Diese Telegeschichte beginnt am 1. November 1993 in Mainz. An diesem Tag trat der erst 33-jährige Fred Kogel offiziell seine Tätigkeit als neuer Unterhaltungschef des ZDF an. Zuvor hatte der Jurist als Radiomoderator und Assistent von Filmproduzent Bernd Eichinger gearbeitet und war jetzt als freier Fernsehproduzent tätig. In dieser Funktion hatte er bereits seit 1991 den Dauerbrenner "Wetten, dass...?" umgesetzt und Thomas Gottschalk zur Rückkehr auf die Wettcouch überredet. Zu seinem neuen Aufgabengebiet beim ZDF gehörte nun die Verantwortung für Reihen wie "Lustige Musikanten", "Musik liegt in der Luft" oder "ZDF Fernsehgarten", die hauptsächlich ein älteres Publikum ansprachen. Dies wollte Kogel ändern und verstärkt Jüngere zum Zweiten locken. Kogel zeigte hierbei keine Furcht.

Er beendete das traditionsreiche Quiz "Der große Preis" und ersetzte es durch die modern-anmutende Spielshow "Goldmillion". Er legte sich mit TV-Legende Dieter-Thomas Heck an, dem er einige Sendeplätze seiner überalterten Musikshows streichen wollte. Er hob das völlig überladende und bis an die Schmerzgrenze kommerzialisierte Gaming-Magazin "X-Base - Der Computer-Future-Club" ins tägliche Nachmittagsprogramm. Und er wagte mit der schrägen "Mondschein-Show", am späten Samstagabend eine neue Late-Night-Unterhaltung einzuführen. Das ging gehörig schief, was nicht zuletzt am Moderator Ken Jebsen lag, der sich nicht nur mit Blick auf seinen späteren Werdegang als schlechte Wahl für dieses Vorhaben herausstellte. Ähnlich erging es "X-Base" und "Goldmillion", beide Produktionen fanden mangels Resonanz ihr baldiges Ende. Einzig die wenig innovative Versteckte-Kamera-Variante "Voll erwischt", die von Kogels Radiokumpel Fritz Egner präsentiert wurde, erreichte gute Sehbeteiligungen.

Die junge Zielgruppe nahm die meisten seiner neuen Ideen im ZDF offenbar nicht an und das alteingesessene Stammpublikum konnten mit ihnen wohl nichts anfangen. Dennoch sorgten Kogels Entschlossenheit, Durchsetzungsfähigkeit und Mut in der Branche schnell für Aufsehen.

"Weg vom Kaffeefahrtenimage" – Sat.1 erfindet sich neu

Etwa zur gleichen Zeit geriet auch der Privatsender Sat.1 in Schieflage. Trotz großer Hits wie "Glücksrad", "Bitte melde Dich", "Der Bergdoktor", "Ein Bayer auf Rügen" oder "Schreinemakers Live", trotz eines Marktanteils von über 16 Prozent und trotz eines Umsatzes von 1,3 Milliarden DM fuhr der Kanal im Jahr 1993 einen Verlust von 55 Millionen DM ein. Die Ursache lag ähnlich wie beim ZDF im hohen Altersdurchschnitt des Publikums. So zynisch es klingen mag, mit Menschen jenseits der 50 ließ sich in diesen Tagen kaum Geld verdienen, da sich die Werbewirtschaft noch ausschließlich auf die Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen fokussierte. Allein mit großzügigen Rabatten konnte Sat.1 seine Werbeunterbrechungen überhaupt noch füllen. Zu jung und damit zu attraktiv war das Angebot der Mitbewerber RTL und ProSieben.

Diese Entwicklung machte die Gesellschafter des Senders, zu denen Medienmogul Leo Kirch, der Springer Verlag und weitere Zeitungshäuser gehörten, langsam nervös. Sat.1 musste endlich Geld einspielen. Dem amtierenden Direktorenteam Heinz Klaus Mertes (für den Bereich Information), Knut Föckler (für den Bereich Unterhaltung) und Reinhold Beckmann (für den Bereich Sport) traute man die nötige Kehrtwende nicht mehr zu. Stattdessen sollte jener Fred Kogel, der gerade beim ZDF in ähnlicher Mission unterwegs war, die radikale Verjüngung von Programm und Publikum durchzusetzen und die lang ersehnte Profitabilität herbeiführen.

Fred Kogel © IMAGO / teutopress Er sollte Sat.1 jünger und cooler machen: Fred Kogel

Bei seinem Antritt versprach Kogel, das Unternehmen zügig "weg vom Kaffeefahrtenimage" zu führen und schon im Jahr 1997 den Spitzenreiter RTL als erfolgreichsten Privatsender ablösen zu wollen. Dafür erstellte er einen Dreijahresplan, der wiederum in drei Programmoffensiven gestaffelt war. Allein die erste Stufe beinhaltete die Anpassung grundlegender Strukturen und rund 20 neue Formate. Helfen sollten hierbei vor allem große Namen, die Kogel zu Sat.1 locken wollte. Das überzeugte offenbar die Gesellschafter, allen voran Leo Kirch, die sich trotz der bisherigen Defizite bereit erklärten, noch stärker ins Programm zu investieren. Allein das Budget für Unterhaltung wurde von 550 auf 750 Millionen DM pro Jahr erhöht.

Auf Einkaufstour durch die deutsche TV-Landschaft

Mit seiner Tasche voll Geld ging Kogel einkaufen… und zwar im großen Stil. Seinen größten Coup konnte er gleich zu Beginn seiner Amtszeit landen, als es ihm gelang, Thomas Gottschalk, Harald Schmidt, Günther Jauch, Fritz Egner und Kai Pflaume für ein gemeinsames Treffen in München zusammenzubringen. In einem Mini-Van soll er die Großkaliber der deutschen Fernsehunterhaltung umhergefahren haben, bevor sich die Runde dann mit Leo Kirch stundenlang ausgemalt hätte, "wie das wäre, wenn wir alle zusammen bei Sat.1 auflaufen".

Die Guerilla-Aktion verfehlte ihre Wirkung offenbar nicht, denn kurz danach entschieden sich Gottschalk, Egner, Schmidt und Pflaume tatsächlich für einen Wechsel zu Sat.1. Bloß Günther Jauch ließ sich nicht überreden, seinen derzeitigen Arbeitgeber RTL und mit ihm "Stern TV" sowie die "UEFA Champions League" zu verlassen. Bei einem Fernsehauftritt begründete er seine Absage kurz darauf damit, sich bei RTL wie "im Schoß der Familie" zu fühlen und dort auch "nicht unter die Armutsgrenze" zu fallen.

Kogel mit Gottschalk und Schmidt © IMAGO / United Archives Fred Kogel mit seinen beiden prominentesten Neuverpflichtungen

Dass Jauch aus der Münchner Männer-Runde ausgeschert war, war für Kogel bedauerlich, aber verschmerzbar. Schließlich gelang es ihm, mit Thomas Gottschalk, den größten TV-Star der damaligen Zeit von der direkten Konkurrenz abzuwerben. Hierbei half ihm natürlich die gegenseitige Freundschaft, die ihn mit Gottschalk seit der gemeinsamen Zeit beim ZDF verband. Als Gottschalk an Bord war, kam auch Schmidt. So zumindest gab es dieser in einem Interview mit dem "Spiegel" zu Protokoll: "Ich hätte es nie gemacht, wenn ich der 27. gewesen wäre, der zu Sat 1 geht. Aber allein die Vorstellung, daß Gottschalk auch dahin geht - da war mir sofort klar: Das mach' ich auch." Ein mutiger Schritt, immerhin führte Schmidt im Ersten gerade durch die Samstagabendshow "Verstehen Sie Spaß?", die er nun nach 16 Ausgaben aufgab.

Für ihre künftige Zusammenarbeit beabsichtigten Gottschalk, Schmidt und Kogel, eine gemeinsame Produktionsfirma zu gründen, die mit einem Kapital von 150 Millionen DM die neuen Shows für Schmidt und Gottschalk in den kommenden drei Jahren umsetzen sollte. Angeblich hätten die drei Kumpels das Vorhaben in einem Hotelzimmer beschlossen. Angeblich bekleidet lediglich im Bademantel. Es kumpelte unter Kogel überhaupt sehr. Mit Fritz Egner brachte er einen weiteren engen Freund aus seinen Radiozeiten mit, den er zuvor schon mit ins ZDF genommen hatte. Ihm sicherte Kogel bei Sat.1 gleich mehrere frische Formate zu.

Die versprochenen großen Namen konnte Kogel folglich liefern, was ihm Respekt in der Branche, dem Sender eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit und Gottschalk den Zorn von RTL-Boss Helmut Thoma bescherte. Letzterer schimpfte öffentlich, dass sein einstiger Liebling ein "Parasit" sei, der "blitzartig den Wirt gewechselt" habe.

XXO - Fritz & Co. © IMAGO / teutopress Fritz Egner spielte Tic Tac Toe - unter einem seltsamen Namen.

Doch anstatt mit den spektakulären Verpflichtungen originelle TV-Ideen auszuprobieren, vergeudete Kogel ihre Talente fast ausnahmslos in halbherzigen Adaptionen fremder Konzepte. So bekam Gottschalk das britische Personality-Format "Noels House-Party" zugewiesen, aus dem er am späten Samstagabend schlicht "Gottschalks Hausparty" machte. Fritz Egner kopierte werktags um 17.00 Uhr unter dem sperrigen Titel "XXO – Fritz & Co." die amerikanische Gameshow "Hollywood Squares" und überraschte in "Einer wie keiner" zu Weihnachten einen ahnungslosen Kinderarzt. Die Idee dafür stammte wiederum aus den Niederlanden. Für Kai Pflaume wärmte Kogel sogar das Format "Nur die Liebe zählt" wieder auf, das bei RTL schon vor langer Zeit eingestellt worden war. Darüber hinaus übernahm Pflaume die Patenschaft für die von den öffentlich-rechtlichen Anstalten übernommene Fernsehlotterie "GlücksSpirale".

Das ehrgeizigste Vorhaben bestand sicherlich darin, eine Late-Night-Show nach amerikanischem Vorbild etablieren und aus Harald Schmidt den deutschen David Lettermann machen zu wollen. Für sein Herzensprojekt war Kogel bereit, viel Geld, Kraft und Ausdauer zu investieren. Mit Schmidt hatte er zweifelsfrei den richtigen Kandidaten dafür gefunden. Das Projekt schlug schon lange vor seinem Start so hohe Wellen, dass RTL seine ähnlich gelagerte "Nachtshow" mit Thomas Koschwitz kurz vor Schmidts Premiere vorsorglich absetzte. (Natürlich waren noch andere Gründe für das Ende maßgeblich.) Kogel nutzte diese Gelegenheit und lockte kurzerhand auch Koschwitz zu Sat.1. Ihm versprach er die Übernahme einer Unterhaltungsshow rund um Haustiere ("Hamster TV" – Kein Scherz!) sowie einer wöchentlichen Talkshow ("Jetzt sind Sie dran!").

Nicht alle neuen Formate waren schlecht. Die meisten waren wenigstens solide - sieht man vom albernen "Hamster TV" ab (netter lässt sich die Reihe selbst bei allerbestem Willen nicht beschreiben). Für einen Innovationspreis konnten sich all die Projekte allerdings nicht bewerben und trotzdem ließe sich über jedes eine eigene "Telegeschichte" erzählen.

Hamster TV mit Thomas Koschwitz © IMAGO / teutopress Thomas Koschwitz in einer Hamster-Tür

"Volle Stunde, volles Programm" – Sat.1 dreht an der Uhr

Am 4. Dezember 1995 zündete Kogel die erste Stufe seines Dreijahresplans und mit ihr den schwerwiegendsten Eingriff in die Struktur des Senders. An diesem Tag führte er die sogenannte "Nullzeit" ein, um eine bessere "Planbarkeit des Gesamtprogramms" durchzusetzen. Dafür wurde der Sendeplan von Sat.1 derart begradigt, dass alle Segmente nur noch zur vollen Stunde oder allenfalls "um halb" starten durften. Dies sollte krumme Anfangszeiten wie "19:25 Uhr" verhindern. Die konsequente Umsetzung führte dazu, dass auch das Abendprogramm fortan nicht erst um 20:15 Uhr, sondern bereits um 20:00 Uhr begann.

Dass die Primetime in Deutschland in der Regel eine Viertelstunde nach 20:00 Uhr beginnt, liegt bis heute allein an der "Tagesschau", die sich in den 70 Jahren ihres Bestehens zu einer so festen Institution des deutschen Fernsehabends entwickelt hat, dass fast alle Anbieter ihr Programm nach ihr ausrichten. Fred Kogel hatte sich in den Kopf gesetzt, gegen diese Tradition anzugehen und die "heilige Kuh" zu attackieren. Anscheinend schien ihm der inhaltliche Umbau von Sat.1 nicht herausfordernd genug.

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Mit seiner beeindruckenden Überzeugungskraft gelang es ihm, die befreundeten Kanäle Kabel eins und ProSieben von seinem Kreuzzug zu überzeugen. Sie folgten ihm und verschoben ab Januar 1996 den Start ihres Abendprogramms ebenfalls um eine Viertelstunde nach vorn. Gern wollte Kogel auch den Konkurrenten RTL mit an Bord nehmen. Dort lehnte man das Vorhaben aber ab, da eine erste eigene Einführung der Nullzeit im Jahr 1989 schon gescheitert war. Bei Erfolg ließ man offen, beim Angriff auf die ARD später noch einzusteigen. Soviel kann an dieser Stelle verraten werden: Dazu sollte es nie kommen.

Ab dem 4. Dezember 1995 begannen die Sendungen von Sat.1 also eine Viertelstunde früher. Begleitet wurde dieser Schritt durch eine bunte Kampagne, in denen tanzende Uhren den zugehörigen Slogan "Volle Stunde, volles Programm" bewarben.

Ausgerechnet die Serie "Anna-Maria – Eine Frau geht ihren Weg" musste als erstes in den Kampf mit der damals übermächtigen "Tagesschau" ziehen. Mit regelmäßig mehr als zehn Millionen Fans galt sie als zugkräftigste Sendung von Sat.1 und war eine wichtige Stütze. Hauptdarstellerin Uschi Glas zeigte sich von Kogels Zeitverschiebung wenig begeistert und nannte sie öffentlich "Unfug" und reine "Angeberei". Ihre Enttäuschung war derart groß, dass sie selbst die künftige Zusammenarbeit mit Sat.1 und damit die Fortsetzung ihres Quotengaranten infrage stellte.

"18:30" - Alles stehen und liegen lassen

Die erste Phase des Kogel-Plans sah zusätzlich den raschen Ausbau der Informationskompetenz des Senders vor. Hier schnitt man bislang mager ab und hechelte mit dem "Sat.1 Newsmagazin" dem Kontrahenten "RTL aktuell" inhaltlich und quotenmäßig abgeschlagen hinterher. Gleichzeitig kam für Kogel einer populären Nachrichtenschiene eine Schlüsselfunktion zu, von der das gesamte übrige Programm profitieren würde. Somit stand auch hier ein kompletter Umbau an.

Jörg van Hooven, Ulrich Meyer, Fred Kogel © IMAGO / teutopress Jörg van Hooven, Ulrich Meyer und Fred Kogel im Jahr 1995

In Kogels ursprünglicher Vision sollte Günther Jauch als Anchorman die neue Nachrichtensendung tragen und so zum beliebtesten Nachrichtensprecher des Landes aufgebaut werden. Nach dessen Absage nahm Ulrich Meyer den Platz am Schreibtisch ein. Bis dahin war dieser vorrangig als Gastgeber von krawalligen Gesprächsrunden ("Explosiv – Der heiße Stuhl" und "Einspruch!") oder von sensationslustigem Reality-TV ("Alarm") aufgefallen. Oft vergessen wurde, dass er zuvor schon Nachrichtenchef bei RTLplus war. Als Aushängeschild der neuen Sat.1-Nachrichten drängte er den langjährigen Moderator Hans-Hermann Gockel als Wochenendvertretung in die zweite Reihe.

Das frühere "Sat.1 Newsmagazin" rückte für den Relaunch um eine halbe Stunde vor und erhielt der jetzigen Anfangszeit entsprechend den Titel "18:30 - Sat.1 Nachrichten". Mit der Vorverlegung kam man jetzt der Konkurrenz zuvor, die ihr Flaggschiff "RTL aktuell" täglich um 18.45 Uhr ausstrahlte. Während sich Sat.1 davon einen strategischen Vorteil versprach, wertete RTL-Chefredakteur Hans Mahr diesen Schritt als "Feigheit vor dem Feind".

Für die inhaltliche Justierung der Sendung verpflichtete Kogel den ehemaligen Chefredakteur von ProSieben, Jörg van Hooven, der die Redaktion aufbauen und leiten sollte. Vor dem Beginn kündigte er vollmundig an, dass ein "angelsächsischer, abwägender Journalismus mit hohem Reportageanteil" den Kern der neuen Sendung bilden soll. Um diesen Anspruch optisch wenigstens vortäuschen zu können, war hinter Meyer stets ein gigantisches Redaktionsbüro zu sehen, in der Journalist:innen geschäftig umherliefen. Dabei handelte es sich aber nicht um das eigene Team, das längst nicht so groß war. Vielmehr lief im Hintergrund die endlose Aufnahme eines Newsrooms in Florida. Klar, dass dies für viel Häme unter den Kolleg:innen sorgte. Das wiederum nervte Meyer: "Ich verstehe nicht, warum um den Film so ein Gewese gemacht wird. Nachrichtenstudios sehen doch alle gleich aus."

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Die 30-minütige Laufzeit von "18:30" war klar in vier Blöcke mit unterschiedlichen Themen unterteilt: in Nachrichten (13 Minuten mit "harten News"), in den Bereich "Life" (6 Minuten, darin die "Helden des Alltags" und Meldungen über "die Schönen und die Reichen") sowie in Sport (5 Minuten als "täglich ran") und Wetter. Es dauerte eine Weile, bis das Team eine eigene Handschrift entwickelt hatte und ihren Beiträgen eine Identität geben konnten. Rund vier Monate nach der Premiere zeigte sich Meyer gegenüber der "taz" noch immer unzufrieden: "Optik, Inhalte der Berichte und Grafiken sind noch nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Ebenso das Handling in der Redaktion, die Themenauswahl im Life-Teil und der Wetterbericht." Man hätte sich jedoch vorgenommen, die Geschichten in Zukunft emotionaler, dynamischer und "bauchiger" zu erzählen. Eines Tages, so Meyers illusorisches Ziel, würden die Zuschauenden "alles stehen und liegen lassen, nur um uns zu sehen." Auch dazu sollte es nie kommen.

Phase 1 – Verpufft

Mit der Einführung der Nullzeit und dem Auftakt der neuen Nachrichten war der erste Tag der Programmoffensive vollgepackt. In diesem Tempo ging es dann weiter. Beinahe im täglichen Rhythmus folgten nicht nur die Formate der prominenten Zugänge, sondern noch mehr neue Game- und Talkshows wie "Hast Du Worte?", "Bube, Dame, Hörig", "Kerner" oder "Vera am Mittag". Kogel feuerte nahezu alle seine Projekte innerhalb von zwei Monaten ab und änderte das vertraute Gesicht des Senders in einem schwindelerregenden Tempo. Vielleicht zu schnell, denn das Publikum nahm viele der neuen Shows, die überarbeiteten Nachrichten und die ungewöhnlichen Anfangszeiten nicht wie erhofft an. Vor allem Gottschalk enttäuschte bezüglich seiner Sehbeteiligungen. Konnte er mit der ersten Folge seiner "Hausparty" noch eine Reichweite von sechs Millionen Menschen erzielen, sank dieser Wert schnell auf vier Millionen ab. Damit lag er schon bei seinem zweiten Einsatz hinter dem Widersacher RTL, der zeitgleich die viel kostengünstigere Verbrauchershow "Wie bitte?!" zeigte.

Vor/Mittagsteam unter Kogel © IMAGO / teutopress Als Sat.1 selbst vormittags noch ordentlich Geld in die Hand nahm: Fred Kogel mit Vera Int-Veen, Jörg Pilawa, Elmar Hörig und Johannes B. Kerner

Ebenso hatte Harald Schmidts Late-Night-Show nach ihrer vielversprechenden Premiere mit sinkenden Quoten zu kämpfen. Egners teures Promi-Quiz "XXO – Fritz & Co." vermochte gar von Anfang an kein großes Interesse zu erzeugen und musste sich täglich der Konkurrenz von "Jeopardy!" bei RTL deutlich geschlagen geben. Koschwitz‘ "Hamster TV" dümpelte inhaltlich und quotenmäßig vor sich hin und Egners Weihnachtsshow "Einer wie keiner" geriet zu einem derart kapitalen Flop, dass die Einstellung bereits nach einer Ausgabe wartete. Und auch die Nachrichten verloren auf dem neuen Slot, trotz neuem Konzept und neuem Anchorman im Vergleich zum einstigen "Sat.1 Newsmagazin" durchschnittlich ein Drittel der Zuschauenden.

Vor dem Hintergrund der immensen Investitionen brachten diese Entwicklungen Fred Kogel viel Spott ein – nicht zuletzt vom RTL-Boss Helmut Thoma, der sich insbesondere über den Weggang von Gottschalk geärgert hatte und nun seine Genugtuung erlebte. In einem Interview lästerte er schadenfroh, dass Kogels Offensive nach vier Wochen längst "verpufft" sei und er RTL nur überholen könne, "wenn bei uns alle Satelliten und terrestrische Sender ausfallen".

Tatsächlich sank der durchschnittliche Marktanteil von Sat.1 in den ersten 30 Tagen nach Kogels Neustart um 1,6 Prozent auf 13,9 Prozent. Dieser Trend setzte sich in den kommenden Monaten fort. Für das Jahr 1996 kündigte sich daher früh ein Verlust von 100 Millionen DM an. Eine Umfrage des Instituts für Absatz- und Konsumforschung (IFAK) unter den wichtigsten deutschen Medienagenturen ergab im Herbst 1996, dass Sat.1 trotz aller Bemühungen in der Gunst der Agenturen unverändert hinter RTL und ProSieben feststeckte. Schlimmer noch, laut der Studie hätten sich rund 68 Prozent der Befragten für Sat.1 entschieden, wenn sie auf einen der großen Privatsender verzichten müssten. Autsch!

Phase 2 – Mit Zurück in die Zukunft

Kogel ließ sich von all dem nicht beirren und verkündete selbstsicher, man habe sich endlich des vormaligen "Biedermann-Images" entledigt. Zugleich stellte er für Ende 1996 die nächste Programmoffensive in Aussicht, die als Kernelement die Schaffung einer durchgehenden Newsstrecke am Vorabend vorsah. Dafür sollte das neue Boulevard-Magazin "Blitz" (ab 7. Januar 1997) die Lücke zwischen den Regionalnachrichten um 17:30 Uhr und den Nachrichten um 18:30 Uhr schließen. Nach der Einführung des sogenannten "Informationsblocks" – so Kogels Annahme – würden auch die News mit Ulrich Meyer endlich bessere Zuschauerzahlen erreichen.

Die zweite Stufe umfasste darüber hinaus mehrere fiktionale Großprojekte, für die Kogel abermals mit großen Namen auftrumpfen konnte. Es glückte ihm, die renommierten Regisseure Helmut Dietl und Dieter Wedel für die Realisierung aufwendiger Fernsehfilme sowie Mario Adorf und Gudrun Landgrebe für die Hauptrollen in der Filmreihe "Tresko" zu gewinnen. Außerdem ließ Kogel im Rahmen der Reihe "German Classics" große deutsche Kino-Klassiker von Sönke Wortmann, Nico Hofmann und Urs Eggers mit Heiner Lauterbach, Til Schweiger, Hannelore Elsner, Joachim Król, Katja Flint, Axel Milberg, Thomas Heinze und Jürgen Vogel neu inszenieren. Wieder kumpelte es hinter den Kulissen gewaltig, denn die Produktion übernahm mit Bernd Eichinger der nächste Kogel-Freund.

Tresko © IMAGO / United Archives Mario Adorf und Gudrun Landgrebe standen für "Tresko" vor der Kamera

Doch erneut schienen die großen Namen nicht genügend Zugkraft zu entfalten. Die meisten der teuren Spielfilme wurden vom Publikum verschmäht, so dass der durchschnittliche Marktanteil des Senders im Dezember 1996 hinter den der Dritten Programme zurückfiel. Zur gleichen Zeit kündigten ProSieben und Kabel Eins die konzerninterne Treue auf und drehten die solidarische "Nullzeit" zugunsten des früheren Modells wieder zurück. Während die eigenen Quoten sanken, hatte sich die "Tagesschau" von den Angriffen nämlich gänzlich unbeeindruckt gezeigt. Das merkte man ebenso im Hause Sat.1, wo man ab Februar 1997 ebenfalls wieder begann, das Programm auf die tradierte Primetime um 20.15 Uhr auszurichten. Ein weiteres kühnes Vorhaben war somit endgültig gescheitert.

Was lange währt…

Irgendwie pachtete Kogel mit all seinen Projekten das Pech. Was immer er anfasste, schien im Misserfolg zu enden. Dieser Eindruck konnte zumindest angesichts der vielen negativen Meldungen schnell aufkommen. Eigentlich aber fiel seine Bilanz gar nicht so desaströs aus, wie es den Anschein hatte. Ja, "Gottschalks Hausparty" wurde selbst nach vielen konzeptionellen Anpassungen und zeitlichen Verschiebungen nie ein Hit und auch Koschwitz konnte mit seiner Tiershow kein Meerschwein gewinnen. Doch am späten Abend erkämpfte sich Harald Schmidt langsam eine treue Fangemeinde, die noch obendrein jung und männlich war. Hierdurch war die Show trotz geringer Gesamtreichweiten sehr schnell für die Werbeindustrie attraktiv und für Sat.1 lukrativ. Nach rund zwei Jahren Durchhalten war sie zu einem verlässlichen Hit geworden. Kai Pflaume lieferte mit "Nur die Liebe zählt" stets gute Werte, die den Sender über die schwierigen fußballfreien Wochen trugen, derweil sich seine "Glücksspirale" zu einem schönen und konstanten Erfolg am Sonntagabend entwickelte. Sogar bei den Nachrichten war langsam ein stetiger Anstieg des Interesses zu verzeichnen.

Vor allem zeigte die angestrebte Verjüngung endlich ihre Wirkung. Anfang 1998 wuchsen die abendlichen Marktanteile in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen um sieben Prozent an, während RTL und ProSieben zeitgleich Verluste zu beklagen hatten. Dadurch stiegen die Bruttoeinnahmen um satte 20 Prozent, wodurch erstmals realistisch prognostiziert werden konnte, dass man nach all den früheren Verlusten im kommenden Jahr Gewinne erwirtschaften würde. Die dritte Programmoffensive, die Ende 1998 als Abschluss des Dreijahresplans angesetzt war und den Beginn der Primetime auf 19:15 Uhr vorziehen wollte, wurde nicht mehr umgesetzt.

Fred Kogel 2001 © IMAGO / Sven Simon Nach Sat.1 wechselte Fred Kogel zu KirchMedia

Kogels Arbeit war getan. Im Zuge weitreichender struktureller Umbrüche innerhalb des Konzerns schied er im Herbst 2000 nach fünf Jahren als Programmgeschäftsführer aus und wechselte in die Geschäftsführung der KirchMedia.

Die größte öffentliche Gegenwehr erlebte Fred Kogel übrigens, als er 1998 die Einstellung der Heimatserie "Der Bergdoktor" wegen des hohen Altersdurchschnitts des Publikums ankündigte. Verschiedene Zeitungen warfen dem damals 37-jährigen einen absichtlichen Ausschluss der älteren Bevölkerung vor. In die Diskussion schaltete sich schließlich Dieter-Thomas Heck ein, mit dem Kogel beim ZDF genau zu diesem Thema schon einmal aneinandergeraten war. Heck warf seinem früheren Chef öffentlich vor, die "Menschenwürde" von älteren Personen zu verletzen. Bemerkenswert daran ist, dass der Programmdirektor Marc Conrad bei RTL vier Jahre zuvor ähnlich radikal vorging und beispielsweise in kürzester Zeit alle Aufführungen mit Peter Steiner aus demselben Grund absetzte. Ein vergleichbarer Aufschrei blieb seinerzeit noch aus. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte.