Die jüngsten Zahlen der Film- und Medienstiftung aus Düsseldorf sind, um eine Lieblingsvokabel ihrer Geschäftsführerin Petra Müller zu gebrauchen, fantastisch: 41 Millionen Euro waren im Fördertopf 2021. Zum zweiten Mal ein Rekord! Trotz Pandemie! Dank deutlicher Aufstockung durch Land und Landtag von NRW! Doch nächsten Sonntag wird im Bindestrichland eine neue Landesregierung gewählt. Und dann? Was, wenn die Regierung wechselt, von Wüst (CDU) zu Kutschaty (SPD)? Was wird dann aus der Power, die in Petra Müllers Förderhaus steckt? Und wie steht es eigentlich um die Energie in ihr selbst, die Millionen für Filme, Serien, Games und Festivals zu verteilen hat?

Die ist noch vorhanden, aber wie!

Ein typischer Arbeitstag der Chefin von Deutschlands ältester regionalen Stiftung für Film- und Fernsehproduktionen sieht so aus wie am vergangenen Montag. Den Morgen verbrachte Petra Müller, 64 Jahre zählend und seit 2010 im Amt, im Feierabendhaus Knapsack. Ganz gefangen ist sie noch von der „Knallerarchitektur“ dieser Veranstaltungshalle, vor deren Kulisse schon Filme wie „Contergan“ (ARD) entstanden sind. Derzeit dreht dort Margarethe von Trotta „Bachmann & Frisch“ mit Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld. Seit „Hildegard von Bingen“ ist die NRW-Filmstiftung quasi in jedes von-Trotta-Opus finanziell involviert. Ein Besuch am Set ist für die Filmförderin Müller Pflicht wie Vergnügen und mit großem Respekt vor dem Gesamtwerk der Filmmeisterin verbunden.

Und ein vergnüglicher Abend nach dem Pflichttermin mit DWDL.de soll noch folgen, ein Treffen mit Heinrich Breloer. Auch so jemand, dessen Meisterwerke wie „Die Manns“ oder „Die Buddenbrooks“ mit Zutun der NRW-Filmstiftung entstanden sind und bei dem sich Petra Müller ebenso freut wie bei Margarete von Trotta, „wenn wir ihre Projekte unterstützen können“.

Breloer soll nicht warten müssen. Legen wir los.

Wie wichtig ist es, als Geschäftsführerin einer der wichtigsten Fördereinrichtungen in der Medienbranche Präsenz zu zeigen? Nicht nur am Set, sondern auch auf Festivals und Red-Carpet-Events? Scrollt man durch die Bildergalerien der Filmstiftung: offenbar sehr wichtig.

Von Berufs wegen Abendkleider tragen wie bei den iEmmys in New York oder den Oscars, wo Petra Müller das weltberühmte Bein der Angelina Jolie live bestaunte (für sie ein Highlight in 12 Dienstjahren) – das mag sie nicht, sagt die Stiftungschefin. Auch lasse sie sich „eigentlich nicht gerne“ fotografieren: „Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, dass es dazu gehört, wenn man unmissverständlich kommunizieren will: bei diesem Film, bei dieser Serie war NRW dabei.“

Petra Müller © Uwe Schaffmeister
In der Glamour- und Geschäftswelt von Film und Fernsehen ist Petra Müller schon länger „dabei“, als es die 1991 von Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) und WDR-Intendant Friedrich Nowottny gegründete Filmstiftung gibt. Die afrikanische Maske an der Wand hinter ihr erinnert zwar daran, dass sie nach ihrem Ethnologie-Studium in Köln durchaus auch einen anderen Weg hätte einschlagen können. Doch Mitte der Achtziger rollte in der Stadt, an deren westlichem Rand, im Erftkreis, sie geboren wurde, die Medienrevolution 1.0 an. Es gab plötzlich Privatfernsehen, vieles war im Umbruch, und so fand sich Petra Müller plötzlich im Schnittfeld von Marketing und Medien wieder.

Für das WDR-Anarcho-Magazin „ZAK“, das 1989 den ersten von zwei Grimme-Preisen bekommen sollte, arbeitete die Promotion-Expertin mit an der Entwicklung von Radio-Spots („Achtung, Achtung, auf der A43 kommt Ihnen ein Fernsehmagazin entgegen“). 1991 wechselte sie zum Grimme-Institut in Marl, dessen Leitung Lutz Hachmeister frisch übernommen hatte. Es war der Beginn einer äußerst produktiven beruflichen Beziehung.

Hachmeister holte Müller ins Team des von ihm im Rahmen des Medienforums NRW gegründeten Film- und Fernsehfestivals „Cologne Conference“, heute „Filmfestival Cologne“. Als seine Tage in Marl gezählt waren, folgte er ihr nach Köln, um mit ihr im Mediapark neben VIVA die Medienberatungsfirma HMR International zu gründen; Dritte im Bunde wurde Martina Richter, das R im Firmennamen. Das Grimme-Institut samt Preis aus dem Ruhrpott in die Domstadt zu verfrachten, glückte nicht. 2004 rief Berlin.

Aus der HMR stieg Petra Müller aus und in die Geschäftsführung des Medienboard Berlin-Brandenburg ein. Standortmarketing war für die nächsten sechs Jahre ihre Aufgabe. Berlins Stärke beruhte auf der Babelsberger Kino-Tradition (und inzwischen auch auf der Serienproduktion). Neue Konzepte mussten her. Doch in Sachen TV-Entertainment konnte (und kann) die Hauptstadt trotz internationaler Aufmerksamkeit mit NRW nicht mithalten. Die Riesenmaschinen RTL und WDR, Großproduzenten und Arthouse-Manufakturen, Ableger internationaler Produktionsgiganten – alle in Müllers Heimat versammelt. Fast die Hälfte der deutschen Sendeminuten wird nach einer aktuellen Erhebung in NRW produziert. 2010 nach Düsseldorf zu wechseln sei für sie allerdings „weniger eine Frage der Größe“ gewesen, sagt Petra Müller, „als vielmehr die Möglichkeit, mich im gesamten audiovisuellen Spektrum von Film, Serien, Games und Webvideo zu bewegen.“

Ihren allerersten Arbeitstag verbrachte die neue NRW-Förderchefin – Achtung, Glamour! – am Lido, beim Filmfestival Venedig. In einem Interview zum Amtsantritt machte sie eine klare Ansage, was sie unter Filmförderung versteht: „Film ist Kulturwirtschaftsgut erster Ordnung, und da muss es immer beides geben: künstlerische Ambition und Publikumserfolg.“ Also: kein Gegensatz zwischen Kunst und Kommerz.

„Hört sich gut an und ist nach wie vor richtig“, sagt Petra Müller, als man sie mit diesem frühen Zitat konfrontiert. Gefördert würden sowohl anspruchsvolle Arthouse-Projekte ohne Aussicht auf Besuchermillionen als auch potenzielle Blockbuster. Letztere zu fördern, ist für sie kein Widerspruch: „Auch diese Projekte müssen finanziert werden.“ Überdies zahlten besucherstarke Publikumsfilme die Förderung „in der Regel“ zurück, erklärt Müller und nennt als Beispiel die jüngsten Sönke-Wortmann-Filme: „Was wir zuletzt in ,Der Vorname‘ investiert haben, ist bereits zurückgeflossen und konnte auch für sein aktuelles Projekt ,Der Nachname‘ eingesetzt werden.“

Doch nicht immer geht die Rechnung auf.

Von den filmstiftungsgeförderten Filmen der vergangenen Jahre ist der PS-Streifen „Rush“ mit Daniel Brühl als Niki Lauda und Chris Hemsworth als Laudas Rivale James Hunt einer von Petra Müllers Lieblingen. Gedreht wurde unter anderem auf der Krefelder Straße in Köln. Den Oscarpreisträgern Ron Howard und Anthony Dod Mantle bei der Arbeit zuzuschauen, war ihr „eine große Freude“. Als sie in der „Variety“ las, denke nicht an die Formel 1, sondern an Mozart gegen Salieri, dachte sie, wow, da hat wirklich einer hingeschaut. Im Kino war „Rush“ dann alles andere als rasend erfolgreich.

Eine „Fehleinschätzung“ anderer Art, an die sich Petra Müller erinnert: Sie hatten „Ostwind“ von Katja von Garnier auf dem Tisch, und sie hört sich noch in der Vorbesprechung fragen, meint Ihr, dass man heute noch für einen Mädchenpferdefilm ins Kino geht? Die Jury versagte die Förderung. „Ostwind“ wurde trotzdem ein Hit und begründete einen Genre-Boom. Bei 500.000 Kinobesuchern hörte Müller auf zu zählen. „Eine klare Fehleinschätzung meinerseits.“

"Schwäche für epische Videospiele"

Was vor 31 Jahren mit Fokus auf Filmproduktionen begann, erweiterte die Stiftung unter Müllers Führung: Auf Wunsch der Politik, die NRW als Games-Standort Nr. 1 sehen wollte, fördert sie seit 2011 auch Videospiele. Das gefiel ehrlicherweise nicht jedem, der am Förderhahn mit dranhängt. Warum muss man eine boomende Industrie, die Geld ohne Ende macht, unterstützen? Petra Müller zog die Sache durch, ging eine Kooperation mit der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele ein und taufte die Filmstiftung in Film- und Medienstiftung um. Von den filmstiftungsgeförderten Projekten waren zuletzt die Vorschul-App „Fiete“, „Squirrel & Bär“ und „Omno“ besonders erfolgreich.

Und man darf sich überhaupt nicht vertun: Die Chefin höchstselbst ist bestens im Stoff. Ein Fachgespräch übers Zocken und Daddeln? Mit Petra Müller kein Problem. Den Controller nimmt sie auch privat gerne in die Hand, sofern es ihre 60-Stunden-Woche zulässt. Sie habe eine „Schwäche für epische Videospiele“, „Grand Theft“ oder „Read Dead Redemption“ sind ihre Favoriten, „starke Bilder, narrativ, fast filmisch“, schwärmt sie. Hin und wieder sucht sie sich auch einen der einschlägigen Let’s-Play-Kanäle und geht mit den Profis durch ein Spiel. Zu ihrem beruflichen Pflichtprogramm gehört ein Gang über die Gamescom, um die neusten Games in Augenschein zu nehmen. Im August, so Corona will, könnte es wieder möglich sein.

Die größte Power im Kreuz hat NRW indes nach wie vor dank der Show- und Entertainment-Industrie. Schon länger beschäftigte Petra Müller die Frage, warum es für solch ein wichtiges Medien-Genre wie die Unterhaltung, für das Millionen von Zuschauern täglich einschalten, keine Ausbildungsangebote gibt. Zumal die Nachfrage nach Shows steigt, aber Fachkräfte fehlen. Also machte sie sich 2019 mit Kölner Produzenten und Spezialisten der EMC Entertainment Masterclass auf den Weg, an der Internationalen Filmschule Köln (ifs), einer Tochtergesellschaft der Stiftung, den Studiengang Entertainment Producing ins Leben zu rufen. Die Leitung übernahm die frühere Netflix-Managerin Jennifer Mival. Im vorigen Herbst war Start für den Pionierjahrgang. Was Petra Müller an ersten Semesterarbeiten gesehen hat, sei „sehr vielversprechend“.

Petra Müller © Uwe Schaffmeister
Derzeit wird der Master durch die Filmstiftung bzw. durch Landesmittel für Aus- und Weiterbildung finanziert. Ihn in der „Entertainment-Hauptstadt Deutschlands“ zu ermöglichen, lag Petra Müller „sehr am Herzen“, wie sie wiederholt betont. Auch in Sachen Serienentwicklung und Fachkräfte gebe es noch einiges zu tun: „Ich bin guter Dinge, dass wir hier in nächster Zeit weiter vorankommen.“

Heißt: auch nach dem Wahltag 15. Mai.

Ob Wüst oder Kutschaty, ob weiter Schwarz-Gelb oder Rot-Grün oder ein anderes Farbenspiel – Petra Müllers Hoffnungen sind, dass das Budget der Filmstiftung, an der NRW einen 40-Prozent-Anteil hält, weiter steigt: „Wir hoffen sehr, dass sich das in der kommenden Legislaturperiode fortsetzt.“ Klagen über die vergangenen fünf Jahre hört man von ihr nicht, im Gegenteil. Schwarz-Gelb habe die „erfahrenen Beamtinnen und Beamten der Vorgänger“ gehalten, „insofern hatten wir es mit einer Regierung von hohem Sachverstand und großem Engagement zu tun“. So sei die Förderung für Serien, Games und Kino hochgesetzt worden, Corona-Hilfen kamen hinzu. „Das gab guten Rückenwind für unsere Arbeit und den Standort.“

Andere wiederum tauchen die Medienpolitik des Landes nicht in ganz so freundliches Licht. Als Schwarz-Gelb 2017 antrat, waren die Ambitionen groß. So sollte beispielsweise das Medienforum NRW zu neuer Blüte gebracht werden, nachdem Rot und Rot-Grün den Branchenkongress stetig geschrumpft hatten, sodass dessen inhaltliche Relevanz rapide sank. Doch schon im Jahr drauf kam das endgültige Aus. Und nicht wenige Kritiker meinen: Medienpolitisch bleibe NRW angesichts seiner Standortgröße und im Vergleich zu dem, was einst Wolfgang Clement (SPD) mit seinen „Hollywood am Rhein“-Plänen vorantrieb und aktuell im CSU-geführten Bayern passiert, unter seinen Möglichkeiten.

Ihre eigenen Möglichkeiten will und wird Petra Müller noch bis Dezember 2023 ausschöpfen. Kurz vor ihrem 66. Geburtstag läuft dann ihr aktueller Vertrag mit der Film- und Medienstiftung NRW aus. Was sie darüber hinaus vorhat, ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Aber man kann davon ausgehen: Einfach in den Ruhestand verschwinden, wird sie nicht. Das Ständige Sekretariat des Deutschen Fernsehpreises, das sie 1999 aufbaute, wird sie auch bis Turnusende 2024 noch leiten.

Der Rote Teppich bleibt also für Petra Müller noch eine Weile weiter ausgerollt.