Am Anfang der Achtziger war, nein – nicht das Feuer, sondern der Ton. Fernsehen ist auch ohne private Konkurrenz bereits voller Musik. Titelmelodien selbst politischer Formate prägen das kollektive Gedächtnis wie die Jingles von Allianz bis Bärenmarke. Ohne Liveauftritte großer Popstars sind die Straßenfeger von Rudi Carell, Joachim Fuchsberger, Harald Juhnke unvorstellbar. Aufregende Serienimporte aus Amerika nutzen den Soundtrack als PR-Faktor. Und erste Autorenfilmer merken, dass die sperrigen Dialoge ihrer Dramen ruhig musikalisch garniert werden dürfen. Doch den Hörgenuss beim Glotzen stört ein vermeintlich technisches Detail: Der Mono-Klang.

Als die Empfangsgeräte 1981 serienmäßig den zweiten Tonkanal erhalten, klingt das Angebot endlich weniger wie Opas Volksempfänger als nach jener HiFi-Anlage, die sich derzeit daheim durchsetzt. ARD und ZDF gibt‘s von nun an auch – Licht aus, Spot an! – mit echtem Raumklang. Ein Quantensprung fürs Musik-TV. Doch bevor es in einschlägig bekannter Abkürzung sein Genre umwälzen wird, stellt ein junger Blondschopf aus Bayern den Medienkonsum seiner noch jüngeren Zielgruppe auf den Kopf: 1976 übernimmt Thomas Gottschalk die Moderation des ARD-Magazins Szene.

Wie im nachfolgenden Pop-Stop gewährt sein Mix aus Livebands, Chartsnews und Klamauk der faktischen wie gefühlten Jugend mehr noch als Ilja Richters Generationskompromiss disco ein klingendes Asyl am Bildschirm. Und die Resonanz ist so groß, dass der Moderator rasch zu Höherem berufen wird: 1982 kommt Thommys Pop-Show ins Vorabendprogramm des ZDF. Die Primetime wird zwar weiter durch die Antiquariate nostalgischer Hörgewohnheiten wie Musik ist Trumpf verstopft. Manfred Sexauers Musikladen hat sich trotz aller Lässigkeit schon 1972 von der Radikalität des Vorgängers Beat Club verabschiedet. Und als fünf Jahre später die Rockpalast Nacht bis sonntagsfrüh Konzerte aus der Essener Grugahalle überträgt, sorgt das zwar auch international für Aufsehen, bleibt aber leicht prollig. Trotzdem ist die Popkultur fortan so integraler Programmbestandteil, dass der Weg zur nächsten Revolte geebnet ist.

Sie heißt Formel eins und zeigt ab 1983 etwas Unerhörtes, besser: Ungesehenes: Videoclips. War die optische Darstellung der Musik zuvor auf Konzertsituationen beschränkt, verabreicht sie der thommyblonde Peter Illmann nun (was die DDR mit Stop!Rock! schnell kopiert) in Form vertonter Kurzfilme. Video Killed The Radio Star heißt der passende Hit zum neuen Zeitalter. Denn keine drei Wochen, nachdem Bob Geldofs Hilfskonzert Live Aid im Juli 1985 weltweit Milliarden Zuschauer rührt, eröffnet ein neuer Sender am Fernsehhimmel sein Programm mit dem holprigen Clip der Buggles.

MTV.

Was da von den USA aus um 168 Videos in Dauerschleife herum gestrickt wird, widerspricht jedoch nicht nur optisch jeder Norm. Die Moderatoren sind Freaks, ihre Sendungen improvisiert, am Sendeplatz New York herrscht Anarchie wie in London, von wo aus MTV ab 1987 auch das frisch verlegte Kabelnetz in Deutschland versorgt. Die Musik spielt im Privatfernsehen. Und die Platzhirsche? Hecheln ihm von Anfang an hilflos, vor allem aber lieblos hinterher. Doch das gilt bald auch für die Emporkömmlinge im Dualen System. Abgesehen vom abseitigen Tele 5 nämlich nutzen weder RTL noch Sat1 den Sound der Popkultur je grundlegend anders als zur fortwährenden Steigerung des Lärmpegels. So wird er allerorts ausgelagert: Öffentlich-rechtlich an Arte und 3sat, kommerziell an VH1 und VIVA. Obwohl das Musikfernsehen sein Medium ähnlich verändert hat wie Daily Soap und Tutti Frutti, landet es auch schon wieder in der Nische.

Was bleibt also abgesehen von MTV Germany, so kurz vorm Millennium? Nach Peter Frankenfeld mag auch Harald Juhnke die TV-Bühne verlassen haben; da sie allerdings nahtlos durch Marianne & Michael, Karl Moik oder Hansi Hinterseer ersetzt werden, bleibt ARZDF offenbar auf ewig in der Endlosschleife des Schunkelns gefangen, während SatTL7 nichts als Chartshows einfällt und MTViva merkt, dass mit Videos viel, mit Klingeltönen aber noch viel mehr zu verdienen ist. Willkommen im Millennium!

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