y, dass die Menschenschleusermafia sie schließlich übers Meer mitfahren ließ. Als Mann, der lange zur See fuhr, wusste Jan Kreutz, so weit ist die Strecke bis Lampedusa nicht, das kann man in einem halben Tag schaffen.

Jan Kreutz © Benjamin Donath
Aber das Boot nahm eine südlichere Richtung. Aus der Halbtagestour wurden drei Tage, aus dem schönen Wetter ein Sturm. Ging trotzdem gut aus für alle Beteiligten und ganz besonders für Jan & Jenke. Ihre Reportage „Das gnadenlose Geschäft mit der Flucht aus Afrika“ bekam 2011 eine Nominierung für den International Emmy (der in diesem Jahr an Bully Herbig gehen könnte). Um bei der Gala in New York dabei sein zu können, verschob der Mann hinter der Kamera selbstverständlich die Party zu seinem Vierzigsten.

Das Stück Zeitgeschichte hat gleichwohl polarisiert. Sie würden Schlepperstrukturen unterstützen, weil sie Geld für die Überfahrt bezahlt hätten, wurde ihnen vorgeworfen. Jahre später denkt Jan Kreutz immer noch, dass es die richtige Entscheidung war. Er habe den einen Polizisten im Ohr, der sie auf Lampedusa verdutzt in Empfang nahm und sich bedankte, endlich zeigt mal einer, was hier los ist. „Es ging uns ja nicht darum, auf dicke Hose zu machen“, betont er, „sondern wir wollten die Flüchtlingskrise dokumentieren.“

Und noch etwas ist dem Reportagefilmer wichtig festzuhalten: Nie habe ihn eine Redaktion oder Produktion zu Grenzüberschreitungen gedrängt, im Gegenteil, die Auftraggeberseite werde nicht müde zu sagen, überlegt euch das gut. All die wilden Sachen, das hätten sich immer nur Jenke und er ausgedacht: „Wir sind halt gleich verrückt.“

 

Wenn ich in Papua Neuguinea im Dschungel stehe, kann ich mir nicht lange Gedanken machen über den Einsatz von Objektiven oder das Setzen des Lichts.

 

Auch seien bei ihm nie gestellte oder geschönte Bilder bestellt worden, was andere Kollegen als zunehmende Unsitte beklagen (wie dieser hier). Mit kompletter Tiefenschärfe, dem richtigen Licht und erst recht in der Nachbearbeitung „aus Scheiße Gold machen“, ja, das geht technisch absolut. Aber man sollte es nicht, findet Jan Kreutz. Nur zeigen, was wirklich ist, daran halte er sich. Deshalb würde er sich auch nicht von einem Büromenschen sagen lassen, wie er einen Touareg in der Sahara zu filmen habe: „Ich fahr‘ dahin, und dann steht der Touareg da und er sieht aus, wie er halt aussieht. Da fange ich nicht an, ihm einen anderen Turban aufzusetzen, weil jemand besser zu wissen glaubt, wie ein Touareg auszusehen hat.“

Vielleicht habe er diesbezüglich Glück gehabt. Vielleicht gebe es in anderen Formaten diesen Druck. Eine andere Form von Druck verspürt er nichtsdestotrotz schon.

Die Konkurrenz durch die Streamer verlangt, dass auch das Fernsehen Bilder mit Kino-Schauwert produziert. So wird bei „Kitchen Impossible“, der Avantgarde im Bereich Food & Travel, mit derselben Amira-Kamera und denselben Ultra Primes-Objektiven von Arri gearbeitet wie beim Oscar-Preisträger „Nomadland“. Selbst Interviews etwa für „Jenke Crime“ können mit einer 50-Millimeter-Festbrennweite schön eingerichtet werden, was früher nur mit Filmkameras möglich war.

Ehrlicherweise, schränkt der Fachmann aus Aachen ein, habe man für den tollen „Kitchen-Look“ nicht immer die Zeit: „Wenn ich in Papua Neuguinea im Dschungel stehe, kann ich mir nicht lange Gedanken machen über den Einsatz von Objektiven oder das Setzen des Lichts.“

Seit er Vater ist, überlässt er solche Dschungelstrapazen und andere Verrücktheiten ohnehin Thilo Mischke, diesem anderen Extrem-Reporter auf Pro Sieben, „der das super macht“. Nach ruhigen Zwischenstopps wie bei Julia Leischiks „Bitte melde dich“ oder Barbara Saleschs Gerichtsshow packt es Jan Kreutz allerdings, auch mal wieder eine ruppigere Reportage zu drehen, über eine Silbermine in Angola zum Beispiel, „die darf der Mischke nicht haben“.

Und wie geht’s eigentlich weiter mit Jan & Jenke?

Es ist schon eine Weile her, dass die beiden eine gemeinsame Weltreise unternahmen, was Jan Kreutz scherzend damit erklärt, dass einige seiner ehemaligen Kameraassistenten „leider zu gut geworden sind, sie haben mich teilweise beerbt“. So flog Jenke für seine aktuelle Reportagereihe „Local Hero“ ohne seine angetraute Zuckerschnecke nach Kuba.

Aber, da steckt einiges in der Pipeline, sagt Jenkes Lieblingskameramann, worüber er noch nicht sprechen darf. „Wir sind noch nicht am Ende, um unsere Geschichten zu erzählen.“

Summ summ, ein Hoch auf die Hummeln!