Diese Telegeschichte beginnt am 23. April 2001. An diesem Tag stellt der Frauensender tm3 unter dem Slogan "So live wie das Leben" sein bisheriges Programm schlagartig um und nimmt darin eine tägliche 13-stündige Live-Schiene aus Quiz- und Spielshows auf. Die neuen Formate verbindet jeweils ein simples Konzept und die Möglichkeit für das Publikum, sich per Telefon beteiligen zu können. Die Refinanzierung erfolgt nämlich nicht durch Werbespots, sondern in erster Linie über die Telefongebühren der Anrufenden. Dazu schlägt jeder Anruf über die 0190er-Nummer mit stolzen 96 Pfennig zu Buche - selbst wenn dieser nicht ins Studio durchgestellt wird.

Christiane zu Salm © IMAGO / Sven Simon Christiane zu Salm beim Pressetermin zum 9Live-Start
"Transaktionsfernsehen" wird dieses Geschäftsmodell bald genannt werden. Und es wird um sich greifen und alle großen TV-Anbieter infizieren. Erste Testläufe waren bei der Konkurrenz von RTL II im Vormittags- und Nachtprogramm vielversprechend verlaufen, sodass die Verantwortlichen der ProSiebenSat.1 Media AG beschlossen, nun einen ganzen Sender auf diese Art bewirtschaften zu wollen. Für diesen Zweck übernahm der Konzern vom Medienmogul Rupert Murdoch nach einer Anteilsrochade den kleinen Spartenkanal tm3 und setzte die ehemalige Chefin von MTV Deutschland, Christiane zu Salm, als neue Geschäftsführerin ein. Ihr Auftrag bestand darin, die unrentable Station gänzlich auf das unkonventionelle Geschäftsmodell auszurichten, sodass perspektivisch ein Betrieb komplett ohne Werbeeinnahmen erreicht wird. Dies führt im September 2001 letztlich zur Umbenennung von tm3 in 9Live.

Viel ist danach über den "Mitmachsender" geschrieben und geschimpft worden: Über die banalen Rätsel, über die endlosen Gewinnrunden mit ihren teilweise abstrusen Lösungen, über die ehemaligen "Big Brother"-Teilnehmenden, die dort das Publikum animierten, über die verbalen Ausfälle mancher Moderator:innen, über Vorwürfe des Betrugs und über die Beschwerden der Landesmedienanstalten. 9Live brachte aber auch einige wenige Sendungen hervor, die sich vom ewig gleichen Schema abhoben. Sendungen, die sich jenseits vom Hot Button, von Geldpaketen und von "Automarken mit A" bewegten. Sendungen, in denen nicht über fünf Stunden "Tiere mit genau einem H" gesucht wurden. Sendungen, in denen bekannte TV-Gesichter, die vor allem in den 1990er-Jahren aktiv waren, zurück vor die Kamera kehrten und auf ein großes Comeback hofften.

"Greif an" – Der Bingo-Mann geht um

Am 2. Juli 2001 trat mit Wolf-Dieter Herrmann ein wahrer Pionier des Privatfernsehens seinen Dienst bei tm3 an. Er hatte zuvor beim Start von Sat.1 am 1. Januar 1984 die allerersten Zuschauerinnen und Zuschauer des ersten deutschen Privatsenders begrüßt und im Anschluss viele kleine Formate im anfänglichen Programmdurcheinander präsentiert. Ab 1987 übernahm er dann die Moderation von "Guten Morgen mit Sat.1", dem Vorgänger des heutigen "Sat.1 Frühstücksfernsehens". In der dreistündigen Live-Sendung machte er insbesondere durch die lockeren und zugleich fundierten Gespräche mit seinen Gästen aus Unterhaltung, Service und Politik auf sich aufmerksam. Als die Leitung von Sat.1 im November 1990 beschloss, samt "Frühstücksfernsehen" nach Berlin zu ziehen, entschied Herrmann, seinen damaligen Wohnsitz in Bremen nicht aufgeben zu wollen und kündigte. Später bezeichnete er diesen Schritt als "eine glatte Fehlentscheidung", über die er sich bis heute ärgern würde.

Als Ersatz übernahm er für 525 Ausgaben die Vorabend-Gameshow "Bingo", die das gleichnamige Gesellschaftsspiel mit einem Quiz wie "Jeopardy!" kombinierte. Ab Januar 1993 leitete er kurz nach der Premiere von "Hans Meiser" den zweiten Daily Talk nach amerikanischem Vorbild im deutschen Fernsehen. Zur Mittagszeit überlebte die Show mit dem schlichten Titel "Herrmann" trotz guter Kritiken und Quoten allerdings lediglich zwei Monate. Mit ihr nahm er endgültig Abschied von seiner langjährigen Heimat Sat.1. Nach kurzer Pause wechselte er zu Deutsche Welle TV, wo er ab 1995 im täglichen Magazin "Boulevard Deutschland" endlich wieder auf den Spuren seines geliebten "Frühstücksfernsehens" wandeln durfte.

Ohne Zweifel führte Wolf-Dieter Herrmann durch jedes Format stets professionell, stets souverän und stets gut vorbereitet. Er war aber auch immer ein bisschen zu gut gelaunt, eine Spur zu förmlich, einen Hauch zu anbiedernd, ein Quäntchen zu ungelenk, eine Idee zu redselig und er gestikulierte immer etwas zu viel umher. Alles nur ein bisschen, aber trotzdem immer zu viel. In den späten 90ern, in denen alles grell, schnell, frech und provokant sein musste, wirkte dieser Stil irgendwann aus der Zeit gefallen. Neue Angebote ließen für den ehemaligen "Bingo-Mann" (Zitat aus dem "Tagesspiegel") lang auf sich warten, bis ihm Christiane zu Salm das Kernstück ihrer ersten Programmoffensive bei tm3 anvertraute: Ein Quiz zur Primetime.

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"Greif an" war offensichtlich an den gerade grassierenden Quiz-Boom angelehnt, den "Wer wird Millionär?" und dessen Nachahmer ausgelöst hatten. Herrmanns Variante verfügte aber bloß über einen Bruchteil des Budgets der Jauch-Show, sodass er ohne Millionengewinne, ohne aufwendige Kulissen, ohne eindrucksvolle Lichteffekte, ohne opulente Musikbetten und ohne Publikum auskommen musste. Von montags bis samstags begrüßte er in jeder Episode sechs Teilnehmende, die zuerst in einer Auswahlrunde gegeneinander antraten. Wer sich hierbei durchsetzte, musste im Anschluss das jeweils erspielte Geld in Wissensduellen gegen Anrufende verteidigen. Gelang die Verteidigung, konnte das Spiel entweder beendet und der Betrag ausbezahlt oder die Gewinnsumme in einer weiteren Runde erhöht werden. Entschieden die Telefonkandidat:innen das Duell für sich, stahlen sie das bisher erkämpfte Geld und die Spieler:innen im Studio gingen leer aus. Auf diese Weise konnte eine maximale Summe von 100.000 DM erreicht werden – zumindest theoretisch. Natürlich kam es dazu nie. Und natürlich kostete auch hier jeder Anruf den obligatorischen Obolus von 96 Pfennig.

Was auf dem Papier nach einem spannenden Konzept klingen mochte, entpuppte sich in der Umsetzung als eine zähe Angelegenheit. Die Fragen waren zu einfach, um wirkliche Spannung erzeugen zu können und der Ablauf wurde wie überall bei tm3 bzw. 9Live unausstehlich in die Länge gezogen. In den ewig wirkenden Pausen ergoss sich Herrmann in endlosen Monologen und schritt hölzern durch das winzige Studio. Sechs Mal in der Woche schleppte sich das Quiz auf diese Weise über seine zweistündige Laufzeit. Das sah die Redaktion der "Zeit" damals ähnlich, die "Greif an" folgendermaßen beschrieb: "Der Moderator quakt wie ein digitaler Anrufbeantworter. Der Kandidat ist von den Quizfragen gelangweilt. Und im Hintergrund sitzen fünf Personen ohne Funktion."

Obwohl die Marktanteile zur besten Sendezeit mit 0,3 Prozent im Vergleich zum ursprünglichen Line-Up von tm3 auf ein Drittel zurückgingen, entwickelte sich die Show schnell zu einem der lukrativsten Formate, das in der Spitze bis zu 180.000 Anrufe an einem Abend zählte. Dennoch blieb Herrmann nur rund sechs Monate. Wegen Honorardifferenzen wurde sein Vertrag angeblich nicht verlängert.

Alida Kurras © IMAGO / Horst Galuschka
Seinen Job übernahm am 02. Februar 2002 die "Big Brother"-Siegerin Alida Kurras, für die dies der erste Auftritt beim Mitmachsender war, dem sie bis zur Abschaltung treu blieb. Zu ihrer Premiere brachte sie gleich eine Handvoll weiterer ehemaliger "Big Brother"-Bewohner:innen mit und erzielte damit prompt eine Rekordquote sowie Rekordanrufzahlen.

Für Wolf-Dieter Herrmann läutete das kurze Intermezzo bei "Greif an" das endgültige Ende seiner Fernsehkarriere ein. Zwar war er danach noch eine Weile medial aktiv - er leitete das ambitionierte Nachrichtenjournal des Berliner Regionalsenders FAB, präsentierte zehn Wochen lang die Morgenshow beim frisch gegründeten "Radio Paloma" und gründete ein Videoportal mit lokalen Nachrichten aus Potsdam - eine Rückkehr vor deutschlandweite TV-Kameras blieb ihm seit 9Live jedoch verwehrt.

"9Live Tanzmarathon" – Der "Herr der Möpse" lässt bitten

Im Mai 2002 vermeldete die Presseabteilung von 9Live euphorisch, dass man mit 17,2 Millionen Anrufen im Monat erstmals operative Gewinne erzielen konnte. Das gelang sogar ein Jahr früher als eigentlich anvisiert. Einen Beitrag zu diesem Meilenstein leistete auch ein bizarres Event, das ab dem 30. April das Programm für sieben Wochen beherrschen sollte. Im NOB Studio 6 in Hürth und damit in direkter Nachbarschaft zum "Big Brother"-Container veranstaltete der Sender mit dem "9Live Tanzmarathon" seine eigene groteske Variante einer Real-Life-Show. Ihr Titel offenbarte eigentlich schon das ganze Konzept: Zehn Paare tanzten darin rund um die Uhr und so lang wie möglich. Das Paar, das am längsten durchhielt, gewann am Ende 100.000 DM. Mindestens 19 Stunden pro Tag mussten die Kontrahent:innen dafür in Bewegung bleiben. Die restlichen Zeiten durften sie für Schlaf oder menschliche Bedürfnisse nutzen.

Live-Berichte vom Dauertanzen gab es dann bis zum 22. Juni von montags bis samstags jeden Abend ab 20:00 Uhr für je vier Stunden. Sie umfassten auch die Highlights des vergangenen Tages. Wirklich getanzt wurde aber meist bloß während der Live-Übertragungen. Schließlich genügte es, zu taumeln oder auf der Stelle zu treten, um nicht disqualifiziert zu werden. Und wer wollte den Tänzer:innen das Kräftesparen verübeln, die bis zu zwei Wochen durchhielten und einer permanenten Beschallung von lauter Tanzmusik ausgesetzt waren? Aus diesem Grund gerieten die Tageszusammenfassungen oft unspektakulär und zeigten vor allem erschöpfte Menschen. Um wenigstens etwas Abwechslung im eintönigen Geschlurfe zu erzwingen, gab es regelmäßig Auftritte von Musikschaffenden wie Jürgen Drews sowie Derby-Runden, in denen die Paare in kurzen sportlichen Wettkämpfen (z. B. Powerwalking) zusätzlich miteinander wetteifern mussten. Selbstverständlich durften auch die lukrativen Call-In-Elemente nicht fehlen, die mal als obligatorische Quizrunden umgesetzt waren und mal als Publikumsabstimmungen, mit der beispielsweise ein Paar vor Sonderaufgaben bewahrt werden konnte.

Hugo Egon Balder © IMAGO / Horst Galuschka
Für das eigentümliche Treiben konnte mit Hugo Egon Balder ein bekannter Name gewonnen werden, der bislang aber nicht gerade durch seine Begeisterung fürs Tanzen aufgefallen war. Balder erlangte zu Beginn der 90er-Jahre bei RTLplus (später RTL Television) insbesondere durch die infantilen Tortenschlachten in "Alles Nichts Oder!" und durch die frivole Nackidei-Parade "Tutti Frutti" als "Herr der Möpse" große Popularität. Danach wechselte er ab 1993 hinter die Kamera und konzentrierte sich auf das Produzieren von Unterhaltungsshows, unter denen "RTL Samstag Nacht" die bekannteste war. Lässt man seine Auftritte in der kurzlebigen Reihe "TV-Quartett" außer Acht, die lediglich im Lokalfernsehen zu sehen waren, stellte das Engagement beim "Tanzmarathon" seine Rückkehr nach rund zehn Jahren Moderationsabstinenz dar. Dass er für sein Comeback ausgerechnet 9Live auswählte, war gewollt. Gegenüber dem Spiegel erklärte er, mal wieder üben zu wollen, im Rampenlicht zu stehen. Und "das geht am besten bei einer Sendung, die niemand guckt."

Wie recht er mit diesem Satz hatte: Die Reichweiten verharrten - wie oft bei 9Live - meist knapp im messbaren Bereich. Trotzdem stellte sich der Job für ihn als lukrativ heraus. Für die Herstellung des "Tanzmarathons" war nämlich Marc Schubert und seine Firma Hurricane Fernsehproduktion GmbH verantwortlich. Mit ihr setzte Balder ab 2003 auch seine neue Comedyshow "Genial daneben" um, die für Sat.1 ein enormer Erfolg wurde und Balder zurück an die Spitze der TV-Branche katapultierte. Es folgten das Musikranking "Die Hit-Giganten", Events wie das Promi-Brettspielen, das Promi-Schiffe-versenken, das Promi-Minigolfen, das Promi-Skifahren, das Promi-Grillen, das Promi-Rummeln, das Promi-Flaschendrehen und bis heute ganz viel "Genial daneben" in unterschiedlichen Varianten.

"Glücksrad" – Back To Billig

Marcus Wolter © IMAGO / Stefan M Prager Damals 9Live, heute Banijay: Marcus Wolter
Marcus Wolter, der Entdecker und lange Weggefährte von Stefan Raab, war Ende 2001 von Christiane zu Salm zu 9Live geholt worden und dort mittlerweile zum Geschäftsführer und Programmdirektor aufgestiegen. Er versprach am 26. Februar 2004 auf einem Pressetermin, mit der künftigen Verbannung aller noch verbliebenen Serien und Dokus die Neuausrichtung des Senders zu vollenden. Schließlich wäre Quizzen längst "zum Volkssport geworden". Gleichzeitig kündigte er fünf Formate an, die für frische Impulse sorgen und das anhaltende Wachstum verstetigen sollten. Darunter sorgte die geplante Rückkehr der legendären Spielshow "Glücksrad" für die meiste Aufmerksamkeit. Sie war ab 01. März werktags um 18.00 Uhr zu sehen und wollte an ihre glanzvollen Zeiten in den 1990ern bei Sat.1 anknüpfen.

Dafür war es Wolter gelungen, mit Frederic Meisner einen der originalen Moderatoren zu gewinnen. Dieser hatte anfangs ebenfalls durch das vorherige Remake bei kabel eins geführt, wurde dann aber durch Thomas Ohrner ersetzt. Für 9Live ließ sich Meisner überreden, an seine alte Wirkungsstätte zurückzukehren. Wohl auch, weil man ihm zugesichert hatte, innerhalb der Sendung gänzlich auf die typischen Call-In-Aufgaben verzichten und sich in der Umsetzung an den Anfängen der Show orientieren zu wollen. Daher beschränkte sich der Ablauf wieder auf drei Spiel- und eine Bonusrunde. Sämtliche andere im Laufe der Jahre erprobten Spiele blieben außen vor. Außerdem kam nach der zuletzt genutzten digitalen Ratewand wieder ein analoger Aufbau zum Einsatz, bei dem die Buchstaben händisch umzudrehen waren.

Was nach außen als "Back To Basic"-Ansatz verkauft wurde, war in Wahrheit eine euphemistische Verschleierung des Umstands, dass die neue Version mit einem sehr schmalen Budget umgesetzt werden musste und deshalb in dieser reduzierten Form zurückkehrte. Der Sparzwang war dem Resultat anzusehen, das in einem kargen Studio ohne bunte Kulissen, ohne Publikum, ohne Gewinnpaletten und ohne jeglichen Glanz daherkam. Einen wesentlichen Beitrag zur Refinanzierung trug zudem ein Unternehmen zur Vermittlung von Lotterielosverkäufen bei, das mehrfach erwähnt werden musste.

An Meisners Seite drehte jetzt Ramona Drews die Buchstaben um. Sie war davor vor allem als blonde, großbusige und freizügige Ehefrau des Schlagersängers Jürgen Drews medial aufgefallen. Ihrem Image entsprechend trat sie beim "Glücksrad" ausschließlich in figurbetonten und aufreizenden Outfits auf und musste sich einzig auf ihr Aussehen reduzieren lassen. Dennoch prahlte man vorab damit, dass sie die erste sprechende Buchstabenfee in der Geschichte sein werde. Zwar hatten schon ihre Vorgängerinnen Maren Gilzer, Sonya Kraus und Katrin Wrobel im Laufe der Jahre kurze Redeanteile erhalten, doch Drews durfte nun vor jedem Rätsel die jeweilige Kategorie mit zwei Sätzen einleiten. Das gelang ihr selten unfallfrei und erinnerte an die sympathischen Textstolpereien von Verona Feldbusch bei "Peep!".

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All diese Unzulänglichkeiten ließ sich Frederic Meisner nie anmerken und absolvierte die halbstündigen Ausgaben charmant und würdevoll wie eh und je. Wie er später in einem Interview allerdings zugab, war er bereits vor Beginn der Produktion skeptisch gewesen, ob das Vorhaben unter diesen Bedingungen gelingen könne. Darum hätte er zunächst nur eine Übernahme von 100 Episoden zugesagt. Schnell merkte er, dass seine Bedenken gerechtfertigt waren: "Nach den ersten zehn Folgen wollte ich schon das Handtuch werfen, weil es einfach billig produziert war. Das war auch der Grund, warum ich aufgehört habe. Es war einfach schade um die Sendung." So endete die Neuauflage des "Glücksrads" bei 9Live nach den vereinbarten 100 Ausgaben, die noch zigmal wiederholt wurden.

Sein endgültiger Ausstieg der Gameshow stellte eine Zäsur für Meisners Fernsehkarriere dar, denn diese fand nur noch vor einem winzigen Publikum statt. Etwa im Pay-TV beim Schlagersender Goldstar TV oder bei der wenig beachteten Dokusoap "Old Guys On Tour", in der er für Tele 5 mit seinen alten TV-Kollegen Jörg Draeger, Björn-Hergen Schimpf und Harry Wijnvoord den Jakobsweg bezwang. An den späteren Remakes vom "Glücksrad" bei RTLplus und RTLzwei war Meisner nicht mehr beteiligt.

"Schreinemakers 01805 - 100 232" – Mit der "Heulsuse der Nation" im Stubenarrest

Parallel zur Absetzung des "Glücksrads" begannen die Anrufzahlen und Umsätze von 9Live zu stagnieren. Nicht zuletzt, weil die Verzögerungstaktiken in den Spielen immer aggressiver gerieten und nach vermehrten Betrugsvorwürfen das Geschäftsmodell von den Aufsichtsbehörden stärker reglementiert wurde. Es zeichnete sich ab, dass das "Transaktionsfernsehen" seinen Zenit erreicht hatte und auf lange Sicht andere Möglichkeiten für die Finanzierung nötig werden.

Bild: 9Live © 9Live
Vor diesem Hintergrund kündigte der Kanal im November 2007 selbstbewusst an, zum Jahresbeginn das neue Programmfenster "Neun TV" für frauenaffine Inhalte schaffen zu wollen. Der ehemalige Frauensender tm3 wurde somit einst gekapert, um auf denselben Frequenzen abermals ein Angebot zu zeigen, das sich zu "der Frauen-Adresse im deutschen Free-TV" entwickeln sollte. Die tägliche dreistündige Strecke am Vorabend wollte klassisches Fernsehen ohne Gewinnspiele liefern und sich über Werbeeinblendungen finanzieren. Dies sollte zunächst durch die Übernahme der alten Telenovelas "Juanita ist Single" und "Verliebt in Berlin" gelingen. Hier bediente man sich schlicht im Archiv des Mutterkonzerns der ProSiebenSat.1 Media AG.

Bereits zum Auftakt stellte man in Aussicht, die Serien im kommenden Frühjahr um ein "hochwertiges, interaktives Live-Magazin" zu ergänzen, das erneut "keine Interaktion im Sinne von 9Live" umfassen werde. Stattdessen sollte die Reihe Gespräche mit Experten und Service-Beiträge anbieten und die Marke auch auf das Internet ausweiten. Was sich anfangs noch als kryptisches Vorhaben las, entpuppte sich bald als Vehikel für das verzweifelte Comeback von Margarethe Schreinemakers.

Zu Beginn der 1990er Jahre erreichte ihr Magazin "Schreinemakers Live" in Sat.1 regelmäßig sechs Millionen Zuschauende und machte sie zur erfolgreichsten Frau des deutschen Fernsehens. Die große Anteilnahme für die Schicksale ihrer Gäste war ihr Markenzeichen und brachte ihr bald den Beinamen "Heulsuse der Nation" ein. Nach einer öffentlichen Auseinandersetzung über ihre Steuerzahlungen und einem Wechsel zum Konkurrenten RTL, ließ Schreinemakers Popularität ab 1996 deutlich nach und sie verschwand von der Bühne. Erst rund vier Jahre später kehrte sie im Jahr 2001 als Moderatorin des zweifelhaften Reality-Projekts "Big Diet" auf den Bildschirm zurück, wurde jedoch nach drei Wochen durch Jenny Elvers ersetzt. Drei weitere Jahre später scheiterte sie zudem mit einem täglichen Magazin im Nachmittagsprogramm des Ersten.

Foto: 9Live/Claudia Kempf © 9Live/Claudia Kempf
Jetzt also stand der nächste Neubeginn bei 9Live an. Ausgerechnet mit einer Idee, die schon in der Beschreibung schwammig, überladen und überholt klang. Schreinemakers wollte darin aktuelle und gesellschaftlich-relevante Themen aufgreifen und mit Prominenten plaudern. Sie wollte Gäste im Studio begrüßen und mit Zuschauenden am Telefon sprechen. Sie wollte eine Partnerbörse anbieten, Lebenshilfe mit Expert:innen leisten und auch noch Jobs vermitteln. Für all das sollte ein Telefon-System namens "Chathouse" die Grundlage bilden, das verschiedene Anrufende zusammenbringen konnte und sogar jenseits der Ausstrahlungen erreichbar war.

Auf einem Pressetermin im Vorfeld ihrer Show gab sie zu, "wie eine Blöde rumgelaufen" zu sein, um andere Sender von ihrem Konzept einer anrufbaren Onlineplattform zur Lebensberatung und Partnervermittlung zu überzeugen. Man ahnt, warum ihr dies nicht gelang. Dass 9Live überhaupt zusagte, lag nicht zuletzt darin begründet, dass Schreinemakers die Produktion in Eigenverantwortung umsetzte und zu einem minimalen Budget anbot. Machbar war dies, weil ihre Plauderstunde aus einem kleinen Studio kam, das sie extra dafür im Obergeschoss ihres eigenen Wohnhauses einrichten ließ. Genau dorthin lud sie vor dem Start über 50 Journalisten und Fotograf:innen ein, denen sie von ihrer anstehenden Reise in ein neues Fernsehzeitalter vorschwärmte. Es sollte ja ihre Rückkehr auf die große Fernsehbühne werden. Grund zum Optimismus bestand allein deswegen, da auf 9Live quasi kein Quotendruck existierte: "Auf unserem Sendeplatz sind keine Zuschauer. Da kann es nur besser werden." Was konnte also schiefgehen?

Am Freitag, den 25. April 2008 um 18.45 Uhr ging "Schreinemakers 01805 - 100 232" bei Neun TV erstmals auf Sendung. Im Auftakt sprach sie unter anderem mit dem Beziehungsexperten Dr. Manuel Tusch über die hohe Scheidungsrate und mit Mareike Amado über Untreue, die - welch ein Zufall – zu diesem Thema gerade ein Buch geschrieben hatte, das sie nun fleißig anpreisen konnte. Die Anrufenden vermochten kaum sinnvolle Beiträge zu leisten und das Chatkarussell wirkte eher irritierend. Es verwunderte daher kaum, dass all der medialen Aufmerksamkeit zum Trotz nur etwa 20.000 Zuschauende Interesse an Schreinemakers Wiederkehr zeigten. Vorsorglich hatte 9Live auf Werbeunterbrechungen verzichtet.

Schreinemakers bei 9Live © 9Live
In den kommenden Wochen verbesserte sich die Situation kaum, die Marktanteile verharrten hoffnungslos knapp über dem messbaren Bereich – zuweilen darunter. Gleichwohl ließen die Verantwortlichen von 9Live gebetsmühlenartig mitteilen, dass man mit der Sendung zufrieden sei. Ein solches nicht-herkömmliches Format brauche Zeit, um sich zu etablieren. Was man als Kommunikationsstelle in solchen Fällen eben so sagt.

Die Treuschwüre wurden abermals erneuert, als sich Schreinemakers Ende Juni 2008 in ihre geplante Sommerpause verabschiedete. Demnach wäre von beiden Seiten eine Rückkehr am 05. September fest eingeplant gewesen. In der Zwischenzeit füllte die Reihe "Neun TV - Die Woche" den Slot am freitäglichen Vorabend mit Wiederholungen von Beiträgen aus Magazinen von ProSieben und Sat.1. Als das recycelte Material den Marktanteil verdoppeln konnte, drehte sich der Wind schnell. Im Juli musste Schreinemakers dann selbst das Ende ihrer Show verkünden: "Die Quote ist leider nicht so, wie wir sie uns alle erhofft haben", gab die Moderatorin gegenüber der "Bild"-Zeitung als Rechtfertigung für die Einstellung an. Die letzte Ausgabe vor der Sommerpause bildete das Schlusskapitel von Schreinemakers Fernsehkarriere, die sich danach (auch aus gesundheitlichen Gründen) endgültig aus der Öffentlichkeit und der Branche zurückzog.

Drei Mal Flop und einmal Top

Auch ohne Margarethe Schreinemakers blieb "Neun TV" ein Ladenhüter, dem es nie gelang, ein relevantes Publikum dauerhaft zu adressieren. In der Folge wurde das einst ambitionierte Fenster immer weiter zusammengeschrumpft und zeitlich mehrfach verschoben. Die Erprobung von "flexiblen Timeslots" nannte die Presseabteilung diese verzweifelten Rettungsversuche. Die Einstellung im Oktober 2009 blieb weitestgehend unbemerkt, da dort ohnehin einzig noch Wiederholungen von "Kommissar Rex" liefen.

Zu diesem Zeitpunkt lag der Muttersender 9Live schon angezählt am Boden. Die Umsätze schrumpften dramatisch und all die Hoffnungen auf das alternative Finanzierungsmodell waren längst verflogen. Am 31. Mai 2011 verschwanden schließlich sämtliche Quizsendungen und wurden durch Teleshopping- und Astro-Angebote sowie durch Wiederholungen von Serien aus dem ProSiebenSat.1-Archiv ersetzt, bevor am 09. August endgültig alle Lichter bei 9Live ausgingen. Ironischerweise übernahm die Frequenzen mit sixx ein Kanal, der sich wie davor tm3 und "Neun TV" wieder an Frauen richtete.

Mit Wolf-Dieter Herrmann, Frederic Meisner und Margarethe Schreinemakers läutete gleich bei drei ehemaligen Sat.1-Gesichtern die Verpflichtung für 9Live das Ende ihrer TV-Karriere ein. Allein dem einstigen RTL-Star Hugo Egon Balder gelang nach einem Job bei 9Live ein beeindruckender Neuanfang. Und das ausgerechnet in Sat.1.

In seiner zehnjährigen Geschichte veranstaltete der Mitmachsender übrigens zwei Boxkämpfe, in denen die hauseigenen Moderatoren Jürgen Milski und Norman Magolei gegen den ehemaligen Profi René Weller antraten und jämmerlich verloren. Zuvor hatte Milski vor laufenden Kameras Weller derart beleidigt, dass sich dieser mit seinen Fäusten rächen wollte. Das allerdings ist eine ganz andere Telegeschichte.