Wenn die Kinder erwachsen werden und eigene Wege gehen, fällt den Eltern das Loslassen oftmals schwer. Aber fragen Sie mal RTLzwei, wie sich das anfühlt, wenn plötzlich nicht nur die Kinder flügge werden, sondern gleich ganze Familien – um dann auch noch direkt daneben bei der Konkurrenz wieder einzuziehen!

Den Anfang haben Reimanns gemacht, als sie im Herbst 2021 ankündigten, nach acht Jahren künftig bei Kabel Eins zuhause sein zu wollen, wo sie dank ihrer Fan-Gemeinschaft nahtlos an vorherige Erfolge anknüpfen konnten. (Solange auf Konny Island weiter Pools gebaggert, Bäume gefällt und Schulbusse ausgebaut werden und niemand auf die Idee kommt, die Hamburger im Herzen nochmal im Wohnmobil auf US-Tour zu schicken.)

Im Sommer des vergangenen Jahres erklärte dann Familie Katzenberger-Cordalis überraschend, ihr mallorquinisches Wirken künftig zu Vox (zurück)verlagern zu wollen, woraufhin RTLzwei nicht anderes übrig blieb, als sich noch ein paar freundliche Abschiedsworte abzuringen, um den Wechsel' innerhalb der eigenen Programmfamilie in der Pressemitteilung nicht ganz so seltsam aussehen zu lassen ("für die Zukunft alles Gute").

Richtig Pech bei der Suche nach Glück

Geblieben sind Geissens und Wollnys. Aber das kann nicht über die Lücke hinwegtäuschen, die die zuvor genannten Abschiede ins Programm des langjährigen Reality-Fernsehfamiliensenders Nummer eins gerissen haben.

Oder, anders gesagt: Im selbst ernannten "Home of Reality" sind noch ein paar Zimmer frei. Und alle, die bislang einzuziehen versucht haben, sind nicht sonderlich lange geblieben.

Mit sechs Episoden von "Herr Glööckler sucht das Glück" hatte RTLzwei im vergangenen Herbst veritables Pech, die Publikumsbegeisterung lag unter den Erwartungen ("Eine neue Katzenberger ist Harald Glööckler nicht", urteilte DWDL-Kollege Timo Niemeier).

Die Schnapsidee, den durch Verschwörungstheorien-Verbreitung aufgefallenen Michael Wendler beim Vaterwerden mit der Kamera zu begleiten, zog man nach scharfen Reaktionen aus der Branche und dem eigenen Haus (sowie der inoffiziellen RTLzwei-Programmdirektorin Carmen Geiss via Instagram) wieder zurück – und sparte sich nachher jegliche Form der öffentlichen Erklärung zum Zustandekommen. Zurecht hagelte es deswegen im Dezember einen Golden Günter für die "Medienpeinlichkeit des Jahres".

So schnell rennen die Bisons sonst nicht

Gerade läuft bzw. fährt sich mittwochs (schon zum zweiten Mal) die Familie von Joey Kelly warm, um für ihren "Roadtrip Panamericana" 30.000 Kilometer mit dem Wohnmobil von Kanada bis Argentinien zu reißen, während unterwegs bei Wildfremden Barspenden für ukrainische Kinder eingesammelt werden, um sie verantwortungsvoll im Casino zu verdoppeln. (Und nachher noch mal aus eigener Tasche selbst.)

Es hat durchaus Unterhaltungspotenzial, Papa Joey dabei zuzusehen, wie er in Autohäuser stürmt, um der Besitzerin im Zuge der Spendenanfrage eine Kelly-CD zu überreichen, die ihm daraufhin mitteilt, sie besitze kein Gerät mehr, um dieses Kleinod deutscher Popmusikgeschichte abzuspielen (Kelly: "In Germany we still buy and Sell CDs"); oder wie die Bisons des kanadischen Farmers um ihr Leben rennen, als sie beim Weideabtrieb ein paar frühe Kelly-Klassiker in voller Lautstärke vorgespielt kriegen; oder wie die Familie im Lokalradio für ihren Spendentreff am Nachmittag wirbt, zu dem dann exakt null Leute an den ausgeklappten Tapeziertisch kommen; oder wie Joey im Wahn an die Türen irgendwelcher Häuser klopft ("Ich will einfach diese Menschen kennenlernen!") bzw. in die Bremsen steigt, wenn er Zeitgenoss:innen wittert ("Auffällig bekleidete Leute am Straßenrand? Nix wie hin!"), denen sich ungefragt eröffnen lässt: "We are famous in Germany."

Ja, aber halt auch nicht so famous, dass man sich in Grünwald beim Blick auf die Zuschauer:innenzahlen zu Luftsprüngen gezwungen sähe – wobei nach dem Tiefschlag aus Woche zwei zuletzt immerhin noch Hoffnung auf Besserung bestand.

Abnutzungserscheinungen bei "Geissens"

Erschwerend dazu kommt, dass auch bei den Verbliebenen inzwischen Abnutzungserscheinungen zu erkennen sind. Zu Monatsbeginn starteten "Die Geissens" mit einem Negativrekord in die inzwischen 22. (!) Staffel ihrer selbsterzählten Familiensaga – wobei das Wunder eigentlich darin besteht, dass überhaupt jemand dabei zusehen wollte, wie die Reality-Sippe über zwei Folgen gestreckt eine Hamburger Marketing-Messe besuchte. 45 Minuten drehte sich alles fast ausschließlich darum, dass Rooobert Geiss sehr, sehr, sehr aufgeregt war, als "Speaker" auf die Bühne zu müssen, um vor mehreren tausend Zuhörer:innen das zu erzählen, was er sonst auch immer erzählt; die anschließende Episode zeigte ausführlich, wie Geissens bei Snacks, Bier und Tee darauf warteten, gleich zu irgendeinem Dinner zu gehen, und sich Knossi ihnen in diversen Smalltalks als Riesen-Fan outete, um sie anschließend erfolglos in Twitch reinzuquatschen. Okay: Zwischendurch hat Davina im Hotel noch ein Selfie mit Mats Hummels gemacht, der das später auf Instagram geliked hat, und mit Schwester Shania wurde gestritten, wer mehr vom erworbenen Franzbrötchen verzehren darf.

Wenn ich Ihnen jetzt sage, dass das immerhin hochgerechneten 460.000 Zuschauer:innen eine angemessene Abendbeschäftigung schien, dann klingt das zwar so, als müsse selbst Knossi dafür eine Weile twitchen – aber für lineare TV-Sender halt trotzdem nach ein bisschen zu wenig.

Macht nix, in Woche zwei waren alle zumindest halbwegs wieder in ihrem Element – und die Fans duften dabei sein, wie Geissens den Dekokrempel aus ihrer gerade veräußerten Wertanlage-Wohnung in Monaco räumen ließen, den sie zwei Staffeln zuvor aufwändig hatten einräumen lassen.

Hiobsbotschaft für 2027?

"Wir sind dem Sender sehr verbunden, haben mit denen zwölf geile Jahre verbracht", hat das Familienoberhaupt in der Vergangenheit jeglichen Trennungsgerüchten eine Absage erteilt. Im Gespräch unter Buddies vertraute Rooobert seinem neuen Verbündeten aber gerade auch an, immer mit dem Gedanken gespielt zu haben, nach 500 "Geissens"-Folgen Schluss zu machen. Falls das eine ernsthafte Option wäre, können in der bislang eher ratlos wirkenden Grünwalder Programmdirektion schon mal zwei paar Knie zu schlottern anfangen. Am Montag laufen zwar erst Nummer 381 und 382 im Programm – aber wenn es, wie im Vorjahr, bei einem Durchsatz von 35 Folgen pro Staffel bleibt, lässt sich ja mühelos hochrechnen, wie zügig die nächste Hiobsbotschaft anstünde.

Wobei nicht ausgeschlossen ist, dass beim Publikum schon vorher eine gewisse Übersättigung einsetzt, wenn nach neuen "Geissens"-Folgen immer noch zwei alte der Töchter-Zusatz-Dokusoap "Davina & Shania - We Love Monaco" laufen.

Was jetzt? Muss RTLzwei ernsthaft darüber nachdenken, selbst unter die Wilderer zu gehen – und Sky "Diese Ochsenknechts" abluchsen, die dort in Kürze in die dritte Staffel starten (freilich ohne öffentlich einsehbaren Erfolgsnachweis)? Oder wäre es noch viel schlauer, den der Liebe wegen dem Reality-Ruhm abtrünnig gewordenen Jimi Blu zu einer Gegen-Dokusoap zu verpflichten, inszeniert als Battle of the Oxservants?

Vor allem aber: Wer redet Grünwald die nächste Schnapsidee aus, Gloria von Thurn und Taxis beim stetigen Rechtsabdriften in ihrem Regensburger Schlossalltag seriell zu begleiten? Fragen über Fragen fürs neue Jahr.

Und damit: zurück nach Köln.

Neue Folgen der "Geissens" laufen montags um 20.15 Uhr bei RTLzwei und bei RTL+; "Joey Kelly und Familie - Roadtrip Panamericana" folgt mittwochs um 20.15 Uhr und ist ebenfalls bei RTL+ abrufbar.