1993: Aus RTL plus heraus wird angetrieben durch die zunehmende Verbreitung von Kabel- und Satellitenhaushalten in Köln der neue Sender RTL II geboren.

Herr Bartl, welche Erinnerungen an den Start von RTL II haben Sie persönlich?

Die meiste Zeit der 25-jährigen Geschichte des Senders habe ich ja aus der Sicht des Wettbewerbers verfolgt. RTL II ist demografisch nahe an ProSieben – damals wie heute. Da schaut man natürlich genauer hin, was die Konkurrenz macht. RTL II war ein trickreicher und daher aus ProSieben-Sicht unangenehmer Gegner. Jünger, wilder, und in den 90ern – also noch lange vor „Big Brother“ – ziemlich unberechenbar. Das ist eine Tugend, die wir auch heute noch hochhalten.

Sie waren damals und danach noch lange Jahre bei ProSieben bzw. ProSiebenSat.1. Die, die damals schon dabei waren, schwärmen oft von den 90ern. Was war so toll an der Zeit?

Das war die gute alte Zeit (lacht). Aus heutiger Sicht waren die 90er Jahre die Startup-Phase für das deutsche Privatfernsehen. Eigentlich ging es ja schon zehn Jahre früher los, aber erst durch die zunehmende Kabel- und Satellitenverbreitung wurde diese Goldgräberstimmung geweckt. Das Wachstum war rasant und der Markt deutlich übersichtlicher als heute. Es gab nur eine Handvoll Sender. Das war auch kein leichter Wettbewerb, aber der Kampf um die Aufmerksamkeit der Zuschauer ist heute natürlich um ein vielfaches härter.

1994: Ein Jahr nach der Gründung zieht RTL II von Köln in den Münchener Süden auf das Gelände der Bavaria Film.

Sie sitzen weit entfernt von der Mediengruppe RTL Deutschland. Wie viel RTL steckt eigentlich in RTL II?

RTL II war immer ein wenig Patchwork-Familie. Wir sind nicht nur ein Kind von RTL, sondern auch vom Heinrich Bauer Verlag, der Tele München Gruppe und von Burda. Der Name wurde damals wahrscheinlich nicht zufällig gewählt. So konnte man die Popularität der Marke RTL nutzen, um RTL II einen guten Start zu verschaffen. Als TV-Marke sind wir so etwas wie die jüngere Schwester der Kölner. Oft unkonventionell, manchmal laut, schrill und schräg. Das hat dem Sender ja auch sein Image beschert. Eine Markenverwandtschaft ist gegeben, aber es gibt entsprechend der Gesellschafterstruktur keinen bestimmenden Einfluss der Mediengruppe RTL Deutschland auf RTL II. Und wenn es hart auf hart kommt – also eigentlich immer – sind wir Wettbewerber.

1996: Der Thriller „Der Sandmann“ mit Götz George gewinnt für RTL II den renommierten Adolf-Grimme-Preis - und der Sex-Talk „Peep!“ startet.

Sie haben eben das Image des Senders angesprochen. Hin und wieder aber gewinnt RTL II auch Auszeichnungen, wie zuletzt den deutschen Fernsehpreis für "Endlich Klartext".

Das hat einige überrascht, weil Information nicht als Kerndisziplin von RTL II wahrgenommen wird. Wir haben uns sehr über den Deutschen Fernsehpreis für „Endlich Klartext! – Der große RTL II-Politiker-Check“ gefreut. Natürlich vor allem für diejenigen, die das Programm beauftragt bzw. produziert haben: unser Chefredakteur Matthias Walter und die Produzentin Carina Teutenberg. Aber der Sender hat immer wieder Programme geschaffen, die Information und Wissen für unsere junge Zielgruppe aufbereiten. RTL II war zum Beispiel auch zehn Jahre lang Heimat von „Welt der Wunder“, hat die preisgekrönte Reportage „Das Experiment – 100 Tage Moslem“ gezeigt, „Zeit für Helden“ in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung oder die dreistündige Facebook-Live-Berichterstattung zur Bundestagswahl.

Peep© RTL II


Und doch erinnern sich noch heute viele Menschen eher an RTL II-Formate wie "Peep!" Erst kurz von Amanda Lear moderiert, dann mit Verona Feldbusch zum Synonym für RTL II geworden. War „Peep!“ Segen oder Fluch für den Sender?

Menschen neigen dazu, die Welt ordnen zu wollen. Bei einem Teil landet RTL II dann in der Schublade „Trash“. Derart pauschal ist das ungerecht, weil wir sehr wenige Programme haben, auf die das passt. Dieses Vorurteil kommt übrigens immer von denen, die den Sender gar nicht schauen. Die sind dann umso überraschter, wenn RTL II für die beste Informationssendung ausgezeichnet wird. Aber ja, es waren immer einzelne Programme, die das Image des Senders besonders geprägt haben. „Peep!“ war sicher eines davon, und beim Blick auf 25 Jahre RTL II muss es erwähnt werden, und zwar durchaus mit Stolz. Mit dem Thema Sexualität so offen umzugehen, war eine der Freiheiten, die das Privatfernsehen in den 90er Jahren erobert und genutzt hat.

1997: RTL II probiert eine Late Night. Lange blieb „Heike Makatsch - Die Show“ allerdings nicht auf Sendung.

Es gab also mal eine Zeit, in der man einfach experimentiert hat - ohne Marktforschung und Proven Success im Ausland. Sind wir zu ängstlich geworden für sowas?

Vielleicht nicht ängstlicher – eher professioneller. Früher war das Geschäft eine weiße Landkarte, terra incognita, und das wurde recht unbekümmert erobert. Inzwischen haben alle TV-Schaffenden einen großen Erfahrungsschatz aufgebaut. Und es gibt eben auch Forschungsexperten, die dabei helfen, unsere Zuschauer zu verstehen.

Es war doch nie günstiger, schneller, einfacher mal eben auf Sendung zu gehen von überall aus. Warum aber ist Fernsehen oft das Gegenteil: Teuer, aufwändig und vorgeplant?

Fernsehsendungen sind nun aber mal teurer als ein Vlog – aber klar, es gibt mehr Sicherheitsdenken in einer jetzt reifen Industrie. Wenn es einen Sender gibt, der sich viel von dem Pioniergeist der frühen Jahre erhalten hat, und der schnell und unkompliziert auch mal einfach so macht, dann ist es RTL II.

1999: Sechs Jahre nach dem Satrt wird aus RTL 2 wird RTL II. Schreibweise und die in Abwandlung bis heute genutzte Logo-Ikone wird eingeführt.

Das Pausenzeichen als Logo-Ikone von RTL II gibt es zwar schon seit 18 Jahren, aber es wurde oft verändert. Auch der Claim hat mehrfach gewechselt. Ihr alter Sender ProSieben hat seit 24 Jahren unverändert das gleiche Logo, seit 15 Jahren den gleichen Claim. Ist RTL II zum 25. Geburtstag gut aufgestellt?

Die römische II in Verbindung mit dem Namen RTL ist ein klare, sofort erkennbare Wort-Bild-Marke. Das Logo fügt sich auch perfekt in unseren OnAir-Auftritt ein. Wenn Sie sich das Büro unseres Marketing-Chefs Carlos Zamorano anschauen, dann sehen Sie viele Awards. Der Markenauftritt ist prima. Wichtig war, dass wir 2016 den Claim geändert haben. „It’s fun“ war nicht mehr passend für die Vielfalt, die RTL II bietet. Wir bilden das echte Leben ab, und das ist nicht nur Fun. „Zeig mir mehr!“ entspricht sehr gut unserer Programmphilosophie.

2000: Möglicherweise das größte Jahr in der RTL II-Geschichte. „Big Brother“ startet unter großer Aufregung über das neue Genre und mit „Popstars“ holt der Sender die Castingshow nach Deutschland und findet die No Angels.

Wer sich an die Zeit damals erinnert, der weiß noch, welche Aufregung "Big Brother" ausgelöst hat. Vom Menschenzoo war die Rede und sogar auf Podien und Fernsehsendungen anderer Kanäle wurde darüber diskutiert, ob man so etwas machen darf. Ein Gamechanger für die Branche. Ist RTL II seitdem noch einmal Vergleichbares gelungen?

„Big Brother“ war als TV-Format disruptiv, weil so etwas bis dahin nicht vorstellbar war. Menschen rund um die Uhr zu beobachten – das war der Schlüssellochblick in Vollendung. Dazu kam die sehr prominente Platzierung in der Primetime. Es hat dann lange gedauert bis zum nächsten Game Changer von RTL II – das war definitiv „Berlin – Tag & Nacht“. Zwei solche Formate, die eine ganze Branche verändern, das ist für einen Sender unserer Größe ein beachtlicher Beitrag.

Andreas Bartl© Magdalena Possert

RTL II-Geschäftsführer Andreas Bartl mit dem "Shakesbier" der ersten "Big Brother"-Staffel

Zu „Berlin - Tag & Nacht“ kommen wir auch noch, aber erstmal eine Nachfrage zu „Big Brother“: Die Promi-Version läuft bei Sat.1, die Normalo-Version hat bei Sixx nicht funktioniert. Gibt es die Chance, dass RTL II sich das frühere Signature-Formate zurückholt und nochmal neuauflegt? Oder überlassen Sie das Format der Konkurrenz?

„Big Brother“ gehört jetzt der ProSiebenSat.1 Gruppe. Das ist auf Sicht kein Thema für RTL II. Sag niemals nie, aber wir halten lieber die Augen offen nach neuen Ideen. Wir haben im vergangenen Jahr mit „Love Island“ ein neues Format nach Deutschland geholt, das in gewisser Weise in der Erbfolge von „Big Brother“ zu sehen ist, aber doch ganz anders aussieht und funktioniert. Das Format steht schon jetzt für eine Zeitenwende in der Sendergeschichte: In der linearen Ausstrahlung hatten wir Marktanteile über dem Senderdurchschnitt und viel Aufmerksamkeit, aber online war es ein echter Mega-Hit. Wir hatten dort täglich bis zu 500.000 Videoabrufe. Fernsehen erreicht unverändert junge Zuschauer, nur nicht mehr ausschließlich über die von der GfK gemessenen Wege.

Im Jahr 2000 kam auch „Popstars“ als erste Castingshow on air und hat mit den No Angels die bis heute erfolgreichsten Castingshow-Gewinner produziert bevor das Format zu ProSieben ging. Als Sie 2014 zu RTL II kamen, haben Sie "Popstars" nochmal wiederbelebt, was ziemlich schief ging. Woran lag’s?

Das Format ist ja nach RTL II zu ProSieben gegangen, und dann wieder zurück zu RTL II. Beide Male habe ich die Entscheidung getroffen. Einmal lag ich goldrichtig und es war ein Riesenerfolg für ProSieben, das andere Mal hat es nicht geklappt. Das Beispiel zeigt das ganze Spektrum des Fernsehmachens, wo Freud und Leid sehr nahe beieinanderliegen: Mit demselben Programm kann man einen Treffer landen oder baden gehen. Wann immer man in Nostalgie verfällt, muss man sehr genau reflektieren, ob es noch in die Zeit passt. Heute ist eben „The Voice“ der Maßstab im Musik-Casting.

2001 RTL II macht mit Frank Elstner und „Die neuen Fernsehmacher“ ein TV-Lab bevor ZDFneo Jahre später die Idee hatte. Die Quote war miserabel und das Sieger-Format "Was wäre wenn" wurde anders als geplant nie von RTL II realisiert, ging dafür aber ein Jahr später im Ersten auf Sendung.

Schließen wir an die Anekdote doch die Frage an: Gibt es etwas, was die Öffentlich-Rechtlichen noch von RTL II übernehmen bzw. lernen könnten?

(lacht) Die Episode hatte ich gar nicht mehr im Kopf. Ich kann und will den Öffentlich-Rechtlichen keinen Rat geben, aber ich sage mal, auch wenn es sehr salomonisch klingt: Mir würde es schon reichen, wenn die Bereitschaft zum Voneinander lernen auf allen Seiten gegeben wäre. Sich auf Augenhöhe begegnen. Auch wir können Information, und wir erreichen damit sehr erfolgreich junge Zielgruppen.