Mal ehrlich, liebe Kinder der Neunziger zwischen Generation X und Y, im Herzen schon Millennials, im Hirn noch Boomer: Hatten wir nicht alle einen (um mit der GenZ zu reden) Crush auf Katja Riemann? Die männlichen, weil sie auf selbstsichere Art sexy war? Die weiblichen, weil sie auf sexy Art selbstsicher war? Alle dazwischen und außerhalb, weil Gattungsbegriffe wie m/w/d bei ihr auf heterosexuelle Art genderneutral wirkten und umgekehrt?

Seit Katja von Garniers Beziehungskomödie „Abgeschminkt“ jedenfalls wollten sämtliche empathie- und vernunftbegabten Twenty- bis Fourtysomethings mit der lässigsten aller Filmfeministinnen ins Bett oder Partygetümmel, am besten beides zugleich. Selten zuvor war ein Rolemodel anziehender. Noch seltener jedoch war eines beharrlicher, weshalb dieselbe Figur um ein paar lichtscheue Falten älter ab sofort seltsam baugleich am Bildschirm erscheint wie 1993 als liebeslebenslustige Cartoonistin Frenzy.

Im ZDF-Sechsteiler „Reset“ nämlich spielt Katja Riemann ab heute in der Mediathek die erfolgreiche TV-Moderatorin Flo Bohringer, und klar: Es ist wie so oft eine Powerfrau mit flottem Namen, flottem Lover, flottem Job, flottem Alltag, flottem Stil, flottem Image, flottem Appartement und einer goldgelockten Haarpracht, die zumindest vor 31 Jahren mal flott war, aber allen Alterungserscheinungen trotzt wie sonst nur Riemanns Rollenauswahl.

Weniger flott ist dagegen, was der Serienfeministin mit ikonografischer Talkshow zum Thema Patriarchat und Gleichberechtigung widerfährt. Nach ihrer meinungsstarken Sendung, gefolgt von sensationellem Hotel-Sex mit ihrem halb so alten und doppelt so heißen Regisseur plus anschließender Girls-Night in Kreisch-Atmosphäre, findet sie ihre fünfzehnjährige Tochter (Hannah Schiller) tot im Bett. „Tut mir leid, ich kann nicht mehr“ steht im Abschiedsbrief. Es hinterlässt deutlich mehr Fragen als Antworten, die auch ein Flashback nicht auflöst.

Dass Flo ihr pubertierendes Kind tags zuvor mit Prügelspuren übersät gefunden und gegen Lunas Willen zur Polizei gezerrt hat, um den gewalttätigen Freund Pascal (Alessandro Schuster) anzuzeigen, könnte zwar Anhaltspunkte liefern. Doch ihr Freitod bleibt so schleierhaft, dass Mama eine Zeitreiseagentur beauftragt und am Tag des Suizids erwacht, um ihn zu verhindern. Spätestens hier sollten die Alarmglocken der öffentlich-rechtlichen Stammkundschaft schrillen.

Reset - Wie weit willst du gehen? © ZDF/Tina Krohn Flo Bohringer (Katja Riemann, r.), ihr Ex-Mann Jens (Thomas Loibl, 2.v.l.) und dessen Partnerin Kati (Annika Kuhl, l.) haben Luna (Hannah Schiller, 2.v.r.) wegen ihrer Depression in eine psychiatrische Klinik gebracht.

Schon im ersten der fünf Cliffhanger macht Regisseurin Isa Prahl das Familiendrama damit schließlich zum Mystery-Thriller und verklebt dabei zwei stereotype Plot-Twists einer ziemlich deutschen Erzählstruktur: die alterslose Multioptionschiffre Katja Riemann mit dem Drang hiesiger Fiktionen, Übersinnliches durch noch viel Übersinnlicheres wie Amnesie und Alpträume, Zwillingsverwechslungen, Murmeltiertage oder halt Zeitreisen aufzulösen.

Ein dramaturgischer Plan B gewissermaßen, um etwaige Logiklücken zu füllen. „Plan B“ heißt daher auch die beauftragte Firma, dank der Flo ohne sperrigen Erklärungsballast mal eben Albert Einsteins Relativitätstheorie pulverisiert. „Plan B“ heißt allerdings auch das kanadische Original von Jean Francois Asselin und Jacques Drolet, das Sabine de Mardt, neben Andreas Bareiss für Gaumont auf Produzentenseite verantwortlich, Ingrid Kaltenegger und Mika Kallwass zur Bearbeitung vorgelesen hat.

Fast philosophischer Tiefgang

Ob „Reset“ deshalb eher internationales als provinzielles Aroma entfaltet, sei dahingestellt. Aber im Verlauf der Serie entwickelt sie einen Drive, der zuweilen fast philosophischen Tiefgang hat. Die meisten der öffentlich-rechtlich gebotenen 270 Sechsteiler-Minuten geht es ja mitnichten ums Whydunnit einer rätselhaften Verzweiflungstat. Lieber legt das ZDF seinen Fokus auf eine Selbst- und Fremdoptimierungsgesellschaft, in der Tiger-Moms wie Flo ihre Kinder nach eigenem Antlitz gestalten, als seien es Modellbausätze.

Je öfter Flo der Vergangenheit Besuche abstattet, desto mehr Einfluss nimmt sie darauf folglich auch abseits der vorauseilenden Suizidvermeidung. Wobei besonders ihr Sohn Carlo (Paul Ahrens) und sein Vater Jens (Thomas Loibl) in die Manipulationsmühlen der zusehends paranoiden Exfrau und Mutter geraten. Ob es mit Lunas Leben irgendwie weitergeht, ist dabei fast nebensächlich. Hauptsächlich hält „Reset“, IT-Sprech für Neustart, uns nämlich den Spiegel einer Reproduktionsökonomie vor, in der Kinder vornehmlich Reflexionsflächen urbaner Eltern auf verordneter Augenhöhe sind.

„Luna war dein Projekt“, entgegnet der neu verpartnerte Jens einmal auf Flos Vorwurf, er sei früher ja nie dagewesen. Und Katja Riemann spielt ihre Projektmanagerin ungefähr so, wie es ihr ständig ins Drehbuch geschrieben wird: als heterofeministisches Heiligenbild dreier Generationen. Eine Heino Ferch für Fortschrittsgläubige – schauspielerisch limitiert, im Kernfach geschlechtsspezifischer Durchsetzungsfähigkeit jedoch so virtuos, dass fachliche Mängel kaum auffallen und hier sogar zielführend sind.

Denn auch dank Riemanns dringlicher Weltlichkeit gelingt „Reset“ im Terzett mit Fiktionen wie „Oderbruch“ und „Souls“ oder neu bei Netflix: „Das Signal“ absolut Ungewöhnliches: Entmystifizierte Mystery, die den Ballast hiesiger Bedeutungsschwere meist ohne Spannungsverlust abwirft. Das Deutscheste daran ist demnach der paternalistische Untertitel „Wie weit würdest du gehen?“. So weit zu sagen, „Reset“ ist trotz und wegen Katja Riemann grundstabile Fernsehunterhaltung.

"Reset - Wie weit willst du gehen?" am Montag, Mittwoch und Donnerstag um 20:15 Uhr im ZDF und schon jetzt in der ZDF-Mediathek