Mit drei Wiederholungen von "Alarm für Cobra 11" versprach dieser Donnerstagabend bei RTL ein reichlich unspektakulärer zu werden. Dass er doch noch denkwürdig wurde, hätte sich die Führungsriege des Senders um Jörg Graf vermutlich gerne erspart. Denn als um 19 Uhr eine Instagram-Story von Michael Wendler die Runde machte, in der sich der Schlagersänger nicht nur als Juror von "Deutschland sucht den Superstar" verabschiedete, sondern auch noch wirre Thesen zur "angeblichen Corona-Pandemie" verbreitete und seinem Haussender unterstellte, "politisch gesteuert" zu sein, dürften in Köln-Deutz sämtliche Alarmglocken geschrillt haben.

Dass Oliver Pocher dahintersteckte, wie so mancher Beobachter zeitweise mutmaßte, konnte recht schnell ausgeschlossen werden, schließlich begann Wendler in der Zwischenzeit damit, auf seinem neuen Telegram-Account fragwürdige Inhalte zu verbreiten wie jene von Eva Herman, Xavier Naidoo oder dem rechten Vegan-Koch Attila Hildmann, mit dem Wendler einst - welch bittere Ironie - ausgerechnet in der RTL-Show "Let's dance" zusammenfand. Nein, lustig war das nicht. Und gute PR erst recht nicht.

In einem kurzen Statement reagierte RTL dann auch entsprechend fassungslos. "Völlig überrascht" sei man von Wendlers Aussagen und seinen Verschwörungstheorien, ließ der Sender mitteilen und erklärte, sich "ausdrücklich" davon zu distanzieren. Mehr war von RTL offiziell zunächst nicht zu erfahren. Umso bemerkenswerter war dafür das, was am späten Abend live über den Sender ging: Weil sich Michael Wendler einen Donnerstag für seine öffentlichkeitswirksame Kündigung aussuchte, konnte Oliver Pocher nur wenige Stunden später in einer kurzerhand verlängerten Ausgabe seiner Live-Show "Gefährlich ehrlich" auf die fragwürdigen Aussagen seines Erzfeindes reagieren.

"Wir werden alle sterben"

Und die hatte es wahrlich in sich, weil es der Redaktion gelang, Wendlers sichtlich geschockten Manager Markus Krampe auf die Bühne des kleinen Studios zu holen. "Für mich ist er krank. Tatsächlich krank", sagte Krampe über Wendler und sprach mit Tränen in den Augen von einer "menschlichen Tragödie". Diverse Werbedeals, die geplante Live-Hochzeit, der Jury-Job bei "DSDS", "alles lief perfekt". Doch plötzlich soll Wendler die ganze Nacht mit Attila Hildmann telefoniert und bei Dreharbeiten gegen das Tragen von Masken gewettert haben. "Wir werden alle sterben, Du wirst auch sterben", habe Wendler ihm gesagt, erzählte Krampe und führte offen aus, dass die Aussagen des Sängers schon in den Wochen zuvor immer krasser geworden seien.

Pocher - Gefährlich ehrlich © Screenshot RTL Michael Wendlers Manager Markus Krampe

Die Folgen von alledem: Weitreichend. Freimütig sprach der Manager in der Pocher-Show darüber, dass er die Karriere von Michael Wendler und dessen Partnerin Laura Müller für beendet hält und er nach der Veröffentlichung des Videos bereits mit 15 Anwälten gesprochen habe, die sofort sämtliche Verträge mit seinem Klienten auflösen wollen. Ganz zu schweigen von der kompletten RTL-Chefetage, mit der er noch am Abend telefonierte. Und morgen, sagte der Manager ziemlich ernüchtert, müsse er zum Gespräch bei RTL antreten. Man will nicht in seiner Haut stecken.

Die ganze Szenerie, sie wirkte surreal und fürchterlich absurd; fast schon wie ein großer Unfall, dessen Anblick man sich einfach nicht entziehen kann. "Als wäre Merkel zurückgetreten", fasste Pochers Ehefrau und Sidekick Amira die Situation zusammen. Später kam auch noch der Rechtsanwalt Christian Solmecke dazu, um über mögliche Millionenforderungen zu sprechen, die RTL wegen des offensichtlichen Vertragsbruchs stellen könnte. "Das kann ihn wirtschaftlich ruinieren", so Solmeckes bitteres Wendler-Fazit.

Pocher hat die Deutungshoheit, nicht RTL

Das Gespräch von Pocher mit seinen Gästen ist deshalb auf so vielen Eben so besonders, weil RTL es zuließ, dass im eigenen Programm völlig ungefiltert über interne Vertragsangelegenheiten gesprochen wurde. Eine neue Musikshow mit Wendler sei bereits geplant gewesen, war zu erfahren. Auch die Dokusoap mit Wendler und Laura Müller sollte fortgesetzt werden. Der Titel der Show, "Gefährlich ehrlich" – nie war er treffender. Denn nicht RTL hatte an diesem Abend die Deutungshoheit, sondern Oliver Pocher, der seine Sendung gleich zu Beginn als "journalistisches Magazin" darstellte – irgendwo angesiedelt "zwischen Bild TV, Exclusiv Weekend und 'Pocher - Gefährlich ehrlich'", wie er sagte, und nur echt mit knallrotem Wendler-Breaking-News-Laufband.

Irgendwann wirkte es, als sei RTL zum Statisten im eigenen Programm verkommen. Der Sender, der wie kein anderer für große Inszenierungen steht - überrumpelt von der absurden Wendler-Parallelwelt, an deren Aufbau man bis dato hart gearbeitet hatte. Da passt es nur allzu gut ins Bild, dass Pocher im weiteren Verlauf des Abends zu allem Überfluss noch seinen Kumpel Pietro Lombardi anrief und ihn mehr oder weniger plump für eine Rückkehr in die "DSDS"-Jury empfahl. Wenn "DSDS" ihn brauche, sei er immer da, gab Lombardi artig zu Protokoll - und in diesem Moment konnte man förmlich das Aufatmen der Fernsehnation spüren, weil klar wurde, dass nicht auch noch der frühere Castingshow-Gewinner ins Lager der Corona-Leugner übergelaufen ist. Immerhin.

Wer sagt, das deutsche Fernsehen sei nicht mehr für Überraschungen gut, wurde insbesondere in der ersten Stunde der Pocher-Show eines Besseren belehrt, und ein Stück weit fühlte man sich gar an das Jahr 1996 erinnert, als Sat.1 entschied, die Show von Margarethe Schreinemakers abzuschalten, weil diese ihr Steuerverfahren in der eigenen Sendung zum Thema machen wollte. Auch wenn die Fälle freilich überhaupt nicht miteinander zu vergleichen sind, so eint die beiden Abende doch die spannende Tatsache, dass die jeweiligen Sender nie so recht sicher sein konnten, was als nächstes in ihrem Programm passiert. Die Wendler-Posse bei RTL: Gewiss aufregender als drei "Cobra 11"-Wiederholungen.

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