Am Anfang der langen Wahlnacht konnte man "Bild" noch belächeln. Nichts weniger als das "Oval Office" hatte man im ersten Stock des Springer-Hochhauses nachbauen lassen, um die Crew um Chefredakteur Julian Reichelt, Paul Ronzheimer und Claus Strunz in Szene zu setzen. Mal sorgte eine missglückte Schalte zum "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe für Schmunzeln, später konnte sorgte ein Ranking der schönsten Frisuren des amerikanischen Präsidenten für Kopfschütteln. Doch je enger das Rennen zwischen Donald Trump und seinem Herausforderer Joe Biden wurde, desto besser wurde die Figur, die "Bild" mit seiner Berichterstattung zur US-Wahl abgab.

Natürlich waren da schwer zu ertragende Momente, in denen etwa der Kolumnist Alexander von Schönburg laut polterte ("Der Charakter von Trump ist mir doch egal!"), und natürlich wirkten manche Sequenzen ein wenig zu sehr auf Show getrimmt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass "Bild" mit erstaunlich viel Personal vor Ort im Einsatz war und weit mehr und vor allem weit prominentere Gesprächspartner aufbot als der ebenfalls zum Springer-Konzern gehörende Nachrichtenkanal Welt, der dank fundierter Einschätzungen bewährter Köpfe aber ebenfalls eine gelungene Berichterstattung bot. Mehr Wumms aber, um einmal die "Bild"-Sprache zu bedienen, steckte letztlich in der "Bild"-Sondersendung.

Hilfreich war, dass die Macher auf gleich zwei Spielwiesen setzten: Neben dem Oval Office, das sich trotz unbequem anmutender Ledersessel für längere Talkstrecken anbot, meldete sich Julian Reichelt zu fortschreitender Stunde, als mehr und mehr die Ergebnisse der einzelnen Bundesstaaten eintrudelten, immer häufiger aus dem Newsroom und lieferte erstaunlich sachliche Analysen. Und als mancher Sender gerade in der Werbung weilte, wagte sich der Chefredakteur schon an eine erste Einschätzung jenes umstrittenen Tweets von Donald Trump, in dem dieser einen Wahlbetrug witterte.

Julian Reichelt © Bild "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt

Man kann das, was "Bild" über mehr als zwölf Stunden hinweg, frei von Werbeunterbrechungen, ablieferte, durchaus als Bewerbung für den Start eines klassischen TV-Kanals erachten, von dem man bislang mit eher kurzen Einzelsendungen noch ein ganzes Stück entfernt war. Seit dieser Nacht ist klar: "Bild" hat – aller sinkenden Auflagenzahlen zum Trotz – das Zeug dazu, den News-Markt im Fernsehen gehörig aufzumischen. So mancher Konkurrent sah im direkten Vergleich der Wahl-Berichterstattung regelrecht alt aus, allen voran die ARD, deren staubig-blaue Studio-Optik wirkte, als habe man sie einem längst vergessen geglaubten 80er-Jahre-Fundus entnommen. 

Das ZDF machte da schon mehr her, bot inhaltlich letztlich aber ebenso wie der öffentlich-rechtliche Mitbewerber vor allem vorhersehbare Kost mit so mancher Länge bei den Gesprächen auf der Corona-bedingt übergroßen Couch, auf der Moderatorin Bettina Schausten Gäste wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier und AfD-Politikerin Beatrix von Storch begrüßte. Auch die Talks in Washington nahmen bei ARD und ZDF gleichermaßen großen Raum ein. Ein echter Lapsus unterlief dem Zweiten dann in den frühen Morgenstunden: Erst kam man zu spät zur lange erwarteten Rede von Joe Biden und dann fehlte am Anfang auch noch der Dolmetscher.

RTL wiederum überraschte zusammen mit dem hauseigenen Nachrichtensender ntv von 3 Uhr an mit einer charmant-souveränen Leitung von Peter Kloeppel und Gesa Eberl. An die "Bild"-Berichterstattung kamen jedoch auch die Kölner nicht heran – auch, weil man Tendenzen in den einzelnen Bundesstaaten lange Zeit quasi kaum berücksichtigte. Und so darf die nächtliche Wahl-Offensive der Reichelt-Crew auch als Weckruf an die alteingesessenen TV-Anstalten zu verstehen werden. Denn auch wenn nicht jedem gefallen mag, was "Bild" für gewöhnlich schreibt: Was man zum noch immer offenen Duell zwischen Trump und Biden auf die Beine stellte, war schlichtweg gut gemachtes Fernsehen. 

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