Wie viele und welche Programme das Publikum im globalen Streaming-Zeitalter angeboten bekommt, hängt mehr von Zinsverläufen, Inflationsraten und dem Börsenklima ab als von inhaltlicher Ambition, Bauchgefühl oder Mut. Die nüchterne Erkenntnis folgt aus der Marktentwicklung der vergangenen Jahre: Solange Schuldfinanzierungen kaum etwas kosteten, wuchs die Zahl der Plattformen und ihres angenommenen Kundenpotenzials ins Unermessliche. Man versuchte sich mit besonders aufwendigen, anspruchsvollen Produktionen vom Wettbewerb abzuheben. Seitdem Inflation und Zinssätze wieder in die Höhe schießen, halten die verbliebenen Anbieter ihre Programmbudgets lieber zusammen und investieren verstärkt in Mainstream. Wie ein strenger Verkehrspolizist wiesen die Finanzmärkte den Content-Konzernen beide Male die Richtung.

Die größte jährliche Investorenkonferenz der Medien- und Kommunikationsbranche, die Morgan Stanley dieser Tage in San Francisco abhält, ist somit ein guter Ort, um die prägenden Business-Trends der nächsten Jahre zu verstehen. Weder Werbekunden noch TV-Kritiker sind hier die Zielgruppe, sondern allein diejenigen, die durch Analysen und Transaktionen über Wohl und Wehe von Wertpapieren entscheiden. Das hat zur Folge, dass die Vorstände von Comcast, Disney, Netflix, Paramount oder Warner Bros. Discovery ohne allzu große Rücksicht auf künstlerische Belange über ihre Wege zu höheren Free Cash Flows und mehr Profitabilität sprechen können.

Business-Trend Effizienz

Was Paramount-Finanzvorstand Naveen Chopra unter dem Schlagwort "content efficiency" auf den Punkt brachte, gilt für mehr oder minder alle Entertainment-Konzerne als neues Mantra. Kühl rechnete der Manager auf der Bühne der Investmentbank vor, dass man im linearen Fernsehen eine "Mindestmenge an Content" brauche, um seine Reichweitenziele zu erfüllen – aber eben auch nicht mehr als unbedingt nötig. Innerhalb dessen werde Paramount seinen Genre-Mix – etwa von teuren Drama-Serien hin zu mehr Reality – so umstellen, dass gleiches Volumen weniger koste, und diese Sparpolitik noch dadurch unterstützen, dass künftig mehr US-Produktionen zu günstigeren Herstellungskosten außerhalb der USA gedreht werden.

Im Abo-Streaming wiederum, so Chopra, müsse "jeder Kunde zu jedem Zeitpunkt ein bis zwei neue Originals" vorfinden, die für ihn relevant seien – und "nicht vier bis fünf", wie so manche Plattform es auf dem Zenit des Booms handhabte. Lokale, nicht-englischsprachige Produktionen für Paramount+ hätten weder die Nutzung noch die Neuabschlüsse nennenswert getrieben, erklärte Chopra nochmals, warum sein Unternehmen hier zum Kahlschlag angesetzt hatte (DWDL.de berichtete). Auch Comcast-CFO Jason Armstrong betonte, dass es beim fortschreitenden Wandel vom linearen TV in Richtung Streaming "hauptsächlich auf den Wandel der Kostenstrukturen" ankomme. Beide Seiten des Geschäfts müssten "ganzheitlich gemanagt" werden.

 

Man muss Dinge beenden, an die man nicht mehr glaubt, und das ist nicht einfach, denn entweder hat man schon einige Kosten versenkt, oder es geht um die Beziehung zur kreativen Community.
Disney-CEO Bob Iger

 

Das führt in der Konsequenz auch zwangsläufig dazu, dass mehr geteilte Verwertungsfenster an die Stelle absoluter Streaming-Exklusivität treten, wenn etwa Paramount im Sommer die erste Staffel von "Tulsa King" auf CBS ausstrahlt, während die zweite auf Paramount+ Premiere feiert, oder wenn die Gameshow "The 1% Club" im US-Markt erst auf Prime Video, dann auf Fox läuft (DWDL.de berichtete). In wieder anderen Fällen führt das neue Effizienzgebot dazu, dass sowohl Produktionen in Entwicklung als auch bereits veröffentlichte Titel rigoros gestrichen werden, um eine möglichst rasche Abschreibung bzw. anderweitige Verwertung zu ermöglichen.

Paramount und Warner Bros. Discovery haben das in den letzten Monaten besonders konsequent praktiziert. Doch auch Disney-CEO Bob Iger bekannte sich bei Morgan Stanley dazu: "Man muss Dinge beenden, an die man nicht mehr glaubt, und das ist nicht einfach, denn entweder hat man schon einige Kosten versenkt, oder es geht um die Beziehung zur kreativen Community. Wir haben das nicht so öffentlich gemacht, aber wir haben schon ein paar Projekte gestrichen, die wir einfach nicht für stark genug hielten."

Business-Trend Mainstream

Während Iger den versammelten Investoren kommende Disney-Titel wie "Kingdom of the Planet of the Apes", "Deadpool & Wolverine", das "Lion King"-Prequel "Mufasa" oder das von einer Serie zum Film umgemodelte "Moana 2" als besonders erfolgversprechend anpries, bliesen auch die anderen US-Studios ins selbe Horn – nämlich die nochmals intensivierte Konzentration auf möglichst breit angelegte IPs, um vermeintlich garantierte Mainstream-Hits zu landen. JB Perrette, der Streaming-Chef von Warner Bros. Discovery, kündigte für Juni den Start der zweiten Staffel des "Game of Thrones"-Ablegers "House of the Dragon" bei HBO und Max an. Nicht weniger als eine Trendwende nach der durch die Hollywood-Streiks geschwächten Periode erwarte man sich davon.

Generell ziele die Warner-Strategie darauf ab, größere Kino-Franchises des Studios zu nutzen, um daraus neue Serien für die Streaming-Plattform Max zu entwickeln, so Perrette. Als Beispiele nannte er das für Herbst geplante "Batman"-Spin-off "The Penguin" mit Colin Farrell sowie Serien, die auf "Dune" und "The Conjuring" basieren. "Wir werden also viel mehr von dem haben, was wir Vier-Quadranten-Titel nennen: große, bekannte IP, die alle anspricht", so der Warner-Manager.

Lionsgate wiederum setzt ebenfalls auf Serien-Adaptionen von zwei seiner größten Film-Franchises, wie Michael Burns, Vice Chairman des Studios, auf der Konferenz in Aussicht stellte. Dabei handelt es sich um "Twilight" und "John Wick". Gerüchte um eine Animationsserie auf Basis der Vampir-Romanze, die einst Robert Pattinson und Kristen Stewart zu Weltstars machte, gab es schon seit Monaten. Die Filme hatten zwischen 2008 und 2012 über 3,4 Milliarden Dollar eingespielt. Mehr als eine Milliarde Dollar brachten die vier "John Wick"-Filme mit Keanu Reeves in der Titelrolle seit 2014 ein. Die neue "John Wick"-Serie, bei der Originalregisseur Chad Stahelski an Bord sein wird, folgt auf das dreiteilige Prequel "The Continental", das im vergangenen September auf Peacock in den USA und Prime Video international veröffentlicht wurde.

Business-Trend Live-Sport

Endgültig vorbei sind die Zeiten, in denen Live-Sport noch als Bastion des linearen Fernsehens galt. Längst sind Streaming-Plattformen auch hier in großem Maßstab eingestiegen. Das wohl meistbesprochene Thema der Morgan-Stanley-Konferenz war denn auch das geplante Joint Venture von Disney, Fox und Warner Bros. Discovery, das ab Herbst gemeinsame Rechte an Ligen wie NFL, NBA, MLB, Nascar, PGA Golf oder UFC bündeln soll, die bislang auf den linearen TV-Sendern der drei Partner sowie beim Streamer ESPN+ ausgewertet werden (DWDL.de berichtete).

Das Produkt, das noch keinen Namen hat, soll sowohl als eigenständiger Streaming-Dienst wie auch als Add-on zu Disney+, Hulu und Max verfügbar sein. In Anlehnung an die ursprünglich aus mehreren Konkurrenten bestehende Gesellschafterstruktur von Hulu wird es im US-Markt scherzhaft "Spulu" genannt. Einer der drei Joint-Venture-Partner, Fox-CEO Lachlan Murdoch, ließ sich in San Francisco zu der Prognose hinreißen, dass man innerhalb von fünf Jahren fünf Millionen Abonnenten erreichen werde. Als Morgan-Stanley-Analyst Benjamin Swinburne eine Preisspanne von 40 bis 50 Dollar pro Monat für das "Spulu"-Abo in den Raum stellte, widersprach Murdoch nicht, sondern kommentierte lediglich, der Preis werde "im oberen Bereich dessen liegen, was die Leute vermuten". Disney-Boss Iger sagte, man habe man als Zielgruppe vor allem junge, sportinteressierte Streaming-Nutzer im Blick, denen größere Pay-TV-Pakete zu teuer seien.

Andere Töne kamen von der Konkurrenz: Mark Shapiro, COO der Agenturgruppe Endeavor und deren neu formierter Tochter TKO Group, in der UFC und WWE vereint wurden, nannte "Spulu" ein "großes Nichts". Kein Wunder, schließlich setzen die WWE-Wrestler lieber auf Netflix, das ab Januar 2025 im Rahmen eines fünf Milliarden Dollar schweren Zehnjahresvertrags die "Monday Night Raw" in Nord- und Lateinamerika sowie Großbritannien überträgt und zudem die internationale Heimat aller anderen WWE-Marken wie "NXT", "SmackDown" oder "WrestleMania" wird (DWDL.de berichtete). 

Alles, was man sich von einer "umfassenden Lizenzpartnerschaft" wünsche, weise der WWE-Deal auf, schwärmte Netflix-CFO Spencer Neumann den Investoren vor und nannte insbesondere "globale Anziehungskraft", "langfristige Sicherheit" sowie ein "attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis" im Hinblick auf Abo-Abschlüsse. "Eines unserer strategischen Ziele, in das wir uns bei der Erweiterung unseres Unterhaltungsangebots vermehrt einarbeiten, ist Live-Programm", so Neumann. "Und bei der WWE gibt es Hunderte von Stunden an Live-Programm, die jede Woche zu sehen sind." Noch während der laufenden Konferenz gab Netflix zudem bekannt, dass es am 20. Juli erstmals einen Boxkampf weltweit live übertragen wird: Ex-Schwergewichtsweltmeister Mike Tyson tritt vor 80.000 Zuschauern in Dallas gegen Ex-YouTuber Jake Paul an.

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