Vorurteil der Woche: Spartensender sorgen für eine völlig neue Serienvielfalt im deutschen Fernsehen.

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Wissen Sie noch, was das für ein Gefühl war, damals im April 2012, als das Serien-Schlaraffenland für kurze Zeit in greifbarer Nähe schien? Die Mediengruppe RTL hatte gerade ihren Free-TV-Ableger RTL Nitro an den Start gebracht, und was der zu bieten hatte, klang fantastisch: einen Platz für Serien, die bei den großen Kanälen nie eine Chance bekommen würden, weil sie nicht Mainstream-kompatibel schienen. Anderthalb Jahre danach folgte der Nitro-Herausforderer ProSieben Maxx – und vorübergehend war man bereit, sich doch noch mit dem deutschen Fernsehen zu versöhnen, weil die Privatsender endlich das Potenzial der Nische erkannt hatten. Und Inhalte zeigen wollten, die viele Zuschauer bis dahin nur per DVD-Import oder auf unseriösen Wegen im Netz anschauten.

Plötzlich liefen "Nurse Jackie", "Modern Family" und "Episodes" einfach so im Fernsehen. Als Free-TV-Premiere! Im Originalton! Und zur allerbesten Sendezeit!

ProSieben Maxx, RTL Nitro, Sat.1 Gold© ProSieben/RTL/Sat.1/DWDL

Leider hat sich das im Nachhinein als Irrtum herausgestellt (siehe auch "Vorurteil" vom Februar). Und ausnahmsweise sind nicht die Sender daran schuld. Schließlich lieferten RTL Nitro und ProSieben Maxx anfangs exakt das, was sie versprochen hatten. Bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass viele Zuschauer gar nicht so scharf darauf waren, all die verheißungsvollen neuen Serien aus dem Ausland einzuschalten. Sondern viel lieber das, was sie schon kennen.

So ist es dazu gekommen, dass die großen Hits in der Sparte nicht "House of Cards" und "Homeland" heißen. Sondern "Knight Rider", "Matlock" und "Alf". Das ist nicht schlimm. Aber doch ein bisschen überraschend.

Knight Rider© RTL

Natürlich haben die großen Sender in den zurückliegenden Jahren zuhauf die Erfahrung gemacht, dass ein Großteil des Publikums es eher als lästig empfindet, neue Sendungen im Programm zugemutet zu bekommen. Ein Stück weit sind die Programmplaner selbst daran schuld, immerhin haben sie ihre Zuschauer dazu erzogen, Fernsehen als Gewohnheitsmedium zu nutzen – und nicht als eines, von dem man sich überraschen lässt, wie es bei den Niederländern und den Briten der Fall ist. Erstaunlicherweise gilt ist diese Regel auch für Kleinstsender.

RTL Nitro und ProSieben Maxx hätten ja tatsächlich Programme für eine Minizielgruppe sein können, die sich nach mehr Abwechslung im Fernsehen sehnt. Offensichtlich ist die Minizielgruppe derjenigen, die sich nicht nach Abwechslung sehnt, aber noch größer. Und deshalb lukrativer zu vermarkten.

Sämtliche Neugründungen der beiden großen Privatsendergruppen in den vergangenen zwei Jahren sind schneller gewachsen als gedacht. RTL Nitro kam im März schon auf 1,5 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern; ProSieben Maxx holt ein halbes Jahr nach dem Start 0,8 Prozent. Diese Erfolge wollen die Verantwortlichen in Köln und Unterföhring keinesfalls mehr riskieren, indem sie das Publikum in langwierigen Gewöhnungsprozessen an neue Serien heranführen.

Stattdessen laufen bei Nitro nachmittags Klassiker von "Kojak" bis "Simon & Simon", am Wochenende zur besten Sendezeit "Alarm für Cobra 11" und "CSI", "CSI: Miami" und "CSI: New York". Mittwochs zeigt ProSieben Maxx schon mal von halb sieben am Abend bis halb elf "Stargate", montags wird bei "Akte X" noch mal jeder einzelne der "unheimlichen Fälle des FBI" von vor 20 Jahren durchgearbeitet – mit erstaunlichem Erfolg. Und RTL Nitro meldete diese Woche: "Highlight – neue Serie im Programm" – zum Start von "MacGyver".

Premieren gibt es zwar weiterhin, aber vor allem, damit die Sender sich den anfangs erarbeiteten Ruf als Innovations-Garanten erhalten können. Richtig eingeschlagen hat bisher keine der Alternativen. Zuletzt versuchte sich ProSieben Maxx eher glücklos an der viel gelobten Spionage-Serie "The Americans", die demnächst zu später Stunde auch noch mal bei Sat.1 laufen darf.

Dessen Sparten-Ableger Sat.1 Gold ist, wenn auch auf niedrigerem Quoten-Niveau, zum Trendsetter geworden: Von Anfang an setzte der Kanal fürs ältere Publikum darauf, das Sat.1-Programm früherer Jahre mit Wiederholungen eigener Archivware zu spiegeln, ergänzt durch ein paar Magazin-Häppchen und Schlagershows.

Auch Nitro und Maxx wollen Eigenproduktionen liefern, aber die Budgets sind überschaubar. RTL hat mit "Yps – Das Magazin" einen Achtungsrefolg erzielt. Und ProSieben Maxx zeigt bei "Galileo 360 Grad" in betäubender Ausführlichkeit, wie Hobbybastler mit Sprengstoff Wiesen bewässern, Luftmatratzen aufblasen und Dächer von Autos jagen. Ansonsten ist aus den Experimentiersendern ein Retro-TV geworden, in dem neue Serien höchstens die Garnitur sind. Eine, die am besten zwischen das Bekannte gemanscht wird, damit die Zuschauer es nicht gleich ablehnen – so wie man Kindern das Gemüse im Kartoffelbrei versteckt.

Die beiden weniger bekannten Sitcoms "Last Man Standing" und "It's always sunny in Philadelphia" traut sich ProSieben Maxx freitags jedenfalls nur mit Zigfachwiederholungen von "Two and a Half Men" und "How I Met Your Mother" ummantelt auszustrahlen. Die meisten Nischenserien müssen sich die paar Zuschauer, die sich dafür interessieren, weiterhin auf DVD, im Pay TV oder über die zahlreicher werdenden Video-on-Demand-Dienste besorgen.

Das Vorurteil: stimmt nicht.