Als Netflix im August dieses Jahres angekündigt hat, zwischen zwei Serien-Episoden Werbung für andere Produktionen zu machen, war der Aufschrei unter den Kunden des SVoD-Dienstes groß. Auch Amazon experimentiert bei Prime Video immer wieder mit Eigenwerbung. Eines haben die beiden Streaming-Giganten aber gemeinsam: Bei beiden gibt es keine Werbung im klassischen Sinn. Das Geschäftsmodell basiert auf den Zahlungen der Kunden, allen voran bei Netflix. Ob die Dienste auch langfristig werbefrei bleiben, ist unklar. Die Noch-Chefin der Mediengruppe RTL Deutschland, Anke Schäferkordt, sagte vor rund einem Jahr in einem Zeitungsinterview, dass sich Netflix und Amazon sehr wohl für Werbung öffnen könnten, sie verwies damals auf eine ähnliche Entwicklung bei Sky.

Aus kommerzieller Sicht würde klassische Werbung bei den SVoD-Diensten durchaus Sinn machen. Die Dienste werden immer beliebter und zählen mehr und mehr Nutzer - dadurch werden sie auch für die Werbewirtschaft interessant. Netflix und Amazon könnten schon heute viel Geld mit Werbung verdienen. Doch es wäre auch eine Art Tabubruch, bislang lehnten beide Unternehmen entsprechende Maßnahmen strikt ab. Einen Schritt weiter in den Überlegungen ist bereits der Sport-Streamingdienst DAZN. Dort betont man seit dem Start, auch offen für Werbung zu sein. 2019 will man in den USA erstmals mit entsprechenden Formaten experimentieren, dabei aber voraussichtlich auf klassische Werbeclips verzichten und stattdessen Sponsorings und Product Placements anbieten. Dass sich aber auch traditionelle Werbespots und ein Bezahlangebot nicht ausschließen müssen, zeigt Sky seit Jahren.

Klassische Werbung würde aber nicht nur die Kassen der Streamingdienste füllen, auch die werbungtreibenden Unternehmen hätten Vorteile. Sie würden durch die vergleichsweise jungen Plattformen Menschen erreichen, die dem linearen Fernsehen mittlerweile oft fern bleiben. Es ist kein Geheimnis, dass vor allem die jungen Zielgruppen inzwischen deutlich schwerer zu erreichen sind. Laut des Digitalisierungsberichts der Landesmedienanstalten schauen die Unter-30-Jährigen inzwischen mehr on Demand als lineares Fernsehen - hier ist die TV-Transformation ganz besonders stark zu spüren.

"Dass werberelevantes Inventar hinter Bezahlschranken verschwindet, ist für Werbungtreibende zunächst einmal unerfreulich, das gilt für Video Streaming gleichermaßen wie für Online Display", sagt Joachim Schütz, Geschäftsführer der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) gegenüber DWDL.de. Trotz der vorhanden Studien, neben dem Digitalisierungsbericht zeigt auch die ARD/ZDF-Onlinestudie ähnliche Tendenzen bei der Mediennutzung junger Menschen, geht Schütz jedoch nicht davon aus, dass "die Erreichbarkeit von Zielgruppen durch diese Entwicklung im deutschen Markt nennenswerte Auswirkungen erreicht hat". Dennoch, so Schütz, liege es im Interesse der OWM, wenn auch große Streamingplattformen Werbemöglichkeiten anbieten würden.

"Dass werberelevantes Inventar hinter Bezahlschranken verschwindet, ist für Werbungtreibende zunächst einmal unerfreulich."
Joachim Schütz, Geschäftsführer der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) 

Klaus Peter-Schulz, Geschäftsführer der Organisation der Mediaagenturen (OMG) sagt ebenfalls, dass entsprechende Plätze bei den SVoD-Diensten aus Sicht der Werbungtreibenden wünschenswert wären. "Natürlich immer in einer Form, die für die Zuschauer akzeptabel ist", sagt er im Gespräch mit DWDL.de. Er kann sich ein ähnliches Modell wie bei Sky vorstellen, wo Werbung zwar stattfindet, aber in geringerem Umfang als bei anderen großen Sendern. "Man kann online keine drei oder vier Minuten langen Werbeinseln laufen lassen, das funktioniert einfach nicht. Man muss sehr sensibel sein bei der Frage, was für die User akzeptabel ist und was nicht, insbesondere auf dem Smartphone."

Es sei nicht so, dass junge Menschen überhaupt kein Fernsehen mehr schauen würden, sagt Schulz. Es würden nur langsam immer weniger und dadurch werde es immer aufwendiger, diese jungen Zielgruppen zu erreichen. "Für die Agenturen bedeutet das eine weitere Fragmentierung des Marktes und damit Mehraufwand und mehr Komplexität in der Aussteuerung der Mediakampagnen sowie in der Planung." Durch Programmatic sei dieser  Mehraufwand nur zum Teil aufzufangen.

In diesem Jahr haben wohl endgültig alle Marktteilnehmer verstanden, was die Stunde geschlagen hat. ProSiebenSat.1 und Discovery sowie die Mediengruppe RTL haben umfassende Neuerungen bei ihren digitalen Angeboten 7TV und TV Now angekündigt - und auch diese werden die Werbelandschaft verändern. Denn auch auf den neuen Portalen wird es deutlich weniger Werbung geben als im linearen TV, werden die Sender doch auch kostenpflichtige Zugänge für die User anbieten. Diese wären dann, je nach Angebot, entweder völlig werbefrei oder zumindest nur mit wenig Werbung ausgestattet. "Es ist die Frage, wie die Medien ihre Plattformen mit den Usern kommunizieren", sagt Schulz. "Gelingt es, den Deal von früher aufrechtzuerhalten? Also: Du zahlst nichts oder nur einen Teil für unsere Inhalte und musst daher Werbung akzeptieren. Oder du zahlst, bekommst dann aber alles werbefrei."

"Man muss sehr sensibel sein bei der Frage, was für die User akzeptabel ist und was nicht, insbesondere auf dem Smartphone."
Klaus Peter-Schulz, Geschäftsführer der Organisation der Mediaagenturen (OMG)

OWM-Geschäftsführer Joachim Schütz sagt, die Fragmentierung biete auch Chancen. So könne man bestimmte Zielgruppen exakter erreichen - bei DAZN tummeln sich proportional zur Gesamtmenge naturgemäß viel mehr sportaffine User als bei großen Sendern wie RTL oder ProSieben, die eine breitere Masse ansprechen müssen. "Auf der anderen Seite stellt diese Entwicklung ganz klar einen Kostenfaktor für die werbliche Kommunikation dar." Wo man früher das Geld in TV-Werbung investiert und nahezu alle erreicht hat, muss man heute unterschiedliche Kanäle bespielen.

Derzeit ist Werbung auf Streamingplattformen so gut wie nicht vorhanden - schon heute hat das ganz konkrete Auswirkungen auf werbungtreibende Unternehmen, die verstärkt im Netz werben müssen, um junge Menschen zu erreichen. Eine Möglichkeit, um als Marke doch in den Produktionen von Netflix und Amazon präsent zu sein, ist Product Placement. Beide Unternehmen nutzen diese Möglichkeit in ihren Serien und Filmen sehr häufig, bewegen sich damit aber auch ein Stück weit in einer Grauzone. Schlagzeilen machte etwa Anfang des Jahres "Pastewka", das inzwischen ja bei Amazon läuft. In einer Folge war Bastian Pastewka dort auffällig oft vor einem großen Elektromarkt zu sehen. Cornelia Holsten, Vorsitzende der Direktorenkonferenz des Landesmedienanstalten, sprach von einer "übermäßigen Produktpräsenz". Als Werbung gekennzeichnet war die Folge nicht. Bei Brainpool wiegelte man ab und erklärte, es habe sich dabei nicht um Produktplatzierung gehandelt. Derzeit beschäftigt sich die Bayerische Landeszentrale für neue Medien mit dem Fall.

TV-Vermarkter sehen Nutzerverhalten gelassen

Bei den TV-Vermarktern weiß man um die Veränderungen, die in den kommenden Jahren auf die werbungtreibenden Unternehmen zukommen werden. Sowohl IP Deutschland als auch SevenOne Media verweisen gegenüber DWDL.de auf die insgesamt gestiegene Bewegtbild-Nutzung. "Der entscheidende Faktor für die Nutzung eines Angebots ist die Attraktivität des Inhalts – und in diese werden wir konsequent investieren", sagt etwa IP-Chef Matthias Dang. Im Linearen setze man auf ein breites Angebot an Inhalten und viele Zuschauer, bei TV Now könne man dafür nischiger sein. "Wir können mit TV Now auch die Tatsache nutzen, dass Menschen heute eher bereit sind für exklusiven werbefreien Content zu zahlen. Für Werbekunden ist damit der Wert unserer linearen Reichweiten eher gestiegen, denn wo sonst erreichen sie in einer so fragmentierten Medienlandschaft noch Millionen von Menschen auf einen Schlag?"

Auch SevenOne-Geschäftsführer Thomas Wagner ist der Meinung, dass eine isolierte Betrachtung von TV zu kurz greife. "Letztendlich unterscheiden wir als ProSiebenSat.1 nicht mehr, ob wir Entertainment fürs Fernsehen oder unsere Digitalangebote machen, sondern bieten bestes Entertainment für alle Zuschauer auf allen Kanälen und Plattformen. Damit bauen wir unser Entertainment-Angebot deutlich aus, sowohl bei bestehenden Formaten und Plattformen, als auch mit neuen, vor allem mobilen Produkten." Das sei die Basis für "umfassende und ganzheitliche Kommunikationslösungen für den Werbemarkt". Wagner verweist auf einige Leuchttürme wie zum Beispiel "Germany’s next Topmodel", das in der letzten Staffel alleine im Netz 2,5 Millionen Video Views erzielt habe. "Auch jenseits des klassischen Spots kann man Marken mit Bewegtbildwerbung aufmerksamkeitsstark in Szene setzen", so Wagner. Inwiefern die Zuschauer das in der Masse aber annehmen werden, bleibt abzuwarten.