Es ist nicht übertrieben, Luca Zingaretti den "Derrick" Italiens zu nennen. Stolze 22 Jahre lang ermittelte er als gediegener "Commissario Montalbano" in den malerischen Landschaften Siziliens, ehe die Erfolgsreihe aus der Rai-1-Primetime voriges Jahr auf Wunsch des populären Hauptdarstellers endete. Ohne Montalbano-Fans vor den Kopf zu stoßen, kann man jetzt feststellen, dass Zingarettis Entscheidung die richtige war. Denn sein Wandel vom Kommissar zum Gefängnisdirektor, vom Licht des eindeutig Guten ins Zwielicht des abgründigen Antihelden, vom Free- ins Pay-TV sorgt für spannende Dramakost in Italiens erster Knast-Thriller-Serie.

"Il Re", zu Deutsch der König, ist genau die passende Bezeichnung für Bruno Testori, den Direktor des fiktiven Gefängnisses von San Michele. Wie ein liebender Tyrann herrscht er über seinen eigenen Mikrokosmos, in dem er sich den Ruf erarbeitet hat, die schwierigsten Verbrecher des ganzen Landes zu zähmen. Insassen wie Wärter folgen seinem absolutistischen Regime, seinem von Gesetzbüchern losgelösten Gerechtigkeitsempfinden, weil sie ihn entweder fürchten oder vergöttern, ihn aber auf keinen Fall zum Feind haben wollen. Testoris Besessenheit manifestiert sich darin, dass er die Zellen heimlich abhört, den unvermeidlichen Drogenhandel selbst kontrolliert und nachts lieber in seiner JVA schläft als bei seiner Familie.

Was diese Figur gleich zu Beginn ein bisschen menschlicher macht, ist Testoris enge Freundschaft zu Gefängniskommandant Nicola Iaccarino, seiner rechten Hand. Ihm vertraut er Gedanken und Gefühle an, und auch wenn es darum geht, seiner Frau größere Anschaffungen wie die eines Boots zu beichten, ist Iaccarino der Bote der Wahl. Umso tragischer, dass dieser noch in der ersten Episode tot aufgefunden wird – ermordet innerhalb der Haftanstalt. Weil nun auch Polizei und Staatsanwaltschaft anrücken, um den Fall aufzuklären, sieht Testori seine Ordnung gefährdet und stürzt sich in einen verzweifelten Kampf mit dem einzigen Ziel, den Mörder schneller zu finden als alle anderen.

Empfohlener externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Youtube, der den Artikel ergänzt. Sie können sich den Inhalt anzeigen lassen. Dabei können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Zingaretti selbst, der neben der Fremantle-Tochter The Apartment von "The Young Pope"- und "My Brilliant Friend"-Produzent Lorenzo Mieli auch als Koproduzent fungiert, vergleicht seine Rolle mit Colonel Kurtz aus "Apocalypse Now": ein Mann, der auf eine Mission geschickt wird und in den Schrecken des Krieges die eigene Orientierung verliert. Ganz anders als bei "Montalbano" spielt Zingaretti hier extrem körperlich und roh. Seine bedrohliche Wirkung bezieht er aus einer unausgesprochenen, kurz vor dem Explodieren stehenden Wut. Gleichzeitig trägt er Testoris zunehmende innere Verformung subtil nach außen. Allein schon diese Leistung lohnt das Einschalten.

Dazu passt, dass Regisseur Giuseppe Gagliardi ("1992") den Kampf des Königs in düstere, gewaltige Bilder taucht, die Coppola alle Ehre machen. Dreh- und Angelpunkt ist das Gefängnis, das mit Panoramalinsen aus der Verschmelzung zweier realer Gebäude konstruiert wird und wie eine in sich abgeschlossene Welt wirkt. Wann immer Gagliardi Figuren einführt und weiter begleitet, liegt die visuelle Aufmerksamkeit auch auf deren Lichtern und Schatten.

Und es ist keineswegs nur Testori, der den Fortgang der Handlung bestimmt. Das fünfköpfige Autorenteam um Stefano Bises ("Gomorrah", "Il Miracolo") hat San Michele als Spiegel der italienischen Gesellschaft angelegt, in dem die verschiedensten sozialen und ethnischen Gruppen aufeinanderstoßen. Die großen realen Konflikte von draußen lassen sich drinnen wie unterm Brennglas studieren. Da ist etwa der serbische Häftling Miroslav Lackovic (Ivan Franek), der beim Direktor besondere Privilegien genießt und die Drogen verteilen darf. Er wird ebenso in Gewaltausbrüche verwickelt wie der abgesonderte Flügel muslimischer Gefangener, um den sich der Imam Amir (Ahmed Hafiene), ein charismatischer Anführer, kümmert.

Spannende Gewissensfragen rund um Loyalität und Verantwortung – gerade auch in Abgrenzung zur Titelfigur – bündeln sich in der Vollzugsbeamtin Sonia Massini (Isabella Ragonese), der einzigen Frau unter den Wärtern, die Testoris Methoden zwar kritisch gegenübersteht, aber auch weiß, wie wirksam sie sind. Angesichts dieser komplexen Erzählwelt darf "Commissario Montalbano" gern im einstweiligen Ruhestand bleiben.

"Il Re", ab 19. Juli auf Sky Q, Sky Atlantic und Wow