Frau Nguyen-Kim, Herr Yogeshwar, was muss man eigentlich heute wissen, um auf dieser Welt bestehen zu können?

Ranga Yogeshwar: Ich störe mich an der Frage. "Muss" ist ein Widerspruch zur Neugier, zur wahrhaftigen Auseinandersetzung mit Dingen, denn Wissen erweitert unseren Horizont: Eine Kuh sieht denselben Sternenhimmel wie wir, aber unser Wissen macht ihn für uns spannender. Insofern ist der Job, den wir machen, nie ein Muss. Denn der Zuschauer hat die Fernbedienung – und wenn er das Gefühl hat, es ist ein Muss, dann wird er sehr schnell eine Taste drücken. Aber wenn er merkt, er "kann" hier etwas dazulernen, dann ändert sich eine ganze Haltung.

Mai Thi Nguyen-Kim: Für mich klingt das viel zu sehr nach Schule, aber diese Form der Autorität im Fernsehen ist vorbei. Es geht vielmehr um die Art, wie wir denken. Das kritische Denken ist entscheidend. Und das ist anwendbar auf alle möglichen Dinge.


Das ist doch exakt der Unterschied zum öffentlich-rechtlichen Bildungsfernsehen früherer Jahrzehnte, als der Professor im "Telekolleg" an der Tafel stand.

Yogeshwar: Diese Kultur des Professoralen, die ich noch aus der Anfangszeit kenne, als echte Professoren vor der Kamera an den Pulten standen, ist tatsächlich der entscheidende Unterschied zu heute. Glücklicherweise haben wir diese Zeiten hinter uns gelassen. Wenn ein Zuschauer einen Menschen sieht und spürt, der hat Lust darauf, etwas zu erforschen, dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass sich diese Lust überträgt.

Ist das heute überhaupt noch so einfach möglich?

Nguyen-Kim: Ich mache YouTube-Videos und YouTube ist eine harte Schule. Da wird einem sehr bewusst, dass Aufmerksamkeit nicht selbstverständlich ist und man sie sich hart erkämpfen muss – gerade wenn man sich mit Wissenschaft gegen all die Unterhaltungsformate durchsetzen will. Ich kann nicht davon ausgehen, dass die Zuschauer mir zwangsläufig zuhören, nur weil ich der Meinung bin, ich habe etwas Wichtiges zu sagen. 

Yogeshwar: Wenn ich die YouTube-Videos von Mai Thi sehe, dann spüre ich, dass da jemand vor der Kamera steht, dem es ein wirkliches Anliegen ist, mir etwas zu erklären. Dieses geschieht jedoch implizit. Deshalb lässt sich diese Fähigkeit auch nur schwer erlernen, geschweige denn nachahmen. 

Könnte ich das auch auf "Quarks" beziehen? Ihre Nachfolger, zu denen auch Ralph Caspers gehört, unterscheiden sich in der Form der Moderation ja doch deutlich von Ihnen.

Yogeshwar: Ich habe nichts Besonderes gemacht. Ich habe auf meine Art über die Themen gesprochen, Mai Thi und Ralph machen das auf ihre Art.

Wie würden Sie Ihre Art beschreiben?

Yogeshwar: Die Frage müsste eher an Mai Thi gerichtet sein. Vielleicht sagt der eine oder andere, ich sei oberlehrerhaft. Die meisten fanden es offensichtlich okay, so wie ich das über die Jahre gemacht habe.

Nguyen-Kim: Ranga hat immer eine Haltung eingenommen. Das vermisse ich leider oft bei vielen Kollegen in der Wissenschaft, die ihr Wissen sehr kühl, sachlich und distanziert vermitteln wollen – und damit so gut wie gar nichts vermitteln.

"In der Wissenschaft ist die Lernkurve relativ flach, weil viele Forscher irgendwann in Routine erstarren."
Ranga Yogeshwar

Woher nehmen Sie Ihr Wissen?

Nguyen-Kim: Ich habe zwar eine naturwissenschaftliche Ausbildung, muss mich aber trotzdem in viele Themen reinfuchsen. Das tue ich, indem ich mich mit Experten austausche oder Fachliteratur lese. 

Erklären Sie, worin der Spaß liegt, sich durch trockenen Texte zu wühlen.

Yogeshwar: Wir werden dafür bezahlt, dass wir lernen. Wie großartig ist das denn?

Nguyen-Kim: Forschung ist ein toller Beruf, weil man das Gefühl hat, etwas mit Mehrwert zu tun. Dummerweise wird man zunehmend zum Fachidioten, weil man immer tiefer in eine Materie eindringt. Es mag paradox klingen, aber ich fühle mich jetzt wissender als während meiner Doktorarbeit, weil ich mich für YouTube und fürs Fernsehen mit so vielen unterschiedlichen Themen beschäftigen kann. 

Yogeshwar: In der Wissenschaft ist die Lernkurve relativ flach, weil viele Forscher irgendwann in Routine erstarren.

Was lässt sich dagegen machen? Alle zum Fernsehen schicken?

Yogeshwar: Nein, es braucht den einen wie den anderen. Es gibt beispielsweise eine Wissenschaftlerin, die 20 Jahre ihres Lebens damit verbrachte, Fliegeneier unterm Mikroskop zu betrachten. Für einen normalen Menschen ist das nicht nachvollziehbar, doch ihr scharfer Blick führte dazu, dass wir die Evolution besser verstehen. Dafür hat sie später im Übrigen den Nobelpreis erhalten.