Vermutlich hat es noch nie ein großes Fußball-Turnier gegeben, bei dem so viele Expertinnen und Experten zu Wort kamen wie bei der diesjährigen Europameisterschaft. Und das liegt keineswegs nur an der wachsenden Zahl der übertragenden Player: Lange vorbei scheinen die Zeiten, als sich die Fernsehsender damit begnügten, einem einzigen Fachmann zu vertrauen; inzwischen werden regelrechte Talkshows rund um die einzelnen Spiele gebaut - quasi ausgedehnte "Doppelpass"-Ausgaben.

Dass zu viele Köche mitunter den Brei verderben, ließ sich dann auch bei der EM gut beobachten. Bastian Schweinsteiger schien zeitweise mehr damit beschäftigt zu sein, in der Halbzeitpause seine Armbanduhr werbegerecht in Szene zu setzen als das Publikum mit spitzfindigen Analysen zu begeistern. Dass es auch anders geht, zeigte dagegen Christoph Kramer, seines Zeichens noch immer aktiver Fußballprofi beim Bundesligisten Borussia Mönchengladbach.

Wie schon bei der EM vor drei Jahren machte der Weltmeister von 2014 auch bei der diesjährigen Weltmeisterschaft eine hervorragende Figur am Mikrofon - besonders im Zusammenspiel mit ZDF-Moderator Jochen Breyer, mit dem sich der 30-Jährige offensichtlich glänzend versteht. Bemerkenswert ist die Gelassenheit, die Kramer vor der Kamera ausstrahlt. Nichts, so scheint es, kann ihn aus der Ruhe bringen.

TV-Kritiken? Einschaltquoten? All das ist ihm egal. "Beim Fußball macht sich kurz vor dem Anpfiff um 15:29 Uhr große Anspannung breit, die ich beim Fernsehen gar nicht habe", sagte Kramer im Sommer im Gespräch mit DWDL.de. "Wenn mir Jochen Breyer eine Frage stellt, kann ich sie schlimmstenfalls nicht beantworten - und das sage ich dann auch. Was soll schon passieren? Wenn das schon der Worst Case ist, dann gibt es wirklich keinen Grund aufgeregt zu sein."

Den Worst Case erlebte Christoph Kramer gleich in den ersten Tagen des Turniers. Als der Däne Christian Eriksen während des Spiels unvermittelt zusammensackte und wiederbelebt werden musste, fand Kramer deutliche Worte. "Da liegt der Fehler meiner Meinung nach bei der UEFA, die sagen muss: Wir haben eine weitere Sicht dazu, da wird heute nicht mehr gespielt. Ich weiß nicht, wer da eine andere Meinung haben kann", erklärte er damals live im ZDF. "Die Frage ist, kann einer von denen in diesem Moment einen klaren Gedanken fassen? Da sage ich einfach: Nein. Da ging es heute nicht um Fußball. Dann finde ich: Emotionen erstmal sacken lassen, eine Nacht drüber schlafen, dann kann man es immer noch spielen."

Klare Kante, klare Worte. Das machte Christoph Kramer zum besten TV-Experten der Fußball-Europameisterschaft. Und sollte die Karriere des Fußballprofis irgendwann enden, gäbe es sicher eine Anschlussbeschäftigung - als Fernsehprofi.