So oft sich Wolfram Kons im Spot für den 27. RTL-Spendenmarathon im Rhönrad noch drehen mag – es dürfte schwerfallen, den Rekord vom vorigen Jahr „weiterzudrehen“. Stolze 23 Millionen Euro sammelte der Moderator samt den mithelfenden Promis für Kinder in Not damals ein. Die Flutkatastrophe öffnete die Portmonees. Inflation und Energiekrise könnten sie diesmal eher verschließen. Aber er wird schon einen Dreh finden, um die Spendenbereitschaft des RTL-Publikums zu erhöhen. Kons ist Charity-Profi.

Besser gesagt: Er ist die fleischgewordene Spendenbüchse im deutschen Fernsehen.

Seit „Mr. RTL“, der Österreicher Helmut Thoma, 1996 an ihn herantrat, bitt’schön, macht’s des, macht Kons. Aus einer Initiative der UNESCO wurde die RTL-Stiftung „Wir helfen Kindern e.V.“, deren oberster Projektleiter und Vorstand er ist. Jerry Lewis‘ berühmte Telethons (ein Kofferwort aus television und marathon) im US-Fernsehen standen Pate für das Hauptevent der Stiftung, das am kommenden Donnerstag um 18 Uhr auf RTL beginnt: Eine Nacht und einen Tag lang werden die Telefondrähte wieder glühen, stündlich angeheizt von den herzerwärmenden Worten des Moderators Wolfram Kons: Bitte helfen Sie!

Und ganz bestimmt wird er dann auch eine dieser Sammelbüchsen in die Kamera halten so wie jetzt ein paar Tage vor der Benefizsendung. Sie stehen immer griffbereit auf seinem Schreibtisch in der RTL-Zentrale. „Da können Sie auch jederzeit etwas reinwerfen“, ermuntert er sein Bildschirmgegenüber, „die Büchse schluckt übrigens auch Scheine.“

Profi halt.

Die längste Charity-Show im deutschen Fernsehen, für die RTL alle Jahre wieder im November Sendeminuten freiräumt, ist eine der seltenen Gelegenheiten, um Wolfram Kons auch mal zur Abendstunde wahrzunehmen. Denn 31 Jahre lang war er im Hauptberuf der Hallo-Wach-Mann bei „Guten Morgen Deutschland“. Seit März „ruht“ seine Aufgabe im Frühdienst, wie es offiziell heißt, damit er das gemeinnützige Engagement seines Senders „unterjährig“ ausbauen kann.

Wolfram Kons © RTL / Stefan Gregorowius
Ruhen? Da wurde beiderseitig ein Hintertürchen offengelassen, „weil du ja nie weißt, was passiert, im Fernsehen ist ja immer alles möglich“, erklärt Kons. Aber momentan stehe seine Rückkehr zum RTL-Morgenmagazin „absolut nicht zur Debatte“.

Das Rebranding zu „Punkt 6“, „Punkt 7“ und wie all die anderen „Punkte“ im RTL-Programm heißen, machte der Morgennewsveteran also nicht mehr mit. Er wollte nicht mehr. Vielleicht durfte er auch nicht mehr. So eindeutig lässt sich das nicht sagen. Den Neustart im hypermodernen Nachrichtenstudio nutzte er jedenfalls für den Absprung, und neue Kolleginnen und Kollegen sprangen dafür auf, die jünger sind als er mit seinen 58 Jahren (wenn auch zum Teil nicht unbedingt bedeutend jünger).

Und so darf sich Wolfram Kons seither um halb drei morgens noch mal umdrehen. Phantomschmerzen ohne das nächtliche Aufstehen verspüre er, ganz ehrlich, nicht. Erst im Nachhinein sei ihm aufgefallen: Wie konnte ich diese Doppelrolle so viele Jahre durchziehen? Erst Frühmoderation, danach die RTL-Stiftung? Wo kam die Zeit für zwei Jobs pro Tag her? Ganz einfach, sagt er: Er habe das 1 zu 1 vom Schlaf abgezogen. „Das war lange geschmeidig möglich, wenn du keine Kinder hast.“ Mit Wolfram junior und Leonard gibt es diese aber nun. Die möchte der späte Familienvater ganz gerne daheim in Neuss sehen. Und seine Frau natürlich auch.

Andererseits, noch ein gutes Jahr, dann hätte Wolfram Kons den Weltrekord eines Franzosen geknackt, der 33 Jahre das Frühstücksfernsehen in Frankreich und Kanada moderierte. Der Weltrekord wäre cool, aber am Ende nur eine Frage der Eitelkeit gewesen: „Muss nicht sein. Deutscher Rekordhalter ist doch auch ganz schön.“

Wie er zum Frühaufsteher wurde und überhaupt 1991 zu diesem aufstrebenden RTL kam, ist eine von ihm lustig erzählte Geschichte, gespickt mit vielen bekannten Namen, wie es überhaupt ein Vergnügen ist, Wolfram Kons durch den Anekdotenstrudel zu folgen.

Also: Fürs Jura-Studium zog der damals schon ziemlich aufgeweckte Neusser Abiturient nach München. Weil das Journalistengen in ihm steckte (Chefredakteur der Schülerzeitung, oho!) und sehr wahrscheinlich auch Geldsorgen drückten, jobbte er bei Helmut Markworts Radio Gong. Mit Freddy Kogel wechselte er sich in der Morningshow „Guten Morgen, München“ ab, während im Hintergrund ein Praktikant namens Bully Herbig unterstützte und eine gewisse Babsi Feltus, später verheiratete Barbara Becker, bei den Gewinnspielen Telefondienst schob. Mittags schlief sich der Student im Hörsaal aus, um nachmittags RTL-Reportagen zu drehen, Kohl am Wolfgangsee, die Nackerten im Englischen Garten. Bis in die Nacht hinein ging er in den Schnitt.

Schlaflos in München, das zahlte sich aus. Als Gorbi in Moskau gestürzt wurde und der Nachwuchsreporter sich meldete, hier, ich kann Russisch (nach einem Jahr Sprachunterricht an der Neusser Schule), flog er ohne Visum, aber mit einer Stange Duty-Free-Marlboros im Gepäck für die geschmeidige Grenzkontrolle Richtung Roter Platz. Was und wie er dort reportierte, muss ganz ordentlich gewesen sein. Der Rückflug ging nicht nach München, sondern nach Luxemburg, wo RTL damals stationiert war und der rasende Reporter auf eine echt harte Morgenmagazin-Truppe traf.

Als ob jemand eine Nebelgranate gezündet hätte, so vollgequalmt war der Raum, dass er unter den nonstop Zigarillos, Zigaretten und Pfeife Rauchenden kaum den Programmchef erkennen konnte. Mehr als dort bei ihnen hätte er aber nirgendwo sonst lernen können, erinnert sich Kons. Die Redaktion, die damals nicht nur rauchte, sondern auch politischer dachte, hatte in diesen noch sehr jungen Hüpfer, der er damals war, erstaunlich viel Vertrauen.

Das Thema Rauchen sollte ihn übrigens, trotz oder gerade wegen des Luxemburger Traumas, später noch einmal sehr beschäftigen. An Neujahr 2004 machte der RTL-Steh-auf-Mann, der als Teenager gelegentlich paffte, die RTL-Tochter ntv zum Nichtraucher-TV. In diesem Kippenspiel zündeten sich Werner Schulze-Erdel und fünf weitere Abhängige ihre allerletzte Zigarette an. Mangels Kooperationspartnern blieb es einzige TV-Gelegenheit, um die Last der Lust abzuschütteln.

Viel mehr andere Fernsehprojekte ließ die Morgenaufgabe bei RTL offenbar auch nicht zu. Mal ein „Domino Day“ hier, mal eine Staffel „Der Preis ist heiß“ reloaded da. Seit immerhin schon zehn Jahren hält sich zumindest in der Nische von ntv eine Nischensendung mit ihm, die seiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit verdient. So soll es sein:

Wolfram Kons © RTL / Stefan Gregorowius
Für „Inside Art“ lässt sich der mit einer Kunsthistorikerin verheiratete Fernsehjournalist von Künstlern (es waren zu seinem Bedauern bisher keine Künstlerinnen darunter) durch ihre Ateliers führen. Man soll erleben, wie Kunst entsteht, soll am TV fast die Farbe riechen können. Kons Erzählungen im Off haben dabei die Tiefe eines Wikipedia-Eintrags, aber das ist gewollt. Raus aus dem Elfenbeinturm, weg von der Art-Arroganz, das ist sein Ansatz. Sein ehemaliger WG-Mitbewohner Kai Böcking („Formel Eins“) kümmert sich um Produktion und Regie mit seiner Firma guttutgut. Zum Auftakt 2012 konnten die beiden in ihrer unfassbaren Bescheidenheit gleich mal Gerhard Richter gewinnen, was natürlich fortan schwer zu toppen war.

Zu jeder Doku wird zudem eine Kunst-Edition des jeweiligen Künstlers verkauft. Manche Sachen laufen, andere laufen gar nicht. Unterm Strich, glaubt Kons, sei das für ntv „ein ganz schönes Geschäftsmodell, jenseits der normalen Werbeerlöse zusätzliche Einnahmen generieren zu können“.

Womit wir wieder beim Geld wären.

Fast eine Viertelmilliarde Euro an Spenden hat die von Wolfram Kons als Charity-Gesamtleiter mit verantwortete RTL-Stiftung über die Jahre zusammengetragen. Stets mit dem Versprechen: Jeder Cent kommt an.

Wirklich jeder?

Vor einigen Jahren gab es eine Unregelmäßigkeit. „Spendenshow im Beluga-Sog“ titelte die „taz“. Laut Kons kam es nur ein einziges Mal vor, dass „eine zusätzliche externe Zusage für ein konkretes Projekt nicht eingehalten wurde“. Der studierte Jurist, der da sehr genau ist, hat das extra noch mal in den Akten nachgelesen. Das Projekt sei trotzdem umgesetzt worden, die Kinder wurden wie geplant versorgt. „Da ist kein einziger Euro der gespendeten Gelder verloren gegangen. Wir haben das Kinderheim in Thailand gebaut.“

Wenn er über seine Stiftungsarbeit spricht, merkt man: Es ist ihm eine Herzensangelegenheit, Menschen über das RTL-Guttun hinaus zum Helfen anzuregen. „Alles zählt, was von Herzen für Kinder getan wird.“ Sätzelang könnte man ihn noch weiter zitieren, auch welche Hilfsprojekte sein Verein schon realisiert hat. Man kann das aber auch hier nachlesen – wo noch immer der inzwischen geschasste CEO Stephan Schäfer als Vorstandsvorsitzender der RTL-Stiftung aufgelistet ist.

Hilfe für Kinder soll noch sichtbarer werden

Kons zufolge hat Thomas Rabe, der aktuelle Oberboss und ein „echter Philantrop“, die feste Absicht, den Stiftungsvorsitz zu übernehmen. Die nächste Wahl kommt in wenigen Tagen, noch vor oder nach dem Spendenmarathon, dem Rabe beim Zieleinlauf am Freitagabend beiwohnen wird. Dem „ausdrücklichen Wunsch“ seines Hauses, mit neuen Formaten das Thema Hilfe für Kinder das ganze Jahr über noch sichtbarer zu machen als nur über die Spendenshow und die Magazin-Rubrik „Kons packt an“, konnte Kons derweil noch nicht nachkommen. Die Ukraine-Hilfe hat ihn seit dem 24. Februar so sehr beschäftigt, dass er in diesem Jahr so viel zu tun hatte wie noch nie, obwohl er keine tägliche Sendung mehr hat.

Allein so ein Spendenmarathon muss ja auch gut vorbereitet werden. Vielleicht auch mit einer Mütze Schlaf vorab. Mehr als 24 Stunden on Air – da dreht man doch irgendwann am Rad, oder, Herr Kons?

Auch wenn man es ihm nicht ansehe: „Ich bin Marathonläufer – man nennt mich auch der weiße Kenianer“, scherzt Kons. Mit Marathons kenne er sich aus. In Berlin, New York, Palma, Köln, überall ist er schon die 42 Kilometer gelaufen. Daher weiß er: „Auch beim Spendenmarathon darfst du dein Mindset nicht auf Sprint einstellen. Am Anfang nicht zu viel Power verballern, sonst schaffst du es nicht ins Ziel. Und wenn du selbst bei den Projekten warst und die Kinder persönlich kennst, um die es geht, dann weißt du, wofür du das tust.“

Und so wird Wolfram Kons am Donnerstag wieder eine Nacht und einen Tag lang die Zähne zusammenbeißen, auf dass sich was dreht.