Wenn es die Absicht von AT&T-Boss Randall Stephenson war, die TV-Industrie wachzurütteln, dann dürfte ihm das zumindest für jenen bedeutenden Teil gelungen sein, den er kürzlich übernommen hat. "Ich hatte schon mit vielen verschiedenen Branchen zu tun – aber noch nicht mit vielen, die Veränderung so zurückhaltend und widerwillig gegenüberstehen wie die Medienbranche", sagte der CEO des weltgrößten Telekommunikations- und jetzt auch weltgrößten Medienkonzerns in einem Interview. "Geht es um den Wandel von Geschäftsmodellen und Distributionswegen, sind die Medien sehr langsam und schwerfällig. Spricht man von Veränderungen, gehen erstmal Mauern hoch."

Da Warner Bros., HBO und Turner nun zu Stephensons Reich gehören, müssen sie sich längst an die schnellere Gangart anpassen. In den vergangenen vier Wochen hat WarnerMedia (wie das frühere Time Warner jetzt heißt) gleich drei bestehende Videoplattformen vom Netz genommen und damit für Aufsehen in Hollywood gesorgt: Die Nischen-Streaming-Angebote FilmStruck und Super Deluxe von Turner sowie DramaFever von Warner Bros. mussten dem geplanten globalen VoD-Service weichen, auf den AT&T alle Mittel konzentrieren will.

Was für Warner gilt, gilt auch für Disney und – auf regional begrenzterer Ebene – für die meisten traditionellen Player der Fernsehindustrie: Wer im Herbst 2018 in sein will, übersetzt TV als "Total Video" und geht OTT oder DTC – "over the top" bzw. "direct to consumer". Angesichts des massiven Erfolgs globaler Streaming-Plattformen wie Netflix oder Amazon und des rückläufigen Stellenwerts linearer Nutzung greifen immer mehr Anbieter zu einer Zukunftsstrategie, die den direkten Kontakt zum Endkunden – ohne Mittelsmänner wie Kabel oder Satellit – in den Mittelpunkt stellt. Diese umfassende Transformation hat zur Folge, dass mehr TV- und Videoinhalte denn je auf mehr Plattformen und Apps denn je zum Abruf bereitstehen, dass selbst Live-TV-Events nicht mehr linearen Sendern allein vorbehalten sind und dass sich das Geschäftsmodell der Programmanbieter zunehmend vom Groß- zum Einzelhändler verschiebt.

Grund genug für das Medienmagazin DWDL.de, im Rahmen eines Specials zum Thema "TV-Transformation" zu untersuchen, wer den Wandel prägt, wie sich TV-Sender für den neuen Wettbewerb aufstellen, welche inhaltlichen, wirtschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen in Zukunft wichtig werden.

Gegenangriff auf Netflix

Die Spurensuche beginnt in Hollywood, wo Produzenten und Kreative derzeit nach Herzenslust durchdeklinieren, welcher VoD-Plattform sie für viel Geld die nächste große Serie verkaufen wollen. Netflix, Amazon, Hulu oder CBS All Access sind inzwischen gelernt. Mit dem Fokus auf mobiler Nutzung sorgen YouTube Premium, Facebook Watch, Snapchat Originals und Jeffrey Katzenbergs Quibi für Buzz. Mit Apple, Disney und Warner steigen 2019 drei globale Riesen ins Streaming-Business ein. "Meine Aufgabe ist nicht, ein weiteres Netflix aufzubauen", gab WarnerMedia-CEO John Stankey zu Protokoll. Sein für das vierte Quartal in Aussicht gestelltes Angebot soll stattdessen Film- und Serienware aus den Warner-Bros.-Archiven wie "Harry Potter" oder "Friends" mit DC-Superhelden und HBO-Serien kombinieren. Dennoch bildet der Gegenangriff auf Netflix selbstverständlich den Kern der Strategie. Schließlich ist dessen Marktkapitalisierung innerhalb von zwei Jahren um 200 Prozent gewachsen, während AT&T im selben Zeitraum 10 Prozent verloren hat.

Vor allem für Disney und Warner als waschechte Hollywood-Studios birgt die Streaming-Zukunft das enorme Potenzial, nicht mehr von Kabelpaketen Dritter oder von unzähligen internationalen TV-Sendern abhängig zu sein, um die eigenen Serien und Filme zum Zuschauer zu bringen. Andererseits stehen vor dem Erfolg notwendige Investitionen in Milliardenhöhe in noch mehr High-End-Inhalte, während beide Konzerne gleichzeitig auf gehörige Teile ihrer bisherigen Lizenzerlöse verzichten müssen, um die entstehenden Plattformen mit exklusiver Ware schmücken zu können. Dass Disney etwa ab 2019 rund 300 Millionen US-Dollar jährlich von Netflix für die Pay-TV-Rechte an Streifen wie "Captain Marvel", "Toy Story 4" oder "Frozen 2" in den Wind schießt, zeigt die finanzielle Tragweite. Auch vom klassischen internationalen TV-Vertriebsgeschäft wird zumindest für neue, attraktive Serien nicht viel übrig bleiben.

"Mit Blick aufs Geschäftsmodell ist das wirklich wie der Heilige Gral für uns. Die höchste Marge machen wir mit den CBS-All-Access-Abonnenten"

Joe Ianniello, President & Acting CEO, CBS Corporation

 

Dass sich der Weg für traditionelle Sender durchaus lohnen kann, legt CBS All Access mit seinen derzeit rund 2,5 Millionen zahlenden Abonnenten nahe, die Zugriff auf Archiv und Live-Programm von CBS sowie auf eine steigende Zahl von Originals wie "Star Trek: Discovery" oder "The Good Fight" haben. "Mit Blick aufs Geschäftsmodell ist das wirklich wie der Heilige Gral für uns", frohlockt CBS-Interim-CEO Joe Ianniello. "Die höchste Marge von allen Konsumenten machen wir mit den All-Access-Abonnenten. Zuschauer erwarten heute Inhalte auf einen Klick und sind bereit, dafür angemessen zu bezahlen."

Verglichen mit seinen direkten TV-Wettbewerbern konnte CBS im dritten Quartal des laufenden Jahres das höchste Wachstum beim Gewinn je Aktie sowie einen Rekord-Quartalsumsatz erzielen, was Analysten vor allem auf den frühen, gezielten Einstieg des Konzerns ins OTT-Geschäft zurückführen. Das strategische Zwischenziel für 2019 heißt 8 Millionen Abonnenten für CBS All Access und das Schwesterangebot Showtime OTT zusammengerechnet – und damit den Rivalen HBO Now aus dem Warner-Reich zu überholen.

Was freilich ein riesiger Unterschied zwischen Netflix und den klassischen Medienkonzernen bleibt, ist die Erwartungshaltung der Finanzmärkte. Kein anderer einzelner Anbieter investiert so viel Geld in Inhalte wie Netflix – dieses Jahr voraussichtlich zwischen 12 und 13 Milliarden Dollar – und häuft dabei so hohe Schulden an – aktuell über 8 Milliarden Dollar an langfristigen Verbindlichkeiten. Einen solchen Luxus würde die Börse weder Disney noch AT&T durchgehen lassen. Für vergleichsweise junge Tech-Aktien mit hohem Wachstumspotenzial einerseits und traditionelle Werte in überwiegend gesättigten Märkten andererseits gelten dort grundverschiedene Leitlinien.