Als die Produktionsfahrerin nach kurzem Weg durch die Altstadt von Bordeaux Halt macht, um den deutschen Besucher am "Baron Noir"-Set abzusetzen, offenbart sich die Pracht des Drehorts erst auf den zweiten Blick. Hinter einem schweren gusseisernen Tor liegt die Privatresidenz des Präfekten, also des obersten Verwaltungsbeamten des westfranzösischen Départements Gironde. Riesige Scheinwerfer leuchten aus dem Garten in die Fenster der klassizistischen Villa hinein, draußen und drinnen huscht sichtlich konzentriert die 50-köpfige Crew der Pariser Produktionsfirma Kwaï umher.

Im größten Saal des Erdgeschosses steht eine elegante Frau im violetten Kleid neben ihrem Schreibtisch und geht im leisen Selbstgespräch die Sätze durch, die sie gleich sagen wird. Es ist – die frisch gewählte Präsidentin von Frankreich. An diesem 13. Drehtag der zweiten Staffel treten gleich alle Überraschungen auf einmal zutage: Die Residenz in Bordeaux dient als Elysée-Palast. Und die von Anna Mouglalis gespielte Parteistrategin Amélie Dorendeu hat es in der Fortsetzung von "Baron Noir" tatsächlich ins höchste Amt der Republik geschafft.

"Es zeichnete sich frühzeitig ab, dass wir während und unmittelbar nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich drehen würden", sagt Produzent Thomas Bourguignon. "Und das hieß: Es war einfach unmöglich, in Paris zu drehen, wenn wir die neue Regierung nicht kennen und nicht wissen, mit wem wir über Drehgenehmigungen sprechen können." Also suchte der Kwaï-Chef eine Stadt, die so ähnlich aussieht, und wurde an der Atlantikküste fündig. Zwar ist Bordeaux viel kleiner als die Hauptstadt, dafür aber von der gleichen Architektur der Klassizistik geprägt. Während der Weltkriege bezog die Pariser Regierung dort ihr Notquartier. Im Gegensatz zur ersten "Baron Noir"-Staffel, die weitgehend in Paris und Versailles entstand, war für die zweite Staffel nur eine Woche Außendreh im Regierungsviertel vorgesehen.

Dass es überhaupt so lange gedauert hat, bis die Erfolgsserie weitergeht, liegt an den Machern selbst. Der französische Pay-TV-Sender Canal+ hatte schon Anfang 2016 – kurz vor Ausstrahlung der ersten Staffel – grünes Licht für die Fortsetzung gegeben. Dann trat "Baron Noir" einen wahren Siegeszug an, wurde nicht zuletzt wegen seiner Authentizität national wie international gefeiert (so auch von DWDL.de) und in 30 Länder verkauft – für ein französisches Politdrama ein Überraschungserfolg. Der Weltvertrieb Studiocanal verdoppelte daraufhin seine Minimumgarantie für die neuen Folgen.

Allerdings überholte die Realität des französischen Wahlkampfs mit seinen Korruptionsskandalen, mit dem Erstarken der Rechtsextremen und mit Emmanuel Macrons Bürgerbewegung "En Marche!" das, was die Autoren Eric Benzekri und Jean-Baptiste Delafon eigentlich erzählen wollten. Also wurden die Drehbücher kräftig umgeschrieben, der Drehstart verschoben. An jenem 13. Drehtag Mitte Mai in Bordeaux sind die beiden nicht am Set, weil sie noch mit den letzten zwei Büchern für die Folgen 7 und 8 zu tun haben. "Einerseits wollen wir unseren Charakteren aus Staffel 1 weiter folgen", so Bourguignon, "andererseits möglichst nah an der politischen Realität dran sein. Staffel 2 ist davon geprägt, dass wir in Frankreich einen massiven Umbruch des politischen Systems erleben."

Baron Noir, Thomas Bourguignon, Ziad Doueiri© DWDL
Konzentration am Set von "Baron Noir": Produzent Thomas Bourguignon (l.) und Regisseur Ziad Doueiri (r.)

Mit ihrer markanten rauchig-tiefen Stimme redet Anna Mouglalis alias Madame la Présidente jetzt auf den von Patrick Rocca gespielten Alain Chistera ein. "Baron Noir"-Kenner erinnern sich, dass er gegen Ende der ersten Staffel schwer krank als Generalsekretär der Sozialistischen Partei abtreten musste. Inzwischen ist er wieder genesen, und Amélie will ihn zum Premierminister machen. Während des Dialogs umschwirrt Kameramann Nicolas Cagniard die beiden mit seiner Steadicam. Das Resultat auf dem Kontrollmonitor zeigt die spezielle visuelle Identität der Serie: dokumentarisch verdichtete Bilder, stets dynamisch und dicht dran. Nach dem sechsten Take nickt Regisseur Ziad Doueiri zufrieden. Die Szene, die später zweieinhalb Minuten Bildschirmzeit füllen wird, ist im Kasten. "Wir drehen 90 Prozent mit Steadicam und Handkamera", erklärt der Libanese Doueiri. "Das sorgt nicht nur für den gewünschten Look, sondern geht auch sehr schnell."

Produzent Bourguignon vergleicht die Rolle von Amélie in der zweiten Staffel gern mit dem echten Präsidenten. Wie Macron sei sie eine der engsten Vertrauten ihres Vorgängers – Niels Arestrup als Francis Laugier ist nicht mehr dabei – gewesen, um diesen schließlich zu hintergehen und dessen Platz einzunehmen. Als Präsidentin greift sie in der Serienhandlung zu außergewöhnlichen Maßnahmen, um das Land vor weiteren islamistischen Anschlägen zu schützen. An ihrem kometenhaften Aufstieg ist der "schwarze Baron" Philippe Rickwaert, gespielt von Kad Merad, nicht unbeteiligt. Doch zu Beginn der zweiten Staffel kann der wegen Korruption verurteilte Ex-Bürgermeister von Dünkirchen nur aus dem Hintergrund agieren, da er gerade erst aus dem Gefängnis entlassen wurde.

"Baron Noir" wäre nicht "Baron Noir", wenn sich Rickwaert nicht zügig durch gewiefte Intrigen wieder ins Spiel bringen und seine Rache vorbereiten würde. Merad, der für die Rolle bei den International Emmy Awards als Bester Schauspieler nominiert ist, scherzte gegenüber "Le Figaro" im Hinblick auf eine mögliche dritte Staffel: "Ich würde das gern vollenden, indem ich Präsident werde." Die Frau, die dieses Amt gegenwärtig innehat, spricht lieber über die Stärke der Serie. "Wir führen dem Publikum vor Augen, dass es im Grunde gar nicht möglich ist, sich nicht für Politik zu interessieren. Demokratie ist ein Idealzustand, der immer wieder verteidigt werden muss", sagt Anna Mouglalis beim Abendessen im Catering-Zelt, das auf einem Marktplatz in der Altstadt von Bordeaux aufgebaut ist. Ehe der bis 2 Uhr angesetzte Nachtdreh beginnt, gönnen sich Schauspieler und Crew noch ein Gläschen Rotwein.

"Demokratie ist ein Idealzustand, der immer wieder verteidigt werden muss"

Anna Mouglalis über die Message von "Baron Noir"

Zurück im Elysée-Palast, der in Wahrheit die Residenz des Präfekten ist, steht eine nächtliche Krisensitzung am Konferenztisch der Präsidentin auf dem Drehplan. Neben Amélie und ihrem Premier Chistera diskutieren noch drei weitere Personen mit. Diesmal dauert es lange, bis Regisseur Doueiri mit dem Gang der Steadicam zufrieden ist, bis ihm die Bewegung fließend genug erscheint. Zu allem Überfluss stehen jetzt auch noch zwei Mitarbeiterinnen des Präfekten im Haus, die nach dem Rechten sehen wollen. Dass Amélie in der Szene ausgerechnet eine Zigarette raucht, stößt auf ihre Missbilligung. Produzent Bourguignon setzt sein gewinnendstes Lächeln auf und lädt die Damen zum Dinner ein. "Macht ihr mal in Ruhe weiter", raunt er dem Regisseur im Weggehen zu.

Sensibilität im Umgang mit der Politik ist der Kwaï-Chef spätestens seit der ersten "Baron Noir"-Staffel gewohnt, als der damalige Premierminister Manuel Valls um eine exklusive Premiere bat und Präsident François Hollande sich DVDs schicken ließ, um anschließend kundzutun, die Serie werfe kein gutes Licht auf die Politik. Von Macron ist noch keine Stellungnahme überliefert. Wenige Tage vor dem DWDL.de-Besuch war Alain Juppé, früherer Außen- und Premierminister sowie heute Bürgermeister von Bordeaux, zu Gast am Set. Als Bourguignon gegen halb elf vom Essen zurückkommt, ist die Crew längst dazu übergegangen, auch in den Drehpausen zu flüstern. Der Präfekt, dessen Privatgemächer eine Etage höher liegen, soll schließlich nicht von "Baron Noir" um seinen Schlaf gebracht werden.

Bevor die zweite Staffel von "Baron Noir" im Frühjahr 2018 in Frankreich bei Canal+ anläuft, ist die erste Staffel noch einmal in Deutschland zu sehen: Der Sony Channel zeigt sie vom 23. November an jeden Donnerstag um 22:05 Uhr. Alle acht Folgen sind schon jetzt auf Abruf in den Videotheken von Unitymedia und Vodafone verfügbar sowie im Anschluss an die Ausstrahlung auch bei EntertainTV (Telekom).

Mehr zu "Baron Noir"