Herr Grewenig, das Jahr 2022 war geprägt vom Krieg und seinen wirtschaftlichen Auswirkungen. Wie geht’s den privaten Medien in Deutschland vor diesem Hintergrund?

Den privaten Medien geht es noch verhältnismäßig gut, trotz der extremen externen Herausforderungen, die sich in diesem Jahr durch zahlreiche Faktoren noch einmal deutlich verschärft haben: von der dauerhaften Breaking-News-Situation, die wir seit Beginn der Corona-Krise hatten, über den Ukraine-Krieg mit in Folge gestiegenen Energiekosten, einer hohen Inflation hin zu einer angespannten gesamtwirtschaftlichen Lage. Gleichzeitig haben die privaten Medien auf der inhaltlichen Seite ihre Stärken beweisen können und einen herausragenden Job in der Krise gemacht. Sie haben schnell reagiert, Agilität, Verlässlichkeit und Kreativität gezeigt, was auch von der Politik sehr wahrgenommen und anerkannt wurde. Trotzdem stehen die Unternehmen 2023 wieder vor starken wirtschaftlichen Herausforderungen, deren Ausmaß heute noch niemand verlässlich einschätzen kann.

Ist denn ein Licht am Ende des Tunnels in Sicht?

Wir müssen bis auf Weiteres auf Sicht fahren, weil die mittel- bis langfristigen Entwicklungen noch nicht konkret abzusehen sind. Grundsätzlich ist es die Privatwirtschaft aber gewohnt, auf Herausforderungen schnell zu reagieren und entsprechend umzusteuern.

2022 war auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein herausforderndes Jahr, ausgelöst durch die Skandale um die frühere RBB-Führung. Wie blickt ihr Verband darauf?

Die konkreten Skandale der ARD sind letztlich im System zu klären. Das ist nicht unsere Aufgabe. Aber wenn es um Fragen der Glaubwürdigkeit geht, kann sich dies schnell auf die Medien gesamt auswirken, hier müssen wir sehr aufmerksam sein. Natürlich gibt es auch Themen, vor allem zum weiteren Auftrag und zur Struktur, wo sich Änderungen immer auf beide Seiten des dualen Systems auswirken, sodass wir uns hier sehr stark einbringen.

2023 ist mit Blick auf den Medienstaatsvertrag ein nicht unwichtiges Jahr. Was sind Ihre Erwartungen?

Die vergangenen Monate haben eine neue Dynamik in die Diskussion gebracht. Die Politik ist durch den über sechs Jahre diskutierten „neuen“ Auftrag nicht so weit in die Vorhand gekommen, als dass man durch einen großen Wurf grundlegend neu gestaltet hätte. Mit hoher Dringlichkeit müssen jetzt einige Grundsatzfragen geklärt werden, vor allem in Abgrenzung zu den privaten Medien: Wie verhält es sich mit dem Thema Werbung? Wie verhält es sich mit den kommerziellen Tätigkeiten der Anstalten? Wir erwarten eine Fortsetzung der Diskussion, aber mit sehr viel greifbareren und schnelleren Ergebnissen, als wir das in der Vergangenheit gewohnt waren. Und sollte es eine Expertenkommission für den Neustart bei ARD und ZDF geben, bringt sich der private Rundfunk zur Agenda und in der Sache gerne ein.

Werbung bei ARD und ZDF ist ein Thema, über das schon seit Jahrzehnten gestritten wird. Sind denn ARD und ZDF aus Ihrer Sicht ernsthaft am derzeitigen Schrumpfen der Werbeeinnahmen der Privaten schuld?

Die Herausforderungen im Werbemarkt sind schon gemeinsam, aber in Zeiten solcher externer Rahmenbedingungen ist eine relativ stabile Beitragsfinanzierung an sich bereits ein klarer Wettbewerbsvorteil. Das verschärft gerade an den Schnittstellen die Situation für die privaten Medien. Dinge, die wir schon seit Jahren adressiert haben, werden in der Debatte um eine künftige Finanzierung sehr viel aktueller, weil der Werbemarkt insgesamt unter Druck gerät. Gleichzeitig bietet sich die Chance, die Themen grundlegend neu zu regeln.

Was wäre Ihre Wunschvorstellung?

Wir plädieren für eine Werbefreiheit von ARD und ZDF im Fernsehen und im Radio für eine Harmonisierung der bestehenden Regelungen nach dem NDR-Modell, also 60 Minuten Werbung pro Tag in nur einem Programm sowie für ein Festhalten an Online-Werbeverboten. Dazu sollte es eine Untersuchung der kommerziellen Tätigkeiten geben, vor allem der Tochterunternehmen. Da geht es beispielsweise um den Bereich der Podcast-Werbung oder neue Dienste wie ARD Plus.

ARD Plus ist eine Streamingplattform, die auf Bezahlinhalte setzt – so wie ARD und ZDF auch in der Vergangenheit schon DVDs verkauft haben. Da wäre doch auch niemand auf die Idee gekommen, die Filme und Serien im Mediamarkt einfach einzustecken, ohne zu bezahlen...

Wenn so etwas getan wird, dann muss es nach kommerziellen Marktbedingungen geschehen. Das, was es an früheren Aktivitäten gab, war ohne Zweifel als kommerzielle Randtätigkeiten einzuordnen. Wenn Sie jetzt aber davon ausgehen, dass Werbetöchter auch als eigenständige Streaminganbieter auftreten wollen, dann bekommt die Diskussion eine ganz neue Qualität. Dem muss die Politik aus unserer Sicht im Interesse eines fairen und chancengleichen Miteinanders im dualen System Einhalt gebieten.

 

"Es ist eine große gemeinsame Aufgabe, die Nutzung sowohl linear als auch non-linear so abzubilden, dass sie der tatsächlichen Reichweite der Programme gerecht wird."

 

Ein großer Teil der TV-Nutzung, insbesondere in jungen Zielgruppen, verlagert sich in Richtung Streaming. Liegen Ihre eigentlichen Konkurrenten nicht in Wahrheit in den USA, also bei Netflix, Disney oder Amazon, die ja inzwischen auch auf Werbeeinnahmen schielen?

Die Antwort ist ein klares Sowohl-als-auch, allerdings bezogen auf die internationalen Tech-Plattformen, denn einen Wettbewerb um Inhalte und Reichweite gab es ja immer. Die Tatsache, dass wir gemeinsame Herausforderungen auch hinsichtlich der internationalen Tech-Plattformen zu meistern zu haben, sollte aber nicht davon ablenken, Themen an der Schnittstelle zum nationalen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu lösen. Sie haben selbstverständlich recht: Gute, auf nationales Publikum ausgerichtete Medien müssen in vielen Punkten gemeinsam die Dinge angehen. Das heißt aber nicht, dass wir gerade im Bereich des Telemedienwerbemarkts oder des Streamings jetzt weitere kommerzielle Wettbewerber etwa durch die Tochterunternehmen der Öffentlich-Rechtlichen akzeptieren würden.

Müsste es nicht viel mehr im Interesse Ihres Verbandes sein, die eigene Größe besser abzubilden, also die zunehmende Nutzung im Streamingbereich in die TV-Quote zu integrieren?

Im nächsten Jahr wird es dazu seitens der AGF Neuerungen geben. Bewegtbild zukünftig konvergent – also gattungsübergreifend – auszuwerten ist das Ziel. Es ist eine große gemeinsame Aufgabe, die Nutzung sowohl linear als auch non-linear so abzubilden, dass sie der tatsächlichen Reichweite der Programme gerecht wird. 

Sie sprachen den Hörfunk gerade bereits kurz an. Im Hinblick darauf ist im künftigen Medienstaatsvertrag nichts Neues beschlossen worden. Ich nehme an, Sie sehen dennoch Handlungsbedarf? 

Es war die Position der Länder, dass das nicht Gegenstand dieses ersten Pakets war. Wir sehen das insofern anders, als die Gesamtdeckelung des Audioangebots im Medienstaatsvertrag geregelt ist. Deswegen haben wir uns als Verband dafür eingesetzt, dass dieses Thema unmittelbar aufgegriffen wird, sowohl auf Fachebene als auch auf politischer Ebene. Einzelne Länder gehen inzwischen davon aus, dass sich auch im Bereich des öffentlich-rechtlichen Hörfunks eine Neuordnung ankündigt. Das werden wir im neuen Jahr aktiv angehen. Betroffen sind insbesondere zwei Themenfelder: Einerseits der Bereich Online-Audio, wo wir aktuell im öffentlich-rechtlichen Angebot keine Grenze haben. Darüber werden wir sprechen müssen, weil wir sonst ein Ausfransen jeglichen Mengengerüsts befürchten. Gleichzeitig gibt es eine Entwicklung gerade im Online-Bereich, dass eine Art Hyperlokalisierung stattfindet, also eine stärkere Abbildung der öffentlich-rechtlichen Angebote auch weit jenseits des momentan nach Bundesländern vorgesehenen Gebiets. Wir setzen uns für eine Gesamtschau aller Länder für das Thema Radio und Audio ein, die das Angebot der ARD übergeordnet in den Blick nimmt.

Lassen Sie uns über Deutschland hinaus blicken: EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager hat angekündigt, die Möglichkeiten einer gesetzlichen Regelung auszuloten, mit der datenintensive Dienste wie Video-on-Demand- und Streaminganbieter dazu verpflichtet werden könnten, sich an den Kosten für den Infrastrukturausbau in der EU zu beteiligen. Das wird Ihnen nicht gefallen.

Da liegen Sie richtig. (lacht) Und das zeigt vor allem auch, dass Medienpolitik kein Nischenthema ist, sondern auf der Hauptbühne der Wirtschafts- und Digitalpolitik, aber auch der Gesellschaftspolitik spielt und alle wirklichen Regulierungsebenen betrifft – hier vor allem die EU, aber in Folge aber natürlich auch nationale Regelungen. Das ist ein bekanntes Thema in neuem Gewand, das schon seit geraumer Zeit unter dem Stichwort Netzneutralität diskutiert wurde, jetzt mit einem neuen Ansatz, bei dem wohlgemerkt die Inhalteanbieter klassischer Art nicht im Fokus stehen, aber eben trotzdem im Falle einer unsauberen Abgrenzung oder einer mittelbaren Einbeziehung drohen erfasst zu werden. Wir finden, dass diese Debatte die jahrelange Entwicklung zum Wert der Inhalte für Plattformen und Netze verkennt. Das ist etwas, das wir auf den klassischen Plattformen wie dem Kabel über Jahre hinweg erstritten haben. Und diesen Punkt sollte man nicht leichtfertig aufgeben, zumal ohnehin ein zweiseitiger Markt vorliegt, auf dem auch seitens der Kundinnen und Kunden dafür bezahlt wird, dass Inhalte über die Netze genutzt werden können. Wir werden uns da auf eine intensive Debatte mit offenem Ausgang einstellen müssen.

Ein anderes Thema: Zuletzt hat die Europäische Kommission den European Media Freedom Act initiiert. Das haben Sie in einigen Teilen gelobt, sehen aber auch Kritikpunkte. Was steht auf der Pro- und der Contra-Seite?

Es ist innerhalb kürzester Zeit schon der dritte Regulierungsakt auf europäischer Ebene, der sich zumindest auch mit Medien befasst. Der eigentliche Ansatz und die Ziele sind richtig. Wir brauchen vielfältige, staatsferne und unabhängige Medien in ganz Europa. Wir sehen aber in der Art der Umsetzung zum einen eine ziemlich große Wort-Text-Schere: Das, was als Ziel erklärt wird, und das, was in den konkreten Texten bislang zu Papier gebracht worden ist, ist noch nicht synchron. Hier muss nachgesteuert werden. Vor allem brauchen wir keine weitere Regulierungsschicht auf europäischer Ebene, etwa im Bereich der Medienkonzentration. Wachstum von Medienunternehmen muss angesichts des bestehenden Wettbewerbs stets möglich bleiben. Wo in bestehende Vielfaltssicherungssysteme der Mitgliedsstaaten eingegriffen würde, müssen die bisherigen Entwürfe ebenfalls deutlich zurückgefahren werden. Zudem sehen wir, dass die Frage, wie man die redaktionelle Unabhängigkeit konkret gewährleistet, von den Unternehmen sehr wohl selbst gestalten werden kann. Da brauchen wir keinen regulatorischen Eingriff. Wir müssen aufpassen, dass der Media Freedom Act in weiten Teilen nicht zu einem Media Restriction Act wird, der das eigentlich gute Ziel verwässert.

Wo wir gerade über Europa, Staatsferne und Unabhängigkeit sprechen: Was würde es eigentlich für den deutschen TV-Markt bedeuten, wenn jetzt Berlusconi und Media For Europe einen größeren Einfluss haben würden?

Hier muss man deutlich zwischen allgemeinen Bestimmungen zur Medienvielfalt und der Frage der Staatsferne unterscheiden. Es hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt, zum Beispiel bei Russia Today, dass es in Deutschland sehr klare Regelungen gibt, die die Staatsferne des Rundfunks absichern, übrigens auch durch eine staatsferne Aufsicht über die Medienanstalten. Da gibt es Bestimmungen, die im Fall der Fälle beachtet werden müssen. Jenseits dessen möchte ich diesen Einzelfall nicht bewerten. Aber wir glauben, dass es ausreichende und gute Regeln gibt.

Wenn wir in einem anderen Jahr nochmal sprechen: Was würden Sie sich hinsichtlich der anstehenden Debatten wünschen?

Ich würde mir vor allem wünschen, dass die grundsätzlichen Erklärungen zur Bedeutung der privaten Medien und der Medienvielfalt auch in konkreten politischen Initiativen gespiegelt wird. Es besteht definitiv kein Defizit in der Analyse. Dass private Medien ein ganz wesentlicher Faktor in Deutschland und Europa sind, um die Meinungsbildung zu sichern, ist unbestritten. Dass hierfür die entsprechenden Rahmenbedingungen Voraussetzung sind, wird aber leider oft vergessen, wenn es konkret wird. Das betrifft vor allem auch unsere Refinanzierungsgrundlage. Um guten Journalismus und hochwertige Inhalte liefern zu können, braucht es entsprechende Rahmenbedingungen, damit private Medien auch Geld verdienen können, sei es über Werbung oder Abomodelle. 

Wie sollen diese Bedingungen Ihrer Auffassung nach aussehen?

Das bedeutet den Verzicht auf Werbeverbote, wie sie aktuell z.B. im Bereich bestimmter Lebensmittel auf Grund der in der Woche vor Weihnachten von der Bundesregierung beschlossenen Ernährungsstrategie drohen, ein Stopp von Markteingriffen wie Investitionsverpflichtungen bei der Filmförderung oder auch die Sicherung des Status als kritische Infrastruktur im Fall von Engpässen. Dass das Verständnis für die Bedeutung unserer Finanzierungsgrundlagen für die Demokratie wächst und das konkrete Handeln im Einzelfall in der Politik auf allen Ebenen dies dann auch berücksichtigt und in diesem Sinne synchroner wird, wäre unser großer Wunsch.

Herr Grewenig, vielen Dank für das Gespräch.