Herr Gutzeit, wie authentisch muss eine gute Biopic-Serie sein?
Nach "Sisi" und "Mozart/Mozart" bin ich eigentlich gerade dabei, mich von der Festlegung auf Biopics zu befreien. (lacht) Wenn man in einem bestimmten Marktsegment Erfolg hat, muss man sich ja wieder aus der Schublade rauskämpfen. Um die Frage trotzdem zu beantworten: Das hängt von der Zielsetzung des Programms ab. Bei den Projekten, die wir in den letzten fünf Jahren gemacht haben, ging es ganz klar darum, junge Leute zu erreichen und zu unterhalten. Aber natürlich dürfen wir die Mythen, mit denen wir da hantieren, nicht aus den Augen verlieren.
Wie wägen Sie konkret ab?
Ich entscheide mich instinktiv immer für die bessere Unterhaltung als für die "wahrhaftige" Geschichte, die man in Büchern oder bei Wikipedia nachlesen kann. Interessanterweise liegt man mit dieser Herangehensweise gar nicht so weit weg von historischen Fakten, vor allem im Vergleich zu unseren kreativen Vorgängern. Nehmen Sie unseren Kaiser Franz Joseph in "Sisi": Der war bei uns der dunkle Kaiser, der Blutkaiser. Und das hatte einen historischen Hintergrund: Er war gerade ein paar Monate Kaiser, gerade einmal zarte 19 Jahre, und ließ eine Reihe von ungarischen Generälen, die an einer freiheitlichen Revolution teilnahmen, gnadenlos hinrichten. So war der "Franzl" in den Marischka-Filmen aus den 50er Jahren ja mal gar nicht erzählt. Bei unserem Mozart ist es nicht anders. Wir haben natürlich recherchiert und wissen, was die aufgeschriebene Wahrheit ist. Aber: Wessen Wahrheit wurde denn damals aufgeschrieben? Meistens waren das ja die Protagonisten, die ihre eigene Geschichte genauso effektiv gemanagt haben, wie wir heute Geschichten für unsere Zuschauenden managen.
In diesem Fall ist Milos Formans "Amadeus" von 1984 die dominante Referenz, die sich im kollektiven Bewusstsein verankert hat.
Genau. Und wenn man den kennt, hat man eben Antonio Salieri als alten, grantigen Mörder vor Augen. In Wahrheit waren Maria Anna Mozart und Salieri fast genau gleich alt. Also haben wir uns gefragt: Wenn beide um die dreißig waren und sich über den Weg gelaufen sind, was ist da möglicherweise passiert? Da fängt bei uns der Spaß und die Fiktion an. Keiner kann sagen, was damals hinter verschlossenen Türen stattgefunden hat – das ist reinstes Unterhaltungsgold.
Sie haben sich für eine Female-Empowerment-Geschichte entschieden. Maria Anna Mozart steht im Vordergrund, Wolfgang Amadeus in der zweiten Reihe.
Der wichtigste Trick, den ich in meiner Karriere gelernt habe, ist, vor dem Zirkuszelt zu stehen und zu rufen: Kommen Sie herein! Hier gibt es etwas, das Sie kennen und mögen! Nur so bekommt man die Leute ins Zelt. Wenn sie dann drin sind, sollte man ihnen kein altes Zeug vorsetzen, sondern etwas Frisches zeigen, das sie interessiert, vielleicht sogar aufschreckt, aber gleichzeitig auch das bedient, warum sie ins Zelt gekommen sind. Im Fall von Mozart hat uns fasziniert, dass Maria Anna das erste Wunderkind der Familie war. Sie tourte mit ihrem jüngeren Bruder durch Europa – mit 14 Jahren kam der Vorwurf: Das ist ja gar kein Kind mehr, sondern eine Frau. Das war der Grund, warum sie von der Bühne entfernt wurde, obwohl sie mindestens genauso talentiert war. Für die "Firma Mozart" blieb sie weiterhin maßgeblich, hat arrangiert, geschrieben und organisiert.
Wir hatten die internationale Kopro nahezu komplett aufgesetzt, dann hat Lionsgate sich leider aus Europa zurückgezogen.
Andreas Gutzeit
Ihre Serie wirkt in einem Moment klassisch, im nächsten modern und mystisch. Wie haben Sie die Dosierung angelegt?
Wir wollten auf der einen Seite ein Young Adult Period Drama erzählen, aber gleichzeitig auch das lineare Publikum bedienen. Vor diesem Spagat habe ich durchaus Respekt. In der Taktung der Geschichte achten wir darauf, dass ein dynamischer Wechsel zwischen neuen Impulsen und vertrauten Elementen entsteht. Letztlich stellen wir klassische Erzählmuster in einen neuen Zusammenhang. Wenn man in der Welt historischer Kostüme und Perücken unterwegs ist, kommt man als Autor schnell darauf, dass eine Art Comedy of Errors mit Täuschung durch Verkleidung funktionieren könnte. Das gab es schon bei Shakespeare und eben auch in Mozart-Opern.
© WDR/Story House/Armands Virbulis
Starbesetzung: Eidin Jalali, Lisa Vicari, Verena Altenberger, Philipp Hochmair, Havana Joy und Eren Güvercin (v.l.)
Zum Spagat gehört auch, dass Sie Mozart-Originale mit moderner Score-Musik verblenden.
Bis zur letzten Abnahme wurde das immer wieder diskutiert. Wir wussten immer, dass die Musik mindestens genauso wichtig ist wie die Geschichte selbst. Ich fand diese Konzentration auf dieses Gewerk sehr bereichernd, weil wir nur so Antwort auf unsere zentrale Fragestellung bekamen: Welche Musik würde Mozart machen, wenn er heute leben würde? Es war die Idee unserer Regisseurin Clara von Arnim, zusätzlich nach einer visuellen Metaebene zu suchen, die uns die innere Gefühlswelt der Zuhörenden zeigt, während Maria Anna Klavier spielt. Unsere Filmkomponistin Jessica de Rooij hat das musikalisch zusammen mit der Elektropop-Band Ätna fabelhaft umgesetzt.
Dass "Mozart/Mozart" bei der ARD landen würde, war nicht unbedingt absehbar. Sie hatten das Projekt ursprünglich an Starzplay verkauft, jenen US-Streamingdienst, der kurz vorm geplanten Deutschland-Start 2022 abgewickelt wurde.
Richtig, wir sollten eigentlich das erste große europäische Projekt für Starzplay werden. Wir hatten die internationale Kopro nahezu komplett aufgesetzt, dann hat Lionsgate sich leider aus Europa zurückgezogen. In der Folge gab es noch ein paar große Anbieter, mit denen wir jeweils ein halbes Jahr verhandelt haben und immer ganz weit vorn lagen – bis Leute dann plötzlich kein Geld mehr hatten oder kein Greenlight aus Los Angeles bekamen. Erstaunlich war, dass Frank Tönsmann vom WDR die ganze Zeit mit uns im Gespräch geblieben ist und schließlich gesagt hat: Wir machen's. Gemeinsam mit der ARD Degeto, SWR, ORF, Bavaria Media und Beta Film haben wir dann ein anständiges Budget hinbekommen. Wir sind äußerst dankbar, dass im öffentlich-rechtlichen Umfeld nach wie vor Geld für große deutsche Produktionen vorhanden ist und dass zwei Weltvertriebe mit uns ins Risiko gehen, weil sie den internationalen Wert solcher Produktionen sehen.
Wir hatten deutsche Regionalförderung beantragt. Leider wurden wir dort acht Wochen vor dem geplanten Drehbeginn abgelehnt.
Andreas Gutzeit
Gedreht haben Sie in Litauen und Lettland, wie schon bei "Sisi" und aktuell bei Ihrer neuen ZDFneo-Serie "Die Putzfrau". Das scheint ein essenzieller Teil Ihres Produktionsmodells zu sein.
Das stimmt, Story House produziert schon seit Jahren im Baltikum und wir finden dort eine belastbare Struktur mit hochqualifiziertem Personal in allen Bereichen der Filmherstellung vor. Mit den Filmförderprogrammen in Litauen und Lettland lässt sich eine solide Finanzierung für unsere Projekte aufbauen, auch dafür sind wir sehr dankbar. Kreativ, strukturell, aber auch finanziell haben wir Top-Bedingungen vor Ort. Für Deutschland wünschen wir uns, dass strukturell nun kurzfristig grundlegend für die Produzenten eine Verbesserung eintritt, damit für die Projekte aller verschiedenen Genres und Größenordnungen eine verlässliche Finanzierungsstruktur entsteht. Für "Mozart/Mozart" hatten wir auch deutsche Regionalförderung beantragt. Leider wurden wir dort acht Wochen vor dem geplanten Drehbeginn abgelehnt. Das ist natürlich unschön, wenn Produzenten auf einmal mit solchen Löchern dastehen.
Wie haben Sie das Loch gestopft?
Alle Partner hatten Verständnis für die Situation und haben ihren Teil beigetragen, um das Projekt doch möglich zu machen, dafür sind wir sehr dankbar. So war es echtes Teamwork, das dafür gesorgt hat, dass wir die Vorbereitungen voll weiterlaufen lassen konnten und schließlich die Dreharbeiten erfolgreich durchführen konnten. Letztlich musste aber eine echte Krise in der Finanzierungphase gemeistert werden. Das Ziel für die Zukunft muss sein, früher im Projekt eine höhere Sicherheit in den Finanzierungsplan zu bekommen. Das müssen wir strukturell jetzt schnell hinbekommen.
Im Umgang mit rivalisierenden Projekten dürften Sie seit "Sisi" geübt sein. Auch jetzt zu Mozart gibt es eine zweite Serie, nämlich das britische Sky Original "Amadeus", das auch noch im Dezember startet. Fühlt man sich da bestätigt oder verunsichert?
Auf jeden Fall bestätigt. Aus Gründen, die man nicht immer nachvollziehen kann, kommen Menschen zeitgleich auf ähnliche Ideen. Das spricht dafür, dass die Richtung zumindest interessant ist. Unserer "Sisi" hat es jedenfalls nicht geschadet, dass Netflix "The Empress" gemacht hat. Eher im Gegenteil: Das hat dem Stoff zusätzliche Relevanz gegeben, und im direkten Vergleich haben wir bewiesenermaßen sehr gut abgeschnitten. Wir haben vier Staffeln erfolgreich abgeliefert und jetzt sogar noch "Mozart/Mozart", während Netflix noch die dritte Staffel fertigstellt. Ich bin früher Radrennen gefahren, und wenn es eine Ziellinie gibt, setze ich alles daran, diese als Erster zu erreichen, ohne dabei Abstriche bei der Qualität zu machen. Genauso ist es bei der Konkurrenz mit Sky. Natürlich haben die Kollegen durchaus ein Pfund, wenn sie ein Remake des alten "Amadeus"-Stoffs machen. Aber ich vertraue da lieber auf unsere eigene Strategie und unsere eigenen Talente, ganz wie unsere Maria Anna Mozart, um etwas wirklich Neues zu erzählen.
Herr Gutzeit, herzlichen Dank für das Gespräch.
"Mozart/Mozart", in der ARD-Mediathek. Im Ersten am 16. und 17. Dezember, jeweils ab 20:15 Uhr.
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