Wenn Esther Sedlaczek kommende Woche den Koffer packt für den Deutschen Fernsehpreis, dann reist sie in einer Tripelrolle an. Sie wird nicht nur Dienstagabend durch die „Nacht der Kreativen“ führen. Abends drauf steht sie bei der Hauptgala als Laudatorin auf der Bühne – und möglicherweise auch als Preisträgerin. Die „Sportschau"-Moderatorin ist nominiert in der Kategorie Beste Moderation für ihre Leistungen bei der Fußball-EM. Schon im Vorjahr hielt die Jury sie für eine der Besten, damals im Bereich Show, den sie relativ neu erobert hatte.
Wer das alles nicht für verdient hält, möge bitte für immer schweigen. Oder hier weiterlesen und sich vom Gegenteil überzeugen lassen.
Zum Shooting-Star des ersten deutschen Fernsehens und Darling der Presse – „Esther Sedlaczek hat es drauf“, titelte etwa die FAZ – wird man ja nicht ohne Grund und Basis. Das wird auch klar, wenn man mit ihr eine intensive Tele-Stunde verbringt.
Ihre beiden Kinder hat sie kurz zuvor mit dem Fahrrad zu Schule und Kindergarten gebracht, sich dann bei einer Tasse Kaffee für ein paar Minuten der Ruhe gesammelt, um sich nun drüben in ihrem Zuhause in München als unfassbar sympathische Perfektion in Person zu präsentieren. Ja, als Ebenbild ihres Fernseh-Ichs, das sich traumwandlerisch sicher und dennoch locker durch die Sendungen bewegt, sei es in ihrer Königsdisziplin Sport oder in „Quizduell“ und „Die große Maus-Show“.
Sie lässt sich, dank der power of self control, ebenso wenig dazu verleiten, ihr Tattoo am linken Puls zu erklären, welches beim Linse-Putzen zum Vorschein kommt. Was auch immer dieser Stern persönlich für sie bedeutet: Er meint es gerade echt gut mit ihr.
Seit Esther Sedlaczek 2021 nach gut zehn Jahren Fußballbegleitung im Pay-TV Sky dem Ruf der ARD folgte, scheinen ungeahnte Energien bei ihr freigesetzt worden zu sein. Anders kann es nicht sein. Hinter ihr liegt der intensivste Sportsommer ihrer bisherigen Karriere: erst Fußball-EM im eigenen Land, dann nahezu nahtlos Olympia in Paris. Im Wechsel mit Alexander Bommes ist sie da mit bemerkenswerter Leichtigkeit und Präzision durch die strapaziösen Wochen gerauscht.
Doch Esther Sedlaczek grätscht sofort dazwischen. Mit Energiefreisetzen habe das nichts zu tun: „Man hat bei der ARD einfach eine ganz andere Bühne und Wahrnehmung von außen.“ Statt vorher 50.000 bis 100.000 Menschen schauten jetzt mindestens eine Million bei der „Sportschau“ zu. Sie nutze das Werkzeug, das ihr bei Sky „übergeben“ wurde. „Alles Wichtige habe ich dort gelernt und alle Voraussetzungen geschaffen, um auf dieser Riesenbühne zu funktionieren.“
Sagt’s und lässt sich nur ganz kurz vom Krach der Rasenmähenden Nachbarschaft in die Parade fahren. Fenster zu. Wo waren wir stehen geblieben?
Die Energie. Nach so einem Sportsommer sei man natürlich erschöpft, „aber er hatte ein absehbares Ende“, jetzt gehe es ja entspannter weiter. Sollte ihr Lampenfieber mit dem Senderwechsel gewachsen sein – man merkt es Esther Sedlaczek nicht an. Auch wenn sie Bastian Schweinsteiger bei Länderspielen flirty anstrahlt (und vice versa!), bringt sie den ARD-Experten immer gezielt zurück auf die Analysespur. Und sie vergisst nie, die wirklich wichtigen, unangenehmen Fragen zu stellen. Oliver Bierhoff, beim WM-Debakel in Katar noch Geschäftsführer der deutschen Elf, wird seinerseits vermutlich nicht vergessen, wie Esther Sedlaczek ihn direkt fragte: „Braucht es auf Ihrem Posten Veränderung?“
Egal wie viele Menschen zuschauten, sie versuche halt, ihren Job immer bestmöglich zu machen, sagt sie. Bei Sky habe sie sich ein „Wohlbefinden vor der Kamera“ erarbeitet, was ihr jetzt sehr helfe. „Nichtsdestotrotz treibt ein EM-Spiel mit deutscher Beteiligung in der ARD natürlich auch meine Anspannung in die Höhe, wirklich alles so zu machen, wie ich es vorbereitet habe, und ohne grobe Fehler.“
Also ohne allseits gefürchteten „Schalke 05-Moment“?
„Ganz ehrlich, wie viele männliche Kollegen haben schon Vergleichbares wie Schalke 05 gesagt und niemanden hat es interessiert?“, fragt Esther Sedlaczek zurück. „Würde es mir passieren, ja, mein Gott, dann habe ich mich in dem Moment halt versprochen. Aber ist das wirklich ein Anlass, um mir nach 13 Jahren meine Kompetenz streitig zu machen?“
Natürlich nicht.
Schon als Kind ging sie regelmäßig ins Stadion, zu Hertha in ihrer Geburtsstadt Berlin. Durch ihr Elternhaus war auch schon immer eine Nähe zum Fernsehen gegeben. Ihr leiblicher Vater ist der Schauspieler Sven Martinek, bekannt u.a. aus der Sat.1-Komödie „Bei manchen Männern hilft nur Voodoo“. Sie lernte ihn allerdings erst mit 16 Jahren kennen (worüber sie in dieser Sky-Doku sprach). Weit prägender war ihre alleinerziehende Mutter, die als Aufnahmeleiterin bei Sat.1 in Berlin arbeitete. Diese nahm die Tochter schon früh mit in die Studios von „Frühstücksfernsehen“ über „Vera am Mittag“ bis „Glücksrad“. Und lebte ihr vor, was es heißt, eine working mom zu sein.
Mit blutjungen 19 Jahren hatte Esther Sedlaczek allerdings erstmal anderes im Kopf, als sich Gedanken über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu machen. Die einjährige Post-Abi-Findungsphase verbrachte sie als English Teacher in Sri Lanka. Danach erst machte sie sich an die Erfüllung ihres Teenager-Traums ran.
Ein Sky-Casting sorgte für den Durchbruch
Das WM-Finale 2002 Brasilien-Deutschland in Yokohama hatte sie so sehr begeistert, dass sie ihren Weg zum Sportfernsehen suchte. Dass sie Talent dafür haben könnte, erkannte sie daran, dass sie beim Referate-Präsentieren in der Schule immer aufblühte. Das Studium in Modejournalismus und Medienkommunikation brachte sie zu einem Praktikum bei RTL. Sie übte sich dann als Reporterin und Nachrichtensprecherin im Regional-TV in Berlin und bewarb sich 2010 bei einem fast schon legendären öffentlichen Casting von Sky, das auch die Weichen stellte für die Karriere von Laura Wontorra (nachzulesen in dieser „Nahaufnahme“).
Die Sportmoderatorin in spe schickte das Demo-Tape ein, sagte sich aber zugleich, um sich zu schützen: Vergiss es direkt wieder, besser nicht drauf hoffen. Das gelang ihr auch gut – bis zwei Monate später das Telefon klingelte. Esther Sedlaczek erinnert sich noch genau. Es war Oktober, sie fuhr im Auto an der „Schwangeren Auster“ vorbei (für Nicht-Berliner: die ehemalige Kongresshalle im Tiergarten). „Sie sind unter den letzten Elf“, sagte der Anrufer. Die Angerufene konnte das zunächst gar nicht zuordnen.
Bei Sky tastete sie sich vor, zweite, erste Bundesliga, DFB-Pokal, die erste Fußballshow. „Mein Stadion“, donnerstags aus einer Kneipe gesendet, gemeinsam mit Ulli Potofski. Der Pionier des Sportjournalismus im Privat-TV sei auf immer und ewig ihr „Fernsehpapa“, schwärmt Sedlaczek, seit er sie junges, unerfahrenes Ding bei Sky mit offenen Armen empfangen habe. „Ulli ist nicht nur ein unglaublich witziger Mensch und Fußball-Almanach. Er lehrte mich auch Authentizität vor der Kamera: Sei einfach du selbst, dann hast du Spaß. Das habe ich verinnerlicht.“
Seit sie bei der ARD angeheuert hat, lässt sich Esther Sedlaczek von Gaby Papenburg coachen. Auch sie wie Potofski eine first moverin, Anchorwoman bei „ran“ – und dazu Mutter. Mit ihr bespricht Sedlaczek nicht nur inhaltliche Themen. Papenburg berät sie auch, wie sie Job und Familie verbindet, ohne dabei über ihre Grenzen zu gehen.
"Wenn Frauen aus der Elternzeit kommen, darf man sie nicht unterfordern."
Kaum hatte sie im Sommer vor drei Jahren ihren Einstand bei der „Sportschau“ sowie im (einmaligen) Länderspiel-Talk mit Micky Beisenherz, wurde Esther Sedlaczek zum zweiten Mal öffentlich sichtbar schwanger. Nur wenige Wochen war die heute 38-Jährige weg vom Schirm. Als Selbstständige hätte sie das große Glück gehabt, selbst entscheiden zu können, welche Aufträge sie als Schwangere annehmen möchte, sagte sie in einem Interview. Vielen Freundinnen sei die Entscheidung abgenommen worden, was sie noch leisten können und dürfen. Was sie auch wichtig finde: „Wenn Frauen aus der Elternzeit kommen, darf man sie nicht unterfordern.“
Und das haben die ARD-Granden ganz sicher nicht getan. Sie trauten ihr sogar noch mehr zu, als der ursprüngliche Deal vorsah: Die kann auch Unterhaltung.
Erst übernahm Esther Sedlaczek das „Quizduell“ von Jörg Pilawa (und trieb die Quoten hoch wie seit 2019 nicht mehr), dann die Maus-Show von Eckart von Hirschhausen am Samstagabend. Möglicherweise fühlte man sich in der Programmdirektion in Zugzwang, neben Barbara Schöneberger ein weiteres weibliches Gesicht zu präsentieren. Und sehr wahrscheinlich wirkte die Aufregung um die Aussage von Volker Herres noch nach: Der damalige ARD-Programmchef sagte im Sommer 2020 gegenüber der „BamS“ sinngemäß, ihm falle keine Frau ein, die Kai Pflaume das Wasser reichen könne.
Wie sie damals darüber dachte? Esther Sedlaczeks erster Gedanke war: „Man muss den Frauen halt auch mal die Chance geben. Es gibt genug Belege, dass es eben doch möglich ist. Eine Lea Wagner steht in den Startlöchern. Es liegt an den Sendern, dass weitere folgen."
Regie führt bei diesem großen Kindergeburtstag übrigens Andrea Achterberg, die sich bei der „Nacht der Kreativen“ Chancen auf einen Fernsehpreis ausrechnen kann. Könnte sie ihr die Trophäe tatsächlich überreichen, würde sich Esther Sedlaczek, die Moderatorin des Abends, mit ihr „riesig freuen, ist doch klar“. Ohne Achterbergs Unterstützung hätte sie vermutlich nicht so gut in den Ablauf einer fünf-, sechsstündigen Aufzeichnung gefunden. Alle Positionen im Kopf zu behalten, sich auf die prominenten Gäste und die unterschiedlich vor der Kamera agierenden Kinder einzulassen, das war schon „eine Nummer“ für sie. „Aber hey, ich bin da noch nicht am Limit. Ich sehe noch Entwicklungspotenzial.“
Nur Ansager & Schnipselmann, die „Die große Maus-Show“ produziert, wird bald nichts mehr entwickeln. Die Produktionsfirma von „hart aber fair“-Erfinder Frank Plasberg stellt bekanntlich zum Jahresende den Betrieb ein. Was das für die „Maus-Show“ bedeutet? Na ja, gibt sich die Gastgeberin schmallippig, „das werden wir sehen.“ Sie könne nichts dazu sagen, außer dass sie wisse, dass Veränderungen passieren werden. „Ich lasse das auf mich zukommen.“
"Kein Small-Talk-Typ"
Noch bleibt alles beim Alten. Im November wird die nächste „Maus“-Ausgabe aufgezeichnet. Esther Sedlaczek wird im selben Monat ihren 39. Geburtstag feiern. Und sie wird, in ihren Worten, dann natürlich längst nicht „am Limit“ sein. Sie ist schließlich in einem Senderverbund gelandet, in dem auffällig oft Personal mit „Sportschau“-Kompetenz Weiterentwicklungsmöglichkeit bekommt.
Anne Will war 35, als sie die Hauptmoderation der „Tagesthemen“ übernahm, Jessy Wellmer knapp 44. Und Gerhard Delling versuchte sich vertretungsweise ja auch eine Weile hinterm tt-Pult. Da wäre es also gar nicht abwegig, dass auch Esther Sedlaczek einmal . . .
Diese Vorstellung lässt sie kurz auf sich wirken, um dann mit einem „also“ anzusetzen: Das, was sie momentan habe, lasse sich wunderbar mit ihrer Familie vereinen. Diese komme immer an erster Stelle. „Da kann nicht mehr viel dazukommen. Ich kann es mir aktuell nicht vorstellen, ins Nachrichtenfach zu wechseln. ,Aktuell‘ bedeutet aber keine Absage für die Zukunft.“
Wer jetzt bei den Fernsehpreis-Festivitäten auf die Idee kommen sollte, dieses Zukunftsszenario mit Esther Sedlaczek zu vertiefen, sei gewarnt. Solche Veranstaltungen sind für sie „im positiven Sinne etwas überfordernd“. Sie sei „kein Small-Talk-Typ“. Sie könne das bis zu einem bestimmten Punkt, komme sich aber immer ein bisschen verloren vor. Trotzdem sei der Fernsehpreis eines der wenigen Ereignisse im Jahr, bei denen man Menschen treffe, die man lange nicht gesehen habe. „Insofern“, schließt Esther Sedlaczek: „Es hat sehr viel Schönes.“
Insofern: Auf ein schönes Fest!