Es scheint, als käme im Fernsehen jedes Genre irgendwann an einem Punkt an, an dem es an der Vergangenheit kein vorbei gibt. Als das Genre der Telenovela mit abendlich hohen Quoten für "Verliebt in Berlin" (Sat.1) gerade seinen Höhepunkt erreicht hatte, erzählte Das Erste – wenig erfolgreich – die Geschichte der "Braut wider Willen" und reiste mit Yvonne Catterfeld als Hauptfigur Sophie in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ende 2004, als "Big Brother" mit seiner fünften Staffel ein Jahr lang für gute Quoten sorgte, lief im Ersten das so genannte "Living History"-Projekt "Abenteuer 1900", das eine Realityshow war, in der 20 Personen, das Leben auf der Schwelle um 20. Jahrhundert nachlebten.



Naheliegend also, dass nun auch Macherinnen und Macher von Dating-Shows die Uhr um viele Jahre zurückdrehen und in "Love is King" so gedatet wird wie früher. In der Produktion von ITV Studios Germany geht es um gesittetes Benehmen, aber auch um die Macht der Verwandlung. Zehn Singles ziehen in der ersten Episode auf ein Schloss, werfen sich in schicke Gewänder und lernen sich so ganz ohne Tinder und Co. kennen.

Das funktioniert besser als vielleicht gedacht, nicht zuletzt auch, weil die Produktion ein recht glückliches Händchen bei der Besetzung hatte. Dass mit Nora und Julian zwei Singles mitmachten, die im vergangenen Jahr schon um Rosen in "Bachelor" und "Bachelorette" buhlten – geschenkt. Trash-TV-Hopping gehört heute fast schon zum guten Ton, wieso also nicht auch damals zu Hofe? Freilich geht es auch in "Love is King" weniger darum, daran zu glauben, dass sich die große und wahre Liebe entwickelt, wenngleich auch in dieser Produktion der Satz "Ich bin ja auf jeden fall hier um jemanden kennenzulernen und was ernstes zu wollen" nicht fehlt.

Stattdessen ermöglicht "Love is King" einen Blick durch's Schlüsselloch und zeigt, was Umgebung und Kleidung mit Menschen macht. Kandidat Jerome, der befürchtet bald keinen Platz mehr auf dem Körper für weitere Tattoos zu haben, ist da ein gutes Beispiel. Noch bevor sich dieser "beeindruckt" zeigte, weil ihm ganz "ernsthaft etwas vorgelesen" wurde, erhoffte er sich, im Schlosskerker auf eine nackte Prinzessin zu treffen, nur um sich während des Experiments dann reichlich Gedanken um das Einhalten der richtigen Verhaltensregeln zu machen.

Natürlich darf man fragen, ob es im Herbst 2022 noch ein weiteres Dating-Format braucht, wo doch schon RTL+ nicht müde wird, immer neue Sendungen dieser Programmfarbe anzukündigen – jüngst etwa mit Yeliz Koc. Doch "Love is King" macht durchaus etwas anders. "Love is King" ist nicht nur wegen der herrlich agierenden Olivia Jones als strenge und doch herzliche Queen im Schloss eine große Inszenierung und hat den stetigen Charme eines großen Festes, wenn man auf die schnieke hergerichteten Männer und Frauen schaut. Die Regeln, die alle auf Sitte und Anstand beruhen, führen zudem dazu, dass es in dem TV-Format um Slow-Dating geht, womit "Love is King" quasi das Gegenstück zur RTLzwei-Kuppelei "Love Island" ist, wo sich Pärchen in besonders rascher Zeitfolge ver- und entcouplen. In "Love Is King" wird "die hohe Kunst des Näherkommens", wie es heißt, förmlich zelebriert.



Das immerhin hilft dem sicherlich zu präsenten Genre. Passend gewählt ist obendrein die musikalische Untermalung, die großteils aus klassisch interpretierten Songs von heute besteht. Daher gilt: Von allen aktuell und in jüngeren Vergangenheit aufgeploppten weiteren Flirt- und Datingshows ist "Love is King" das Faszinierendste.

"Love is King", abrufbar bei Joyn. Weitere Folgen dann immer donnerstags bei JoynPlus+. ProSieben plant eine Ausstrahlung im Free-TV zu einem späteren Zeitpunkt.