Wer mit Produzentinnen und Produzenten über den Fachkräftemangel in der Branche spricht, kommt zwangsläufig auch auf das Thema der Ausbildung zu sprechen. Und hier gibt es große Unterschiede. Zwar suchen auch Fiction-Produzenten nach Talenten, hier gibt es durch die vielen Filmhochschulen im Land aber einen konstanten Fluss an neuen Nachwuchskräften. Anders ist das schon im Non-Fiktionalen, speziell in der Unterhaltung. Hier sind Ausbildungsmöglichkeiten an Hochschulen noch rar gesät, die Ausbildung erfolgt meist in den Unternehmen. "Learning by doing" war und ist das Motto. 

Tom Zwiessler © RTLzwei Tom Zwiessler
"An den Hochschulen wird Non-Fiction fast nur im Form von klassischen Dokumentationen gelehrt", sagt Tom Zwiessler, Bereichsleiter Programm von RTLzwei im Gespräch mit DWDL.de. Es werde nicht das gesamte Spektrum der Genres und Darstellungsformen abgebildet, kritisiert Zwiessler, der sich "weniger Scheuklappen und mehr Offenheit" wünscht. Formatentwickler seien an den Filmhochschulen lange Zeit "ziemlich unsichtbar" geblieben, sagt auch Christoph Fey, der schon 2005 die Entertainment Masterclass gegründet hat, mit der man sich an Nachwuchstalente widmet, die schon in der Branche arbeiten. "An Filmhochschulen galt das Unterhaltungsfernsehen – und noch mehr das Geschäft des Unterhaltungsfernsehens – lange Zeit als das dreckige Ende der Straße. In den Augen des Bildungsbürgertums hat man sich allenfalls dorthin verirrt, wenn man nirgendwo anders hinkonnte. In der Filmhochschulausbildung kam das Unterhaltungsfernsehen kaum vor."

Ähnlich wie Fey äußert sich auch Philipp Käßbohrer, Geschäftsführer der btf, der sagt, der große Unterschied liege in der in Deutschland beliebten Trennung zwischen "E" und "U". Käßbohrer: "Für die ‘Ernsten’ gibt es zahlreiche Abschlüsse, mit denen man dann öffentlich Hut und Schal tragen darf, ohne ausgelacht zu werden. Die ‘Unterhaltenden’ werden dagegen noch immer als diejenigen beäugt, bei denen es zu mehr nicht gereicht hat." Es brauche einen positiv aufgeladenen, breitgefächerten Entertainment Begriff, so der btf-Chef. "Eltern, deren Kinder nach der Schule in die Unterhaltungsindustrie wollen, sollten nicht als erstes an Guido Cantz, Oliver Pocher und Thomas Gottschalk denken."

Langsam tut sich was...

Christoph Fey © Gisela Schmalz Christoph Fey
Und auch wenn die Ausbildungsmöglichkeiten für die verschiedenen Gewerke in der Unterhaltung noch überschaubar sind, hat es jüngst doch etwas getan. Christoph Fey ist mit seiner Entertainment Masterclass schon seit Jahren unterwegs, verweist nun aber ebenso wie Tom Zwiessler von RTLzwei auf den neuen, berufsbegleitenden Studiengang "Entertainment Producing" an der ifs. Dieser ist vor wenigen Wochen mit 14 Teilnehmenden gestartet (DWDL.de berichtete). Jennifer Mival leitet den Studiengang. Sie sagt gegenüber DWDL.de, sie könne sich auch nicht erklären, wieso es bislang so wenige Ausbildungsmöglichkeiten für Menschen gegeben hat, die im non-fiktionalen Entertainment arbeiten wollen. "Ich vermute, es liegt am weit verbreiteten und erfolgreich praktizierten ‘learning by doing’ und an der enormen Bandbreite des Genres, das von der unterschiedlichen Vorbildung profitiert", sagt sie. Dadurch sei der Bedarf an einer formalisierten Ausbildung abseits des Jobs lange nicht wahrgenommen worden. Man selbst wolle die bestehenden Angebote ergänzen und nicht ersetzen, so Mival. 

"Eltern, deren Kinder nach der Schule in die Unterhaltungsindustrie wollen, sollten nicht als erstes an Guido Cantz, Oliver Pocher und Thomas Gottschalk denken."
btf-Chef Philipp Käßbohrer

Jennifer Mival © André Rival Jennifer Mival
Darüber hinaus ist gerade auch das Filmhaus Köln wiedereröffnet worden - und auch dort will man künftig einen Schwerpunkt auf die Aus- und Fortbildung legen, um so den Fachkräftemangel in der Branche zu bekämpfen. Das ganze passiert in Zusammenarbeit mit dem mibeg-institut (DWDL.de berichtete). "Die enorme wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung des Genres Entertainment verträgt aus meiner Sicht aber noch einiges mehr", sagt Jennifer Mival von der ifs. Das eigene Angebot wolle man daher ausbauen. Der gerade erst gestartete Studiengang fungiere dabei als "Keimzelle", auf der man aufbauen will. In der Masterclass Non-fiction gibt es an der ifs außerdem seit einigen Jahren einen weiteren, berufsbegleitenden Studiengang, der sich dem Doku-Genre widmet - denn auch das ist derzeit gefragt wie nie zuvor. Tom Zwiessler sagt, dass es toll wäre, wenn der Studiengang der ifs weitere Nachahmer finden würde - "vor allem in der Ausrichtung als berufsbegleitendes Programm".

Praxisbezug ist das A und O in der Ausbildung

Durch die Berufsbegleitung ist sichergestellt, dass die Studierenden nicht nur die Theorie erlernen, sondern das auch gleich in der Praxis umsetzen und erleben können. Diese Kombination ist für so ziemlich alle Produzentinnen und Produzenten wichtig. "Ich bin für den weiteren Ausbau der Studienangebote. Aber wenn jemand einen Bachelor in Medienwissenschaften oder Kultur hat, kommt die Person zu uns und fängt dann noch einmal von vorne an, weil sie ja die praktische Arbeit lernen muss", erklärt René Jamm, Geschäftsführer bei Warner Bros International Television Productions. Azubis hätten die praktische Arbeit schon gelernt, Studierende seien erst einmal nur Theoretiker, so Jamm. "Die Masse an Kolleginnen und Kollegen, die wir brauchen, bekommen wir nur, wenn wir sie selbst ausbilden."

Christiane Ruff, Geschäftsführerin von ITV Studios Germany, wünscht sich derweil, dass die Hochschulen in den Austausch mit Sendern und Produktionsfirmen gehen, "um die Entwicklungen der Branche in die Ausbildung einfließen zu lassen und sich bei Ausbildungsinhalten nah an der Praxis orientieren". Geht es nach Ruff, sollte auch ein praktischer Teil in einer Produktionsfirma ein fester Bestandteil der Ausbildung sein. Sie sieht alle Player in der Verantwortung. Sender und Produktionsfirmen müssten ihren Bedarf deutlich machen, gleichzeitig sollten die Hochschulen ebenso wie Sender und die Produzenten Ausbildungsmöglichkeiten anbieten. Ähnlich sieht es auch Ute Biernat, langjährige Geschäftsführerin von UFA Show & Factual. Sie sagt: "Die Produktionsfirmen müssen verstärkt Nachwuchs fördern und die Hochschulen ein passendes Angebot zur Verfügung stellen". Wichtig ist Biernat wie vielen anderen die Praxisnähe der Ausbildungen. 

"Wir sitzen ja alle im selben Boot"

Ute Biernat © UFA Ute Biernat
Biernat sagt, alle in der Branche stünden vor dem gleichen Problem: "Woher mit talentiertem Nachwuchs?". Daher werde so gut wie überall selbst ausgebildet. "Die größten Herausforderungen sind die in der Branche üblichen, aber kurzen Vertragslaufzeiten und die immer knapper werdenden Vorbereitungszeiten von Shows. Da wird die Planung einer geregelten, dauerhaften Ausbildung ab und an sehr abenteuerlich." Auch sie sieht noch viel Spielraum für weitere Ausbildungsangebote an den Hochschulen, die UFA gehört unter anderem so den Unterstützern des neuen Studiengangs an der ifs. Die Ausbildungen müssten sich aber auch immer wieder an "neue oder sich verändernde Berufe in der Branche" anpassen, mahnt Biernat. RTLzwei-Programmchef Tom Zwiessler sagt, Hochschulen sollten neue Studiengänge auflegen und auch in der Aus- und Fortbildung könnte man neue Player brauchen. Als Sender müsse man den Mitarbeitenden diese Fortbildung aber auch möglich machen und selbst eigene Angebote entwickeln. "Wir sitzen ja alle im selben Boot", sagt Zwiessler. 

UFA-Chefin Ute Biernat kommt derweil auf ein sehr konkretes Problem zu sprechen, von dem derzeit alle in der Branche ein Lied singen können. Sie sagt, dass aktuell Cutter mit Realisationserfahrung sehr stark nachgefragt seien. "Und den Nachwuchs hierfür gibt es leider nicht wie Sand am Meer". Der Bereich der Cuttings ist derzeit so etwas wie ein Nadelöhr - alle suchen hier gute Mitarbeitende, die Preise sind entsprechend gestiegen. "Wir müssen aufpassen, dass wir uns die Leute nicht gegenseitig vom Markt wegbieten", mahnt etwa René Jamm von Warner Bros. "Das ist ganz gefährlich und bei den Cuttern ist das heute schon so. Die Cutter-Preise sind explodiert und viele die vorher fest angestellt waren, arbeiten heute frei und verdienen ein Vielfaches."

"An Filmhochschulen galt das Unterhaltungsfernsehen – und noch mehr das Geschäft des Unterhaltungsfernsehens – lange Zeit als das dreckige Ende der Straße."
Christoph Fey, Gründer der Entertainment Masterclass

btf-Chef Philipp Käßbohrer wünscht sich von den Hochschulen vor allem eine Öffnung hin in Richtung Netzkultur. "Dort werden die Weichen für zukünftige Unterhaltungsformen gestellt. Der Transfer ins traditionelle Programm gelingt jedoch bisher selten. Was im Internet tolles passiert, kann man nicht kopieren, man muss die Menschen fördern, die mit diesen neuen medialen Formen aufwachsen." Käßbohrer hat, anders als andere in der Branche, einen etwas weiteren Blick auf die Begebenheiten, ist seine Produktionsfirma doch nicht auf ein Genre fokussiert. Die btf produziert Unterhaltungsshows wie die "Carolin Kebekus Show", aber auch Wissensformate wie "Maithink X" oder auch Serien wie "How to sell drugs online (fast)" oder erst jüngst die ZDFneo-Comedy "Start the fck up". Strikt getrennt werden die Bereiche bei der btf nicht, sagt Käßbohrer. "Die meisten unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten interdisziplinär. Dadurch verwachsen sich die meisten klassischen Lernmuster." Nach einer fiktionalen Ausbildung hätten viele anfangs eine "So oder gar nicht"- Mentalität, sagt Käßbohrer. "Nach einem non-fiktionalen Werdegang eher eine ‘Das passt schon so’- Haltung. Wenn man gute Sachen machen will, braucht man von beidem etwas."

Die Bedeutung der Unterhaltung steigt

In der Bedeutung, die das non-fiktionale Fernsehen, speziell die Unterhaltung, hat, sind sich alle einig: Sie ist hoch und wird perspektivisch wohl noch steigern. Dafür gibt es mehrere Gründe. "Erfolgreiche Entertainment Formate sind reichweiten- und aufmerksamkeitsstark bei vergleichsweise  niedrigem Invest und relativ kurzen zeitlichen Vorläufen", sagt Jennifer Mival von der ifs. Das mache das Genre so attraktiv im Vergleich zur Fiction, man könne damit lokal und relevant sein. "Wer sich im internationalen Wettbewerb behaupten will, wird am Genre Non-Fiction nicht vorbeikommen. Ganz im Gegenteil - ich erwarte, dass die Bedeutung des Genres in Zukunft im Aufmerksamkeits-Wettbewerb mit internationalen Playern noch zunimmt." 

Und Ute Biernat findet: "Mehr Unterhaltung braucht das Land!". Auch die UFA-Chefin verweist auf die in der Regel schnelleren und günstigeren Produktionen im Vergleich zu fiktionalen Projekten. "Unterhaltung ist so wichtig wie nie zuvor! Gerade während der Corona-Pandemie hat sich nochmal gezeigt, wie groß das Bedürfnis nach purer Ablenkung und guter Unterhaltung ist." ITV-Chefin Christiane Ruff sagt, die Bedeutung von non-fiktionaler Unterhaltung sei gestiegen - das lasse sich schon heute beim Blick auf das TV-Programm ablesen. Sie verweist speziell auf das Genre Reality, das zuletzt ohne Frage bei allen Sendern und Plattformen groß gespielt wurde und wird. Es ist ein Genre, auf das auch RTLzwei verstärkt setzt. Tom Zwiessler wünscht sich, "wir würden nicht ganz so streng und mit dem Zeigefinger eine Einteilung in seriöse und unseriöse Unterhaltung machen. Der Dünkel gegenüber Reality-TV, den man immer wieder erleben kann, ist meines Erachtens ein sehr deutsches Phänomen. Im Ausland wird das eher erkannt." Da wären wir wieder bei der Einteilung in "E" und "U".