Dr. Brinkmann, Dr. Brockmann, Dr. Frank – die deutsche Fernsehgeschichte ist voll mit Koryphäen in Weißkitteln, und es wird allerhöchste Zeit, dass eine Frau in diese langjährige Männerdomäne einbricht; eine, die sich das Fernsehen nicht mal hat ausdenken müssen: Dr. Carola Holzner – die Ärztin, der die TV-Sender vertrauen. (Also: eine zeitlang.)

Mit verschränkten Armen stand Holzner in der zurückliegenden Woche zur Vox-Primetime auf dem Dach ihrer Duisburger Arbeitsstelle, um sich aus dem Off als Superheldin ankündigen zu lassen: "Sie ist Deutschlands bekannteste Notärztin: Dr. Carola Holzner ist Doc Caro." Und den Zuseher:innen zu versichern: "Ich liebe Menschen und ich liebe es, ihnen zu helfen. Genau dafür bin ich Ärztin geworden."

"Das Ruhrgebiet ist ihr Zuhause, die Notaufnahme ihre Heimat", ergänzte "Doc Caro – Jedes Leben zählt" weiter, denn: "Leben retten ist ihre Mission." Und: "Die Notaufnahme ist ein Spiegel unserer Gesellschaft."

Transferierte Menschenliebe

Sat.1-Zuschauer:innen ist das vielleicht ein klitzekleines bisschen bekannt vorgekommen, denn im Vorjahr operierte die als Videobloggerin und Klartextrednerin während der Corona-Krise bekannt gewordene Wahl-Duisburgerin noch für die Konkurrenz, wo "Doc Caro – Einsatz mit Herz" damals dröhnte: "Sie ist Deutschlands bekannteste Notärztin. Die Schicksale Ihrer Patienten gehen ihr unter die Haut. Doktor Carola Holzer ist Doc Caro."

"Menschen helfen – das ist meine DNA", versicherte Holzner damals. "Das Entscheidende, wenn man Ärztin ist und mit Menschen zu tun hat, ist, dass man Menschen liebt." Und aus dem Off hieß es: "Die Menschen im Pott und das Ruhrgebiet sind ihre Heimat."

Bei der sonst u.a. auf Bundeswehrwerbeformate spezialisierten Produktionsfirma Spin TV hat man sich also, sagen wir mal: nach der TV-Verlegung seines Stars von Unterföhring nach Köln nicht besonders anstrengen müssen, dem mitgenommenen Format einen neuen Dreh zu geben. Wozu auch? Holzners Glaubwürdigkeit beim Publikum hat offensichtlich unabhängig vom ausstrahlenden Medium Bestand. (Wobei man schon gern wüsste, was die "guten Gründe" für den Wechsel waren, die laut Sat.1 "nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind".)

Mit der Bodycam zum Notfalleinsatz

"Doc Caro" bedient auf einzigartige Weise die Sehnsucht nach einer Alltagsmedizin, die trotz Zeitdruck mit größtmöglichem Verständnis und Empathie auf Patient:innen eingeht, um ihnen das Gefühl zu geben, dass sie in sicheren Händen sind. Das Publikum ist nicht nur bei Behandlungen in der Notaufnahme dabei, sondern dank Bodycams auch bei echten Notfalleinsätzen, die nicht mehr nachgespielt werden müssen wie damals beim RTL-"Notruf". (Zumindest suggerieren das die Formate so.)

Dem alleinerziehenden Vater mit drei Kindern, der mit Verdacht auf Herzinfarkt in die Klinik eingewiesen wird, nachdem seine Frau an einem Hirntumor verstorben ist, verspricht Doc Caro: "So lange ich hier sitze, stirbt keiner." Sie verkumpelt sich augenblicklich mit dem in der Schule gemobbten 12-Jährigen, dessen Schnittverletzung genäht werden muss: "Ich besorg uns jetzt die beste Schwester, die wir zu bieten haben." Dem später eintreffenden Vater sagt sie: "Sie haben einen ganz zauberhaften Sohn." Und springt für etwas Hubi-Action später noch in den "Christoph 1" der bayerischen ADAC-Luftrettung, um eine gestürzte Spaziergängerin mit kompliziertem Oberarmbruch in einem schwer zugänglichen Waldstück zu versorgen.

Sie merkt sich Patient:innennamen, engagiert sich dafür, dass "ihr" Notfall das allerletzte Intensivbett kriegt und betreibt quasi nebenbei Systemkritik ("Durch solche Fälle kriegt der Pflegemangel ein Gesicht").

Jetzt kommt die "Ärztin der Herzen"

Dass das alles jetzt bei der Konkurrenz läuft, hat das selbst als wandelnder Notfall vor sich hinsendende Sat.1 so natürlich nicht auf sich sitzen lassen wollen – und den Fehdehandschuh um die leidenschaftlichste Empathiebekundung in der deutschen Rettungsmedizin mit Freuden aufgenommen. Direkt nach dem "Doc Caro"-Auftakt bei Vox lief deshalb am Donnerstagabend "Einsatz mit Herz – Die Notfallhelden", bei dem gleich drei Protagonist:innen den Job der Patient:innekümmerung übernehmen.

Notarzt und Intensivmediziner Dr. Moritz Telemann sagt: "Zur Einsatzstelle zu kommen, da weiß ich einfach: Das ist mein Zuhause. Das ist bei mir etwas total Magisches und hat was von Zauber" – während im Gegenschnitt gerade der aus acht Metern Höhe vom Scheunendach gestürzte Patient mit dem Beckenbruch umgelagert wird.

Dr. Gudrun de Vries – "Spitzname: Doc Gudi" – ist Sat.1 zufolge "die Ärztin der Herzen", und um kardiologischen Missverständnissen vorzubeugen: "Helfen ist ihre Berufung". "Wenn ich das Martinshorn höre, dann geht bei mir direkt Adrenalin durch die Adern, weil ich denke: Ich will auch helfen." Notfallsanitäterin Hannah Stradal "gibt alles für ihre Patienten", denn: "Hier geht's um Menschen. Da muss man mit dem Herzen dabei sein." Naja, und halt: mit der Kamera.

Und nebenbei noch Seelsorge

Dass sich auch die Machart der Formate teilweise bis ins Detail gleicht, ist keine Überraschung. Um Spannung aufzubauen, raunt der Off-Sprecher im Einsatzfahrzeug bei Sat.1: "Wird [der Patient| die Fahrt in die Klinik überleben?" Oder bei Vox im OP: "Wird es dem Kardiologen gelingen, das Gefäß wieder frei zu kriegen?" Bis am Ende entweder ein rührendes Wiedersehen mit den erfolgreich Behandelten erfolgt, notfalls sogar nach Feierabend; oder halt die traurige Nachricht vom Ableben des Mannes, der sich tragischerweise an einer Hühnersuppe verschluckt hat und zu ersticken drohte.

Damit wäre auch schon der größte Unterschied der Feeldgood-Medisoaps zu klassischen Krankenhausserien ermittelt: Die echten Ärzte kriegen teilweise Fälle rein, die sich die Kolleg:innen in der Fiktion kaum auszudenken trauen würden.(Außer wahrscheinlich in der MDR-Sachsenklinik.) Befremdlich ist dabei vor allem, wie sehr die begleiteten Mediziner:innen ihr Gutmeinen überbetonen: "Ich will nicht nur die Wunde versorgen, sondern auch Sachen rausfinden, die auf den ersten Blick vielleicht nicht so auffallen", übt sich Doc Caro als Nebenbeiseelsorgerin und zwischenbilanziert sich ihr eröffende Schicksale: "Das hat mich sehr berührt", "das bricht mir ein Stück weit das Herz", "das lässt mich so schnell nicht los".

In Sat.1 beteuert Doc Gudi: "Ich versuche den ganzen Menschen zu sehen, nicht nur das Symptom und die Erkrankung", denn: "Für mich ist es wichtig, dass Patienten sich gut aufgehoben, behandelt und verstanden fühlen."

Ein überstrapaziertes Genre

Okay, verstanden. Und: nee, danke, wir müssen die Segensspender:innen dann nicht noch bei ihrem privaten Glück auf dem Gestüt am Niederrhein, beim Tagebuchschreiben oder beim Käsekuchenessen mit der 92-jährigen Oma sehen.

Oh, schon zu spät.

Auf eine gewisse Weise mögen die Primetime-Notfalleinsätze tatsächlich dabei hilfreich sein, eine größere Öffentlichkeit für den stressigen Alltag von Ärzten:innen und Sanitäter:innen einerseits und die Probleme einer zunehmend unter Kostendruck stehenden medizinischen Alltagsversorgung andererseits zu sensibilisieren. Gleichzeitig steht zu befürchten, dass die Sender das boomende Genre direkt wieder überstrapazieren: Zusätzlich zum "Doc Caro"-Primetime-Ersatz hat Sat.1 "Lebensretter hautnah" gerade zum werktäglichen Vorabenddauereinsatz verpflichtet: Sanitäter:innen aus Nürnberg, Dresden und Stuttgart erstversorgen Fahrradverunfallte, stark alkoholisierte Suizidgefährdete, in Haft befindliche Heroinabhängige – und für die Idee vom perfekten Audience-Flow in Richtung seiner in Kürze startenden "Landarztpraxis" mit Caro Frier war man in Unterföhring vermutlich auch bereit, über die Vorabenduntauglichkeit manchen Materials hinwegzusehen.

Darf ich Sie beim Wiederbelebtwerden filmen?

Aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das für die hiesige Notfallmedizin auf Dauer wirklich eine so vertrauensfördernde Maßnahme ist, wenn man als potenziell zu Behandelnde:r in Zukunft immer damit rechnen muss, dass Ärzte:innen die eigene Schwächesituation per Bodycam schon mal vorsorglich zur späteren TV-Verwertung einfangen.

(Wo, wie bei "Lebensretter hautnah", im Zweifel auch noch die durchgehende Verpixelung nichteinwilligungsfähiger Patient:innen vergeigt wird.)

Aber das sind vermutlich notwendige Opfer, die für den Wettstreit der Empathiebekundungen gebracht werden müssen. Sehen Sie deshalb nächste Woche in der Vox-Primetime: eine Wiederbelebung auf offener Straße, bei der sich alle sichtlich bemühen werden, dem Patienten das Gefühl zu geben, dass er etwas ganz Besonderes ist.

Und damit: zurück nach Köln.

Vox zeigt "Doc Caro – Jedes Leben zählt" mittwochs um 20.15 Uhr. "Einsatz mit Herz – Die Notfallhelden" läuft donnerstags um 20.15 Uhr in Sat.1, "Lebensretter hautnah" werktäglich um 18 Uhr.