Vier Jahre ist’s her, da hatte RTL es sich zur Aufgabe gemacht, vor der Bundestagswahl 2013 mit seiner Berichterstattung „die Distanz zwischen Wählern und Politikern abzubauen“ (DWDL.de berichtete). Im kommenden September wird wieder gewählt – und RTL-Chefredakteur Michael Wulf kündigt an: „Unser Anspruch für den Wahlkampf ist es, den Zuschauern eine Stimme zu geben. Wir wollen versuchen, die Menschen wieder näher an die Politik heranzubringen.“

So nah, dass man sie diesmal dafür gleich bei sich einziehen lässt. Jedenfalls vorübergehend.

Vom 1. August bis zum 30. September mietet RTL in der niedersächsischen Stadt Rinteln zwischen Bielefeld und Hannover eine Wohnung im Stadtzentrum und lässt wechselnde Reporter dort für mehrere Tage nächtigen. „Ziel ist es, in dieser Zeit Kontakt zu den Menschen aufzunehmen, in deren Lebenswelt einzutauschen und zu verstehen, wie es im Kindergarten, Sportverein, abends in der Kneipe zugeht“, erklärt Wulf. „Außerdem laden wir Zuschauer in die Wohnung ein, um sich mit den Reportern unsere Sendungen anzusehen und zu kritisieren.“ Das kriegen wiederum die Redakteure in Köln gezeigt – „damit sie verstehen, wie Zuschauer ihre Arbeit sehen“.

Anfang Juni hat sich RTL-Chefmoderator Peter Kloeppel stellvertretend für den Sender schon einmal in dem 25.000-Einwohner-Städtchen vorgestellt und mit dem Bürgermeister ausgetauscht (Foto oben). „Es ist ja wichtig, dass die Stadt Bescheid weiß, was wir dort vorhaben“, sagt Wulf. Ausgewählt hat RTL die Stadt, weil sie in vielerlei Hinsicht den statistischen Durchschnitt Deutschlands widerspiegele. Bei der Bundestagswahl 2013 entsprach zum Beispiel das Ergebnis dort weitgehend dem bundesdeutschen Ausgang.

Wulf nennt im DWDL.de-Gespräch noch einen weiteren Grund: „Wir haben uns mit Rinteln bewusst für eine kleinere Stadt entschieden, weil wir aus dem amerikanischen Wahlkampf wissen, dass dort andere Maßstäbe wichtig sind als in vielen Großstädten.“ Berichte aus der „RTL-Wahlstadt“ sollen in den regulären Nachrichten- und Magazinsendungen laufen. „Wir erreichen mit unseren etablierten Sendungen am Tag zwischen 8 und 9 Millionen Menschen, das ist mit Sondersendungen oft viel schwieriger.“

Aber auch davon hat der Sender einige in petto. Die vor vier Jahren erprobte Gesprächsrunde „An einem Tisch mit …“, bei der die Spitzenkandidaten der großen Parteien mit sechs Zuschauern (und Promi-Unterstützung) in einem zum Wohnzimmer umdekorierten Studio zusammensaßen, wird grundlegend umgebaut: zum „Townhall-Meeting“. Nur Titel und Tisch bleiben. An dem nehmen am 13. bzw. 20. August Martin Schulz für die SPD und Angela Merkel für die CDU Platz, um mit ausgesuchten Wählern wieder über vier bis fünf Themenblöcke zu sprechen. Dazu kommt aber ein Publikum von 60 bis 80 Zuschauern. Damit sei man in der Lage, „ein breiteres Stimmungsbild einzufangen“, sagt Wulf. „Zum Beispiel von Leuten, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder Anmerkungen zu einem Thema loswerden wollen“.

Außerdem holt der Sender das von Spiegel TV mit infoNetwork produzierte Format vom Vorabend in den späteren Sonntagabend: „Wir glauben, dass die Primetime am Sonntag nach 22 Uhr ideal ist für Zuschauer, die sich für Politik interessieren.“

Moderiert wird das neue „An einem Tisch mit …“ von Peter Kloeppel, der auch sonst gut zu tun hat. Schulz und Merkel sitzt der Chefmoderator bereits in den wiedereingeführten Sommerinterviews gegenüber, die ausschnittsweise bei „RTL aktuell“ laufen und in voller Länge als „RTL Nachtjournal Spezial“. Gemeinsam mit Nazan Eckes hat Kloeppel außerdem in Bonn-Bad Godesberg recherchiert, das verhältnismäßig viele Flüchtlinge aufnahm und in den Medien oft als „Problemviertel“ bezeichnet wird. Die noch titellose „Langzeit-Dokumentation“ von infoNetwork will die Herausforderungen der Integration aus unterschiedlichen Blickwinkeln zeigen, voraussichtlich am 21. August. Ab 11. September ist Kloeppel zudem als „Anchor on Location“ unterwegs und moderiert „RTL aktuell“ täglich aus einer anderen Stadt, um „die Stimmung im Land zu erkunden“.

Unterstützung gibt es unter anderem von Kollegin Ilka Essmüller, die in der „Nachtjournal“-Rubrik „Unterwegs mit …“ die Spitzenkandidaten der Parteien auf Wahlkampftour begleitet. Dabei sind: Martin Schulz (SPD), Katrin Göring-Eckhardt (Grüne), Sahra Wagenknecht (Linke), Christian Lindner (FDP) und Alice Weidel (AfD). Dazu kommen Faktenchecks („Das ist FAKT!“) und das RTL-Trendbarometer in den News. Nur den „Heißen Stuhl“ spart sich der Sender weiterhin – das ist Fakt. Am Tag der Bundestagswahl, dem 24. September, berichten RTL und n-tv dann wieder in einer gemeinsamen Sondersendung über die Ergebnisse. Neben Peter Kloeppel sitzt diesmal Isabelle Körner für n-tv im Studio.

Hat Wulf nicht die Befürchtung, dass durch die Konzentration der Berichterstattung auf die Sicht der Bürger komplexere Politikfelder wie Sicherheit, Verteidigung oder Finanzpolitik in den Hintergrund geraten könnten?

„Ich glaube schon, dass heutzutage auch Außenpolitik eine große Rolle in der Lebenswelt der Menschen spielt: die Wahl in Amerika, das Verhältnis zur Türkei, das Thema Terror“, meint der RTL-Chefredakteur. Finanzen, Gerechtigkeit und Rente würden viele Zuschauer genauso bewegen. „Die Frage ist, auf welcher Ebene man das diskutiert. Wir wollen auch Kompliziertes so angehen, dass es verständlich wird.“

Vor allem aber werden die RTL-Reporter im engen Kontakt mit ihren Zuschauern auch bereit sein müssen, die eigene Arbeit zu erklären, um auf das wachsende Misstrauen gegenüber den Medien einzugehen. „Wir können dagegen steuern, wenn wir immer wieder versuchen, vor Ort zu sein und mit den Menschen zu reden. Wir brauchen eine Haltung zu unseren Themen. Die ergibt sich, wenn wir ordentlich recherchieren“, sagt Wulf. Die Funktion des schnellsten Mediums habe das Internet vom Fernsehen übernommen. „Wir haben jetzt die Chance, Themen tiefer zu recherchieren, andere Ansätze zu finden, und Nachrichten so einzuordnen, dass der Zuschauer sie am Abend versteht und das Gefühl hat: dem kann er vertrauen.“

Anders als 2013 verzichtet RTL in diesem Jahr auf einen spezifischen „Wählerrat“. Den Kontakt zum Publikum pflegen die Redaktionen längst auf anderen Wegen, meint Wulf: „In vielen unserer Magazinsendungen haben wir inzwischen Whats-App-Gruppen mit unseren Zuschauern, in denen wir uns austauschen. Darüber bekommen wir ein regelmäßiges Feedback.“