Wenn Ihnen vor ein paar Jahren jemand gesagt hätte, dass Oliver Geissen Anfang 2024 eine Rankingshow in Sat.1 präsentiert, während Elton für RTL einen Promi-Wettbewerb aus dem ehemaligen "Schlag den Raab"-Studio moderiert, der in veränderter Form schon mal bei ProSieben lief, wo inzwischen Chris Tall als fester Panelist in einer neuen Rateshow sitzt: Hätten Sie da nicht auch den Finger zur Schläfe gehoben und Ihrem Gegenüber – tock, tock, tock – ein Vögelchen gezeigt?

Aber genau so ist's gekommen – und bekannte TV-Gesichter, die eigentlich verhältnismäßig fest vergeben schienen, zeigen sich plötzlich in aller Öffentlichkeit mit völlig neuem Partner. Im Zweifel ohne vorher den alten verlassen zu haben.

Woher kommt dieser neue Star-Polyamorismus im deutschen Fernsehen?

Senderchen wechsel' dich

Dass Moderator:innen im Laufe ihrer Karriere den Sender wechseln, ist wahrlich keine neue Entwicklung. Solche Transfers hat es – wie im Fußball – immer gegeben, und in vielen Fällen war das auch für große Schlagzeilen gut; insbesondere dann, wenn es sich um Exklusiv-Deals handelte oder ein Promi-Schwergewicht unmittelbar von der Konkurrenz kam: Gottschalk zu RTL, Pocher zu Sat.1, Schmidt zu – ach, egal. Diese Deals gibt es weiterhin: Jörg Pilawa wechselte vom NDR zum ZDF und wieder zurück, seit zwei Jahren steht er nun vollständig in Diensten von Sat.1 und hat sich für den Sender als Glücksgriff erwiesen, um den erfolgreichen Quiz-Donnerstag zu etablieren.

Viele andere Moderator:innen waren in der Vergangenheit, wenn sie nirgendwo exklusiv unter Vertrag standen, zumindest fest assoziiert mit einem Sender. Und schon der Gedanke, bei einem anderen prominent im Programm aufzutauchen, sei es auch nur in Einzelfällen, schien fast undenkbar.

Inzwischen gibt es im Markt eine völlig neue Durchlässigkeit. Und anstatt wie Chris Tall mit Verona Pooth im ProSieben-Format "Wer isses?" zu erraten, welche der dort präsentierten Kandidat:innen tätowiert sind oder aus Versehen ins selbe Haus wie ihr unbekannter Halbbruder gezogen, stellt sich in zunehmendem Maße die Frage: Wo isse(r) gerade?

Anderswo noch mehr vom Gleichen

Aus Sicht der Prominenten ist das durchaus von Vorteil – etwa, wenn sie die Gelegenheit erhalten, bei einem weiteren Auftraggeber eine neue Facette von sich zu zeigen. Allerdings ist genau das eher selten der Fall.

Viele Stars werden geholt, um ähnliche Shows zu moderieren wie bei der Konkurrenz – weswegen sich Johann Lafer demnächst nicht nur im ZDF, sondern auch für Sat.1 durch den Nachmittag kocht. Und Oliver Geissen ebendort in der Primetime ohne großes Hallöchen ein Greenscreen-Ranking moderiert, das auch bei fast jedem anderen Sender laufen könnte. (Wobei "moderieren" zugegebenermaßen ein starker Euphemismus ist für das Ablesen von Telepromptersätzen wie "Wir verlieren keine Zeit. Sie haben gewählt, und das sind sie: die nächsten Plätze".)

Die Sender können sich ihrer Sache so relativ sicher sein, weil Zuschauer:innen ein Gesicht bereits mit einer bestimmten Programmfarbe verbinden. Und für Produktionsfirmen ist es großartig, Formate aus ihrem Portfolio sehr viel breiter streuen zu können als es aufgrund bisheriger Gepflogenheiten vielleicht möglich war.

Überschaubares Risiko für die Stars

Wenn's schief geht, ist auch das Risiko für die Moderator:innen sehr viel kleiner: Andrea Kiewel moderiert, nachdem Sat.1 vorerst keine weitere Abendschlagershow mit ihr produzieren will, halt ab demnächst wieder ihre Mittagsschlagershow im ZDF – no harm done. (Interessanter wäre freilich gewesen, wenn sich "Kiwis große Partynacht" als Erfolg entpuppt hätte.)

Über die Gründe der neuen Durchlässigkeit lässt sich nur spekulieren: Höchstwahrscheinlich haben die Sender schlicht nicht mehr dieselben Mittel wie früher, um sich teure Exklusiv-Optionen zu leisten (oder zumindest: nicht mehr in bisherigem Maße). So muss man Partner:innen wohl oder übel zugestehen, sich nach weiteren Auftraggebern umzusehen – zumal ja auch Streaming-Anbieter wie Amazon inzwischen regelmäßig ihre Angel nach der etablierten TV-Prominenz auswerfen.

Oder die Sender haben schlicht dazu gelernt und erlauben ihren Stars bis zu einem gewissen Grad, die bisherige Homebase zu verlassen, um anderswo Neues auszuprobieren, das nicht in direkter Konkurrenz steht – und so das Risiko klein zu halten, dass ihnen ein abenteuerlustig gewordener Promi bei zuviel Restriktivität womöglich ganz von der Fahne geht.

Im Zweifel: offene Beziehung

Im Zweifel einigt man sich dann auf eine offene Beziehung – so wie Vox mit Steffen Henssler. Der hat nach seiner Rückkehr von ProSieben in den Kölner Heimathafen augenscheinlich sehr viel Spielraum. Und wenn er nach seinem gefloppten Nachmittagsausflug bei der Schwester RTL ("Hensslers Countdown", 2020) unbedingt noch eine Bonusrunde im Ersten dranhängen will ("Familien-Kochduell", 2022) – dann ist das eben so, weil beide Parteien sehr genau wissen, was sie aneinander haben.

In gewisser Weise ist Elton ein gutes Beispiel dafür, dass Stars nicht unbedingt sendermonogam sein müssen – so lange sie in unterschiedlichen Funktionen (und Zeitschienen) unterwegs sind.

Während der Moderator bei ProSieben ganz klar für die Primetime-Unterhaltung zuständig ist, moderiert er parallel dazu im ZDF-Kinderfernsehen ("1, 2 oder 3") und hat einen festen Platz im ARD-Vorabend ("Wer weiß denn sowas?"). Dass RTL ihn samstagabends nun bei "Schlag den Besten" einsetzt, wenn er gerade nicht auf demselben Sendeplatz "Schlag den Star" für ProSieben moderiert, hat aber eine neue Brisanz – weil sie weit über das hinausgeht, was innerhalb der Branche bislang duldbar schien.

Sind Show-Marken stärker als Sendermarken?

Aber das ist wohl nur konsequent, seitdem insbesondere die großen Privatsender dazu übergegangen sind, sich gegenseitig nicht nur die Moderator:innen, sondern auch erfolgreich laufende Formate streitig zu machen.

"Blamieren oder kassieren", "Schlag den Besten" und die Raab'schen Funsport-Events "Turmspringen" & Co. (von ProSieben zu RTL) sind die offensichtlichsten Beispiele; außerdem feiert RTL am Nachmittag schon seit geraumer Zeit ansehnliche Erfolge mit der einstigen Sat.1-Reality-Richterin "Barbara Salesch". In Unterföhring revanchiert man sich wiederum damit, die Rechte an "Murmel Mania" erworben zu haben, das über drei Staffeln zum Programm des Rivalen gehörte und noch im laufenden Jahr in Sat.1 aufschlagen soll. Ende April reaktiviert Sat.1 zudem den einstigen RTL-Erfolg "Notruf", für dessen Moderation die langjährige RTL-Moderatorin Bärbel Schäfer verpflichtet wurde.

Ist dieses große Senderhüpfen von Stars und Formaten die neue Normalität?

Wie egal ist das Logo in der Ecke?

Gegenüber DWDL.de gab sich RTL-Unterhaltungschef Markus Küttner neulich überzeugt davon, "dass starke Marken autark funktionieren und die Zuschauer gar nicht so sehr hinterfragen, ob die Show nun bei RTL oder einem anderen Sender läuft". Kann sein, ja. Aber vielleicht wird genau das schon bald zum Problem für die Verantwortlichen.

Weil es zwar den kurzfristigen Vorteil hat, sich Shows angeln zu können, die ihr Publikum zu einem anderen Wirt, Pardon: Sender mitbringen. Im Umkehrschluss würde das aber bedeuten, dass Sendermarken und deren inhaltliche Versprechen zunehmend austauschbar werden, wenn es Zuschauer:innen am Ende Ende egal ist, ob jetzt gerade das Logo von Vox oder das vom ZDF in der Ecke steht, wenn sie sich etwa von Sebastian Lege mit seinen Lebensmittel-Experimenten für "Besseresser" oder halt "Lege kommt auf den Geschmack" den Abend über wie gewohnt unterhalten lassen.

Dass das ausgerechnet für lineare TV-Sender, die stets soviel Wert auf Markenbildung (und -bindung!) gelegt haben und regelmäßig Imagekampagnen mit ihren prominentesten Gesichtern fahren, auf Dauer der richtige Weg sein soll, lässt sich in Zweifel ziehen.

Aktive Sabotage der Konkurrenz

Erst recht, wenn Wettbewerber eine neu geknüpfte Beziehung aktiv zu sabotieren versuchen: Nachdem "Genial daneben" erfolgreich von Sat.1 zu RTLzwei umgezogen ist (wo auch das "Glücksrad" schon gelandet ist, bevor demnächst "Der Preis ist heiß" dazu stößt, um den Sender endgültig zum Home of Old Times Entertainment zu machen), macht Host Hugo Egon Balder sich im Spätprogramm nun gelegentlich selbst Konkurrenz, wenn eine Wiederholung seiner RTLzwei-Panelshow unmittelbar gegen eine Wiederholung seiner alten Sat.1-Panelshow läuft.

So ist das wohl im Jahr 2024, wo alle überall auf Sendung sein können – nur halt in unterschiedlichen Freiwilligkeitsgraden.

Ach ja, und falls Sie's verpasst haben: Die lustigste Frau Deutschlands und Platz 1 bei der Erstausgabe von "Unsere Lieblinge" mit Oliver Geissen in Sat.1 ist – Anke Engelke. Vielleicht ja auch, weil sie früher als viele andere verstanden hat, dass man sich besser nicht an einen Sender bindet, um am Ende das machen zu können, was einem wichtig ist.

Und damit: zurück nach Köln.

Sat.1 zeigt eine neue Ausgabe von "Unsere Lieblinge" mit Oliver Geissen am Montag ab 20.15 Uhr; "Schlag den Star" mit Elton läuft wieder am Samstag auf ProSieben.